Es sind nicht nur die Hütten, die das Elend kennen. Selbst ein veritables und auch recht großes Schloss erlebt nicht nur glanzvolle Zeiten. Bestes Beispiel dafür, wie nah Licht und Schatten auch über herrschaftlichen Gemächern liegen können, liefert das Berliner Stadtschloss. Schon der Baubeginn im Jahr 1443 steht unter keinem guten Stern. Die Baustelle wird von renitenten Schloss-Gegnern mit dem aufgestauten Wasser der Spree geflutet. Gebaut wird schließlich doch, der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) sorgt für Unterbrechungen. Im 18. Jahrhundert wird das Renaissance-Gebäude von Architekt Andreas Schlüter mit zahlreichen barocken Elementen erweitert und bildet dann rund 200 Jahre lang den markanten Mittelpunkt des Berliner Zentrums an der Achse Brandenburger Tor, Nationalgalerie und Dom.
Nach dem Ende der Monarchie wird der Bau als Museum genutzt, die Nationalsozialisten hängen allenfalls ihre Hakenkreuz-Fahnen an der Fassade auf, bevor SED-Chef Walter Ulbricht in der Anfangszeit der DDR das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte Schloss kurzerhand in die Luft sprengen lässt. Nach der Wende reifen Wiederaufbau-Pläne heran. 2002 gibt der Bundestag grünes Licht, 158 Architekturbüros bewerben sich. Sieger wird Franco Stella aus dem norditalienischen Vicenza. Am 12. Juni 2013 legt der damalige Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein für einen Neubau, der von zwei Seiten her mit einer Nachbildung der barocken Fassade versehen wird.
Das Projekt liegt im Zeit- und Kostenplan
Der Bau bleibt umstritten, wie fast alles, was in Berlin neu entsteht. Architektur-Puristen stören sich an der Kopie der barocken Fassade, Gesellschaftskritiker fragen nach dem Sinn eines solchen 590-Millionen-Baus angesichts der finanziellen und sozialen Probleme in der Stadt. Heute, ein Jahr vor der geplanten Fertigstellung, sieht bislang alles nach einem guten Ende aus. Das Projekt liegt im Zeit- und Kostenplan. Für Berliner Verhältnisse eine kleine Sensation, die vielleicht nur deshalb gelingen konnte, weil der Bund und nicht der Berliner Senat Bauherr ist.
Also Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Berlin wäre nicht Berlin, wenn sich nicht ein neues Problem finden ließe. Plötzlich entbrennt von einem Tag auf den anderen die Diskussion, ob ein Kreuz auf der wiederhergestellten Kuppel denn angemessen sei oder nicht. Respektable und weniger ernstzunehmende Argumente für und wider ein christliches Symbol machen die Runde. Die Befürworter führen ins Feld, dass die Kuppel vor ihrer Zerstörung ebenfalls ein Kreuz getragen habe und die Erneuerung deshalb der Authentizität des Gebäudes geschuldet sei. Die Gegner betonen, dass die Schlosskapelle gar nicht mehr existiere und das Innere des Humboldtforums nur weltlichen Zwecke diene und sich deshalb eine jedwede religiöse Manifestation auf dem Dach verbiete. Schon wird das Kreuz mit dem Kreuz zum Politikum.
Die Linkspartei mochte schon immer den gesamten Wiederaufbau nicht und wettert deshalb gegen das Kreuz, die CDU ist selbstredend dafür und die SPD hat bislang entweder gar keine Meinung oder gleich sehr viele. Die Grünen sind gegen das Kreuz, sie fürchten um das Ansehen Berlins als Multikulti-Metropole. Schon werden sie der vorauseilenden Unterwerfung gegenüber den Muslimen verdächtigt. Dem entgegnet aber Ayman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime: „Das Kreuz gehört auf die Kuppel, weil das Gebäude einen historischen Kontext aufweist, und dieser geschichtliche Zusammenhang hat nun mal mit dem Christentum und mit christlicher Symbolik zu tun. Man sollte diesen Kontext nicht verschleiern oder zwanghaft abschaffen.“
Mazyek hält sogar einen weltoffenen, interreligiösen Kompromissvorschlag bereit: „Man könnte ein Symbol nehmen, das alle drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften vereint“, sagt er. „Es gibt schon solch ein Zeichen dieser Art, in dem Kreuz, Halbmond und Davidstern verarbeitet sind.“ Das ist zwar nett gemeint, aber ein solch abstraktes Symbol will nun doch kaum jemand. Auch der Berliner Bär, als Wappentier und Maskottchen gleichermaßen beliebt, wird schon als wenig origineller Kreuz-Ersatz vorgeschlagen.
Eine gar philosophische Überhöhung des im Grunde banalen Streits liefert der Gründungsintendant des Humboldtforums, der Brite Neil MacGregor. Er schlägt vor, zusätzlich zum Kreuz auf der barock gestalteten Westseite gegenüber an der modernen Ostseite die Installation des norwegischen Künstlers Lars O Romberg anzubringen. Es sind die Großbuchstaben ZWEIFEL, die den einst an dieser Stelle stehenden Palast der Republik zierten. Kreuz und Zweifel auf einem Dach, das gefällt zwar dem Kulturbeauftragten des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, recht gut, doch Architekt Franco Stella sieht darin eine grobe Verunstaltung seiner Arbeit.
Soll ein Mikroskop das Kreuz ersetzen?
Originelles kommt vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD). Mit Verweis auf das Neutralitätsgebot des Staates schlagen die religionskritischen Humanisten anstelle des Kreuzes ein Mikroskop vor, das die Kuppel krönen könnte. Der Verband sieht darin auch eine Hommage an die Wissenschaftler Alexander und Wilhelm von Humboldt, die Namensgeber des Forums-Baus. Ein Mikroskop? Das wäre dann allerdings schon sehr nahe an Hammer und Zirkel, dem Symbol der untergegangenen DDR. Vielleicht könnte sich die Linke ja dafür erwärmen.
Schon die SED, die Vorgänger-Partei der Linken, hatte einst ein massives Problem mit dem Kreuz. Als am Alexanderplatz 1969 der ganz Berlin überragende Fernsehturm erbaut wurde, regte sich Widerstand aus christlichen Kreisen. Denn der Turm überragt mit seinen 368 Metern Höhe den bisher dominierenden Berliner Dom um ganze 270 Meter. Für Walter Ulbricht ein Triumph des Systems über die Kirche. Aber er hatte die Rache Gottes unterschätzt. An jedem sonnigen Tag, und die sind in Berlin gar nicht so selten, reflektiert die Aluminiumkugel des Fernsehturms die Sonnenstrahlen als riesiges Kreuz, das triumphierend das Kreuz der Domkuppel überragt. Kultursenator Klaus Lederer von den Linken sollte sich also schon mal überlegen, welche Gegenmaßnahmen im Himmel über Berlin wohl geplant sein könnten, falls das Kreuz wirklich nicht auf das Schloss darf.