Wie darf ich Sie ansprechen, mit Tom oder mit Conchita?

Gerne als Tom, denn ich bin ja gerade nicht im Kostüm.

Wann sind Sie Conchita und wann Tom?

Ich glaube, dass ich selber mir darüber die wenigsten Gedanken mache. Für mich macht es nicht so einen Riesenunterschied, denn vieles, was ich als Conchita darstelle, bin ja auch ich, das sind Eigenschaften von mir, die ich in dieser Persona beleuchte. Privat sagt eigentlich niemand Conchita zu mir, außer meinen Drag-Kolleginnen, das ist aber auch so ein Ding unter uns Sisters, dass wir uns mit unseren Drag-Namen anreden. Aber meine Freunde und Freundinnen und Verwandten würden nie Conchita zu mir sagen, nicht einmal, wenn ich geschminkt bin. Meine Mama sagt Tom zu mir.

Unauffällig kann er nicht: Tom Neuwirth auf dem roten Teppich.
Unauffällig kann er nicht: Tom Neuwirth auf dem roten Teppich. | Bild: Jens Büttner/dpa

2014 haben Sie den ESC gewonnen und damals als vollbärtige Diva Conchita Wurst viele Leute irritiert. Sind Sie stolz darauf, was Sie seither in Ihrem Kampf gegen Diskriminierung erreicht haben?

Schwierige Frage. Als ich vor zehn Jahren gewonnen habe, war vieles, was queer ist, plötzlich auf dem Weg zum Mainstream. Ich denke da an die Reality-Show „Drag Race“, die ja ein globales Phänomen ist. Ich war in einem bestimmten Moment des Zeitgeistes in einer Situation, die ich als absolutes Privileg verstehe. Wenn queere Menschen aufgrund meines Sieges inspiriert wurden, ihren Selbstwert zu erkennen, und wenn andere Menschen verstanden haben, dass die Minderheiten Unterstützung brauchen, dann erfüllt mich das mit großer Freude. Aber ich würde mir nicht anmaßen, die Entwicklung als mein Verdienst zu betrachten.

Sie sind Juror in der Castingshow „The Tribute – Die Show der Musiklegenden“. Wie aufgeregt waren Sie, als Sie 2006 selbst in einer Castingshow auftraten?

Ich war nervös, nervös, nervös! Ich hatte keinen Schimmer vom Showbusiness, alles war so neu und aufregend. Ich als Landei auf der großen Bühne – das kann man sich nicht vorstellen. Aber es hat sich dann ja auch alles erfüllt, was ich mir schon als Kind erträumt hatte. Ich wollte immer vor Menschen singen, ich wollte immer berühmt werden. Ich habe es genossen und genieße es bis heute, ich liebe Attention. Auch wenn ich inzwischen weiß, dass Berühmtheit im Grunde keinen Wert hat.

Inwiefern hat sie keinen Wert?

Früher als Jugendlicher dachte ich: Wenn ich berühmt bin, dann lieben mich alle. Wenn du queer aufwächst und von der Gesellschaft immer signalisiert bekommt, dass du nicht dazugehörst, dann erarbeitest du dir Überlebensstrategien. Eine davon ist es, in so vielen Dingen wie möglich wahnsinnig gut zu sein, damit du Anerkennung und Liebe bekommst. Und ich dachte mir: Wenn mich alle kennen und toll finden, dann hat sich das ja erledigt. Aber dass es im Grunde darauf ankommt, sich selber anzunehmen und lieben zu lernen, das begreift man erst im Alter.

In „The Tribute“ wird die beste Coverband Deutschlands gesucht. Sollte es bei Kunst nicht darum gehen, etwas Eigenes zu erschaffen als zu imitieren?

Ja, meiner Meinung nach ist das das Wichtigste. Auch wenn man eine andere Person darstellt und deren Material singt, muss man sich selbst darin finden, nur dann kann man im Publikum etwas auslösen. Das habe ich auf dem Jury-Stuhl gemerkt. Es ist zwar unglaublich eindrucksvoll, wenn eine Person vor dir steht und du denkst: Das gibt es ja nicht, das ist ja das gleiche Gesicht, sind die gleichen Bewegungen wie bei dem Star, der da gecovert wird. Aber das ist nicht nachhaltig, dieser Effekt nutzt sich schnell ab. Erst wenn man etwas Eigenes erschafft, ist es magisch.

Eine von zwölf Coverbands: A Tribute To Amy mit Sängerin Christine Ladda auf der Bühne.
Eine von zwölf Coverbands: A Tribute To Amy mit Sängerin Christine Ladda auf der Bühne. | Bild: Seven.One/Julia Feldhagen

Wer war eigentlich Ihr Idol in den Anfängen Ihrer Karriere?

Meine Mama hatte eine CD, darauf war die erste Nummer der James-Bond-Song „Goldfinger“ von Shirley Bassey – das war meine musikalische Früherziehung, das hat mich durch Mark und Bein erschüttert. Ich liebe das große Drama in einer weiblichen Stimme. Barbra Streisand, Céline Dion, Whitney Houston: Da schmelze ich dahin. Maria Callas‘ „Casta Diva“ könnte ich mir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag anhören.

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Auf einer Skala von lieb zu fies, von Mutter Teresa bis Dieter Bohlen: Wo würden Sie sich als Juror verorten?

Was ich nicht gut finde ist, wenn jemand aus der Jury glaubt, jemanden beleidigen zu müssen, um Lacher zu generieren – das sind nicht meine Vibes. Ich will immer ehrlich, fair und nie verletzend sein. Natürlich ist die Wahrheit oder meine subjektive Wahrheit nicht immer positiv. Wenn ich etwas zu kritteln finde, dann sage ich das auch – ich will mein Wissen weitergeben. Ich möchte Feedback geben und dem Künstler erklären, was ich an seiner Stelle ändern würde, damit die Person auch etwas für sich mitnehmen kann.