Ein Turban ist weder ein Hut noch eine Mütze. „Ich kann ihn nicht einfach auf- und absetzen“, sagt der Mann vor dem Mannheimer Verwaltungsgerichtshof. Er ist Anhänger der Sikh und will den Turban beim Motorradfahren nicht gegen einen Helm tauschen. Die Klage gegen seine Heimatstadt Konstanz, die keine Ausnahme erlaubt, hat das Verwaltungsgericht Freiburg schon abgewiesen. Jetzt kämpft der Sikh am Mannheimer Verwaltungsgerichtshof (VGH), dem höchsten Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg, um den Turban beim Motorradfahren. Glaubensfreiheit gegen Helmpflicht – eine Entscheidung soll spätestens in vier Wochen fallen.
Untergeschoss des Verwaltungsgerichtshofs, Saal III. Der bärtige Mann trägt einen weißen Turban und ein Hemd, unter dem eine Halskette hervorblitzt. Dazu eine beige Hose und Sandalen. Wie alt der Sikh ist, verrät er nicht. Er lebt in Konstanz, dort verdient er sein Geld als Yoga-Lehrer und ist zertifiziert im Gongspielen. Mit der Sikh-Religion befasst sich der Deutsche seit 2005, nach den strengen Regeln lebt er seit 2012.
Der Kläger fährt das ganze Jahr über mit dem Motorrad
Einen Autoführerschein besitzt er, einen Transporter auch, aber den nutzen hauptsächlich Familienangehörige. Den Turban muss er sich jeden Tag neu binden, die Religion verbietet es, ihn abzusetzen – und wenn, nur zum Schlaf. Dann muss der Kopf mit einem Tuch verdeckt sein.
Sikhs schneiden sich aus Respekt vor der Schöpfung bis zum Lebensende nicht die Haare. Sie bedecken und schmücken sie mit einem Turban. Das Problem: Über die religiöse Kopfbedeckung passt kein Motorradhelm der Welt. Also will der Sikh keinen tragen und braucht dafür eine Ausnahmegenehmigung von der Stadt Konstanz als Verkehrsbehörde vor Ort. Doch die sträubt sich, Rückendeckung kommt vom Verwaltungsgericht Freiburg.
Richard Rudisile, Vorsitzender Richter am Mannheimer Verwaltungsgerichtshof, macht klar: Bei dieser Verhandlung geht es um das Recht auf Religionsfreiheit, Grundgesetz, Artikel 4. Darf der Staat eingreifen und einem Sikh beim Motorradfahren den Turban verbieten? Wäre das religiöse Leben tiefgreifend eingeschränkt? Und was ist mit dem Schutz des Motorradfahrers durch den Helm? Schließlich soll er schwere oder gar tödliche Kopfverletzungen verhindern. Auch ein mögliches Trauma könnte anderen Unfallbeteiligten erspart bleiben. Steht die Religionsfreiheit über alldem?
Die deutsche Straßenverkehrsordnung regelt bislang nur, dass es Ausnahmen von der Helmpflicht aus gesundheitlichen Gründen geben kann; bei Nackenschmerzen zum Beispiel. Die Verkehrsbehörden können das nach eigenem Ermessen entscheiden. Konstanz hatte 2011 und 2015 in zwei Fällen Ausnahmen von der Helmpflicht aus gesundheitlichen Gründen erlaubt. Darauf beruft sich der Sikh: Wenn Gesundheit ein Grund ist, dann erst recht Religion. Allerdings zweifeln die Richter in Mannheim daran, ob die zuständige Straßenverkehrsbehörde in Konstanz ihre Ermessensspielräume korrekt ausgeübt hat.
Das Wort Religionsfreiheit kommt in der deutschen Straßenverkehrsordnung nicht vor. Deshalb könnte der Mannheimer VGH hier eine richtungsweisende Entscheidung treffen. Sollte der Sikh unterliegen, könnte er noch vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ziehen. Bleibt der Erfolg aus, wäre noch ein Gang nach Straßburg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte möglich. „Es ist alles ausgetauscht, was auszutauschen war“, sagt Klägeranwalt Sylvester Krämer. „Warten wir ab, was herauskommt.“ (VGH Mannheim, Az.: 10 S 30/16).
Die Sikhs und ihre Haare

Bis zu 27 Millionen Menschen sind gläubige Sikhs. Die monotheistische Religion, beheimatet im Norden Indiens, geht auf den im 15. Jahrhundert lebenden Guru Nanak zurück. Für die Sikhs sind Haare ein Heiligtum. Sie dürfen sie nie schneiden, denn sie sind ein Zeichen für die Nähe zu Gott. Deshalb werden die Haare zu einem Dutt gedreht und mit einem Turban verdeckt. Das Gebot der ungeschnittenen Haare gilt von Kindheit an.