Das hatte es in 89 Jahren Oscar-Geschichte noch nie gegeben. Nachdem die Verleihung in der Nacht zum Montag dreieinhalb Stunden einigermaßen vorhersehbar verlaufen war, kam es im Finale zum Eklat: Bei der Verleihung der Königs-Kategorie wurde der falsche Gewinner verkündet. Die Hollywood-Ikonen Warren Beatty und Faye Dunaway ernannten zunächst „La La Land“ zum Besten Film des Jahres. Erst als schon der dritte von dessen Produzenten seine Dankesrede ins Mikrofon sprach und im Hintergrund zusehends Unruhe zu bemerken war, stellte sich heraus: Die beiden hatten von den Notaren der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers den falschen Umschlag in die Hände gedrückt bekommen. Der tatsächliche Oscar-Gewinner war das Drama „Moonlight“ von Barry Jenkins.
Viel war im Vorfeld darüber spekuliert worden, ob es der kleinen, für gerade einmal fünf Millionen US-Dollar entstandenen Produktion gelingen könnte, dem Favoriten „La La Land“ ein Schnippchen zu schlagen. Wirklich daran geglaubt hatten die wenigsten – zu erfolgreich war das Musical von Damien Chazelle an den Kinokassen, zu sehr hatte es bei anderen Preisverleihungen abgeräumt. Ganz abgesehen davon, dass der Film eine Geschichte aus der Traumfabrik erzählt. Und wenig liebt man bei der Academy of Motion Picture Arts and Sciences mehr als Filme, die sich mit Hollywood selbst und seiner Geschichte auseinandersetzen.
Womöglich war den abstimmenden Academy-Mitgliedern im Angesicht des aufgeheizten politischen Klimas unter US-Präsident Donald Trump doch mehr nach Tiefgründigkeit. Vielleicht machte sich auch der Gegenwind bemerkbar, dem sich „La La Land“ in den vergangenen Wochen zusehends ausgesetzt sah. Unbestritten ist in jedem Fall: „Moonlight“ ist ein hoch verdienter Oscar-Gewinner – und einer, der in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Erstmals wurde ein Film ausgezeichnet, den ein Afroamerikaner inszeniert hat (Steve McQueen, der schwarze Regisseur von „12 Years A Slave“, ist Brite). Vor allem aber ehrte die Academy mit der Coming-of-Age- und Coming-Out-Geschichte eines aus unterprivilegierten Verhältnissen kommenden Schwarzen einen Film, der nicht nur absolut zeitgemäß ist, sondern auch sozialpolitisch ein Zeichen setzt. Sowohl Homosexuelle als auch Afroamerikaner, aber eben nicht zuletzt schwarze Schwule gehören zu den Außenseitern der Gesellschaft. Auch im Mainstream-Kino sowie bei den Oscars werden ihre Geschichten seit jeher meist ignoriert.
Jenkins, der zusammen mit Tarrell Alvin McCraney auch für das Beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde, stammt wie sein Protagonist aus den Slums von Miami und weiß, wie es ist, sich selbst auf der Leinwand nicht repräsentiert zu sehen. „An alle da draußen, die nicht das Gefühl haben, sich und ihr Leben im Kino gespiegelt zu sehen: Die Academy ist für euch da, die ACLU ist für euch da, wir sind für euch da“, sagte er in einer seiner Dankesreden. „Und in den nächsten vier Jahren lassen wir euch nicht alleine.“
Nicht zuletzt durch den Verweis auf die American Civil Liberties Union (Amerikanische Bürgerrechtsunion), der zu Ehren viele Oscar-Gäste blaue Schleifen trugen, war es eine der politischsten Reden des Abends. „Moonlight“-Nebendarsteller Mahershala Ali – als erster muslimischer Schauspieler mit einem Oscar ausgezeichnet – ließ seine Religion außen vor. Viola Davis, die als Nebendarstellerin in „Fences“ im dritten Anlauf ihren ersten Oscar gewann, pochte allerdings darauf, dass das Kino auch die Geschichten derjenigen erzählt, die gemeinhin übersehen und missachtet werden.
Zu einem politischen Statement wurde auch der Oscar für den Besten fremdsprachigen Film, wo „Toni Erdmann“ leer ausging. Für „The Salesman“ gewann zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren der Iraner Asgahr Farhadi. Aus Solidarität mit all jenen Muslimen, denen Trump die Einreise verweigern will, war er nicht zur Preisverleihung erschienen. Er ließ eine Stellungnahme verlesen: „Film kann Empathie zwischen uns und den anderen erzeugen, und gerade diese Empathie brauchen wir im Moment mehr denn je.“
Zwischen all diesen Preisträgern „La La Land“ als den Verlierer des von Late-Night-Talker Jimmy Kimmel größtenteils kurzweilig moderierten Abends zu bezeichnen, wäre übrigens weit verfehlt – denn das Musical gewann mit sechs Oscars die meisten des Abends.