Frau Godehardt, ist Chinas neue Seidenstraße eine Chance oder eine Gefahr für Deutschland und Europa?

Politisch ist das Projekt durchaus heikel. Denn hinter der Seidenstraße steckt eindeutig Geopolitik. Die Staaten, die mit China Verträge unterzeichnen, lassen sich auf ein bilaterales Netzwerk ein, in dessen Zentrum China steht. Das läuft nicht auf Augenhöhe ab. Zudem hat das Projekt auch eine technologische Dimension. Stichwort „Made in China 2025“, eine weitere industriepolitische Strategie der chinesischen Führung, technologisch in den nächsten Jahren zum Weltmarktführer zu werden. Das wird zu Recht als große Herausforderung wahrgenommen.

Die deutsche Wirtschaft scheint aber begeistert zu sein.

Ja, das hat auch die letzte Hannover-Messe gezeigt. Die deutsche Industrie ist sehr daran interessiert, ein gutes Verhältnis mit China zu pflegen. Gerade in den Bereichen 5 G und Industrie 4.0 gibt es tatsächlich viele Anknüpfungspunkte. Deutsche Unternehmen können schon jetzt in China Technologien ausprobieren, die es dort gibt, weil sie sehr viel stärker gefördert werden als in Europa. In diesen Bereichen findet schon sehr viel Kooperation statt. Das ist auch sinnvoll.

Politisch heikel, wirtschaftlich aber wollen die Europäer eng mit den Chinesen kooperieren – was folgt daraus für eine gemeinsame europäische China-Politik?

Ein auf jeden Fall erster wichtiger Schritt erfolgte beim China-EU-Gipfel im April in Brüssel. Die Europäer haben sich im Vorfeld erstmals seit Langem zumindest in Grundsätzen auf eine gemeinsame Sprache und Vorgehen gegenüber China geeinigt. Damit bewegt Europa sich in die richtige Richtung. Die Bundesregierung schien dabei ein starker Treiber gewesen zu sein. Chinas Führung hat bei dem Gipfel auch schon Zugeständnisse gemacht. Der 16-plus-eins-Gipfel mit China und den meisten osteuropäischen Staaten zeigt jedoch: Die wirkliche Arbeit fängt jetzt erst an.

Wie müsste diese aussehen?

Es geht darum, dass sich Deutschland, Frankreich und die westeuropäischen Kernländer auch mit den Osteuropäern auf eine einheitliche China-Strategie verständigen und eine gemeinsame Richtung einschlagen.

Die Bundesregierung warnt nun andere EU-Länder vor China und kritisiert vor allem Italien dafür, als erstes EU-Kernland der Seidenstraßen-Initiative beigetreten zu sein. Kein anderes Land hat in den letzten 20 Jahren so sehr vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas profitiert wie Deutschland. Ist das nicht scheinheilig?

Wenn Berlin jetzt Italien dafür kritisiert, mit China zunächst Abkommen in Höhe von 2,5 Milliarden unterzeichnet zu haben, dann ist das von deutscher Seite tatsächlich etwas scheinheilig. Denn auch große Unternehmen wie BASF oder Siemens profitieren sehr von der deutschen Zusammenarbeit mit China. Im Fall von Italien geht es allerdings um mehr als nur um Handelsvereinbarungen. Das Ziel der EU besteht nicht darin, einzelnen Ländern die Zusammenarbeit mit China zu verbieten, sondern diese sollte nicht unter einem chinesischen Diktat erfolgen. Daher stößt Roms Beitritt zur Seidenstraßen-Initiative auf deutliche Kritik in Deutschland, Frankreich und der EU-Kommission.

Ende April traf sich die chinesische Führung erneut zum „One Belt, One Road“-Gipfeltreffen, so die offizielle Bezeichnung der neuen Seidenstraße. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nahm daran teil. Halten Sie das für richtig?

Auch seine Vorgängerin Brigitte Zypries von der SPD hat an diesem jährlichen Forum schon teilgenommen. Insofern ist Altmaiers Teilnahme weder eine Auf- noch eine Abwertung. Ich würde das Forum nicht überbewerten. Sich auszutauschen und dabei gegenüber der chinesischen Seite die Bedenken vorzutragen, kann nicht schaden – solange nicht die Kanzlerin persönlich teilnimmt. Denn das würde dem Ganzen schon einen anderen Stellenwert geben. Für viel wichtiger halte ich es aber, dass auch die Parteien im Bundestag über den Sinn einer Teilnahme an einem solchen Forum diskutieren. Letztendlich ist es ein Forum der Kommunistischen Partei. Das sollte auch nicht vergessen werden, wenn es um den Umgang mit China geht.

Fragen: Felix Lee