Wenn bei den Paralympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro um Gold gekämpft wird, ist auch diese junge Frau vom Bodensee dabei: die Konstanzerin Alina Rosenberg. „Es wäre utopisch zu sagen, dass ich hundertprozentig mit einer Medaille heimkomme. Da gehört immer auch Glück dazu“, sagte die 24-Jährige vor ihrer Paralympics-Premiere realistisch, aber nicht ohne eine gehörige Portion Optimismus: „Ich glaube schon, dass es gut laufen könnte. Eine Medaille wäre schön im Team.“ Erst einmal will sich Rosenberg aber einen der vier begehrten Plätze sichern. Schließlich sind fünf deutsche Dressurreiter mit in Brasilien, die zwar alle im Einzel starten, von denen im Mannschaftswettkampf aber einer zuschauen muss.
Seit Anfang September ist die junge Konstanzerin vor Ort in Südamerika, bei den größten und wichtigsten Wettkämpfen ihrer Karriere, die eigentlich als Therapie begann. Alina Rosenberg leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Diplegie in Beinen, Schultern, Nacken und Armen. Ihre Mutter Claudia gründete 1994 den Reitverein TRAB (Therapeutisches Reiten am Bodensee) mit. Der Sport diente dem Wohlbefinden – und weckte den Ehrgeiz ihrer Tochter. Heute ist Alina mehrfache Deutsche Meisterin in ihrer Wettkampfklasse 1B.
Vor vier Jahren war ihr Traum von den Spielen in London noch geplatzt. Sie wurde trotz des Gewinns der nationalen Meisterschaft nicht nominiert und dachte zwischenzeitlich gar an das Karriereende. Doch das ist längst vergessen. Zu groß ist die Freude. „Alle träumen von Olympia, mehr gibt’s nicht“, sagt sie und strahlt, „schon die Einkleidung in Hannover war etwas ganz Besonderes.“
Nur des schönen Wetters und der neuen Klamotten wegen nimmt die 24-Jährige den 10000-Kilometer-Trip in den brasilianischen Südosten aber nicht auf sich. Alina Rosenberg will mit dem Rückenwind einer erfolgreichen Saison in ihre drei Prüfungen gehen. Nach dem Tod ihres Pferdes Magellan, mit dem sie ihre größten Erfolge gefeiert hatte, war die Konstanzerin lange nicht mehr auf internationalen Wettkämpfen. Gerade noch rechtzeitig hat sie aber neues Selbstvertrauen getankt und auf den großen paralympischen Bühnen reüssiert. Seit Januar reitet sie nun auf Nea’s Daboun, einem sieben Jahre alten Oldenburger.
Zwischen den beiden hat sofort alles gepasst, was überaus wichtig ist bei einer so sensiblen Zweier-Beziehung. „Am Anfang ging mir schon die Düse: Habe ich die Kraft für ein so großes Pferd? Ich habe nun mal ab und an meine Spastiken, und wenn ein Pferd sehr sensibel darauf reagiert, werde ich schnell unsicher“, sagt die Reiterin selbst. „Er muss eine bestimmte Grundtoleranz haben, um damit klarzukommen.“ Was der 1,76 Meter große „Bouny“, wie Alina ihn liebevoll nennt, zweifellos hat. „Sobald ich die Füße auf dem Boden habe, ist es was anders“, sagt Rosenberg und lacht – im Sattel allerdings vertraut ihr der neue Partner blind. „Er ist ein Teamplayer und sehr verspielt“, erklärt ihre Mutter Claudia Rosenberg, „sobald Alina drauf ist, ist er aber hochkonzentriert.“
Schnell stellten sich so erste Erfolge ein. Die beiden holen zwei Siege im italienischen Somma di Campagna, wo sie zudem einmal auf Rang zwei landen. Also begann Alina langsam, im Rahmen ihres dualen Studiums „Soziale Arbeit“ den Urlaub zu horten, je größer die Chancen auf eine Nominierung für Rio wurden. „Der nächste Meilenstein“, sagt sie, war der Sieg gegen Pepo Puch in Mannheim, wo sie mit Nea’s Daboun zudem Zweite und Dritte wurde. Der Österreicher Puch ist einer von Rosenbergs größten Konkurrenten und eines ihrer sportlichen Vorbilder. Der 50-jährige Bronze- und Goldgewinner von London ist einer der erfolgreichsten paralympischen Dressurreiter und war, bevor er 2008 bei einem Reit-Unfall eine inkomplette Querschnittslähmung erlitt, auch für Kroatien bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen am Start. Weitere starke Konkurrenz kommt aus Dänemark, den Niederlanden und Titelverteidiger Großbritannien. Hier besonders in Person von Lee Pearson, der neun Goldmedaillen bei den Paralympics in Athen, Sydney und Peking sowie sechs Weltmeister- und drei Europameistertitel gewann und auch national erfolgreich gegen nichtbehinderte Konkurrenten antritt.
Mit ihnen wird sich Alina Rosenberg am 11., 14. und 16. September im brasilianischen Dressurviereck messen, in der Hoffnung auf Edelmetall beim Paralympics-Debüt. „Ich habe alles getan, was man tun konnte. Ich kann angstfrei sein und will das zeigen, was ich auch zuhause zeige“, sagt sie, „wenn ich dann am Ende mit einer Medaille heimkomme, wäre ich die Letzte, die sich beschwert.“ Auf der einen Seite sei natürlich der sportliche Druck bei den Paralympics besonders groß, „aber ich will auch einfach genießen können, dass ich überhaupt dabei bin.“