Die Welt steckt in der Krise, doch die Schweiz scheint diese bislang gut wegzustecken. „Auch bei uns gibt es eine gewisse Dynamik, aber auf einem ganz anderen Level“, sagt Jan-Egbert Sturm. Der Leiter der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich hat am Donnerstag beim Thurgauer Prognoseforum einen wirtschaftlichen Ausblick auf 2023 gewagt.

Der Ökonom Jan Egbert Sturm ist Direktor der Schweizer Konjunkturforschungsstelle KOF.
Der Ökonom Jan Egbert Sturm ist Direktor der Schweizer Konjunkturforschungsstelle KOF. | Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler

Dabei stellen sich für die Prognosen ähnliche Fragen wie in anderen Ländern: Wird der kommende Winter deutlich kälter als die letzten? Stellt Russland die Lieferung von Erdgas- und Erdöl in die EU vollständig ein? Gelingt es Frankreich nicht, seine Kernkraftwerke wieder hochzufahren? Müssen am Ende gar Gas und Strom rationiert werden?

Auch in der Schweiz könnte das schlimmstenfalls bedeuten, dass 15 Prozent der Gasmenge fehlen, Strom gespart werden muss und die Preise für Energie deutlich steigen.

„Optimistisch, dass es nicht zum Worst-Case kommt“

Doch so schlimm wird es nicht kommen, ist sich der Ökonom sicher. „Wir bereiten uns seit dem Frühjahr darauf vor. Deshalb bin ich relativ optimistisch, dass es nicht zum Worst-Case-Szenario kommen wird.“ Trotzdem: Entwarnung bedeutet das noch nicht.

Denn schon jetzt treffen die aktuelle Geldentwertung und die gestiegenen Preise die Menschen mit geringeren Einkommen so stark, dass es teilweise ans Ersparte geht. Wenn 2023 die Strompreise um durchschnittlich 27 Prozent, die Krankenkassen-Prämien um 6,6 Prozent steigen, werde das für die Ärmsten besonders hart, warnt der ETH-Ökonom.

Winterhalbjahr 2023 ist entscheidend

Mit dem Winterhalbjahr stehe laut Sturm ein „Wendehalbjahr“ bevor. Das bedeutet: Nach ein paar harten Monaten stehen die Zeichen auf Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz werde im kommenden Jahr nur noch um 0,7 Prozent wachsen (2022: 2,3 Prozent), in Europa um 0,3 Prozent. Gleichzeitig werde die Inflation wieder anziehen und im Winter eine Höchstmarke von über 3,5 Prozent erreichen.

Für das gesamte Jahr allerdings geht Sturm 2023 von einer Inflationsrate von 2,2 Prozent aus, 2024 von 0,8 Prozent. Die Konsumentenpreise würden insgesamt zwar weiter anziehen, jedoch stetig – und nicht mit Sprüngen, wie sie die Verbraucher noch im ersten Halbjahr 2022 erlebt haben. Auch das Wirtschaftswachstum wird in der Schweiz 2024 wieder kräftiger ausfallen, Sturm prognostiziert ein um 2,1 Prozent wachsendes BIP.

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Um eine Krise zu überwinden, brauche es immer seine Zeit, sagt Jan-Egbert Sturm. Global gesehen habe es nach der Finanzkrise 2007 zwei Jahre gedauert, um das Vorkrisenniveau zu erreichen.

Bei der Coronakrise hingegen lief es schneller: Auf einen rasanten Absturz folge relativ bald ein regelrechter Boom, bei dem die Firmen teilweise gar nicht mithalten konnten, und der bis heute andauert.

Derart rasant wird es bei der aktuellen Energiekrise zwar nicht wieder gehen, trotzdem sieht Sturm langfristig einen Aufwärtstrend, der spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2023 einsetzt – nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.