Der Maler Francisco de Goya hat es auf den Punkt gebracht, er schrieb: „Ich habe weder Angst vor Geistern noch vor Hexen oder Gespenstern. Ich fürchte keine Kreatur außer: den Menschen.“ Goya musste es wissen, er hat die spanische Inquisition am eigenen Leib fürchten gelernt, er zeichnete geflügelte Dämonen, die den Menschen des Nachts heimsuchen und quälen. Und doch war sich der spanische Künstler (1746 bis 1828) sicher: Der Mensch ist das größte Ungeheuer. Er bringt die schrecklichsten Gebilde hervor. Die flatternden Geister, Mischwesen und mythologischen Tiere sind Ausgeburten der eigenen Fantasie. Es gibt keine Hexen, es sei denn, man erfindet sie.
Eine neue Ausstellung in Überlingen nimmt sich nun die „Monster und Geister“ (so der Titel) vor. Es ist eine farbige Zusammenschau der wichtigsten Phänomene dieser Art. Vom abstoßenden Mischwesen bis zur übersinnlichen Erscheinung ist in dieser Saison im Stadtmuseum alles präsent, was im Dunkelreich Rang und Namen hat.
Die letzte Hexe in der Schweiz
Eine gewisse Ausnahme bilden dabei die Hexen. Sie waren real und keine Hirngespinste. Meist handelte es sich um harmlose Frauen, die der Hexerei bezichtigt wurden. Der Vorwurf lautete in der Regel auf Schadenszauber: Sie sollen die Ernte des Nachbarn, seine Kinder oder seine Ehe verflucht haben.
Die Anschuldigung war schnell erhoben, die Widerlegung umso schwerer. Bis weit in die Neuzeit hinein wurden Frauen unter diesem Vorwand angeklagt und hingerichtet. Die letzte Hexe in der Schweiz war Anna Göldi. Sie wurde im Kanton Glarus 1782 hingerichtet. Göldi diente als Magd und soll Stecknadeln in das Essen der Herrschaft gezaubert haben, hieß es. – In Endingen am Kaiserstuhl fand 1751 eine der letzten Hinrichtungen auf dem Boden des Deutschen Reiches statt.
In Europa sind Hexen damit ein abgeschlossenes Kapitel, auch wenn umgangssprachlich immer wieder Menschen als „Hexe“ bezeichnet werden. Auch der Hexenschuss hält sich als Redewendung aufrecht – er steht für stechenden Schmerz im Lendenwirbelbereich. Die Erinnerung an die Verfolgung weiser oder nicht weiser Frauen wird nicht zuletzt durch manche Figur der Fasnacht wachgehalten.

In anderen Kontinenten dagegen werden bis heute Menschen wegen Schadenszauber belangt. Die katholische Organisation Missio hat in einer Kampagne 2017 darauf aufmerksam gemacht, dass auf Papua-Neuguinea der Hexenglaube fröhliche Urständ feiert.
Missio dokumentierte das Fortwirken der Verfolgungen auch mithilfe von eindrucksvollen Bildern. Eines davon zeigt Margret. Auf dem Foto wirkt sie wie abwesend. Sie wurde gefoltert, aber nicht verurteilt. Auch ihr wurde Schadenszauber vorgeworfen – ein Vorwurf, der sich leicht erheben lässt, da immer etwas schiefgeht in der Welt und auf Papua-Neuguinea. In 30 Ländern weltweit werden Frauen unter diesem Vorwurf verfolgt, Stand 2017.
Vom Monster bis zum Vampir
Andere Phänomene aus dem Dunkelreich sind deutlich harmloser. Seit der Antike beleben Monster die Fantasie der Menschen und suchen sie in ihren Träumen heim. Monster sind Mischwesen, und nicht alle sind unheimlich. Die Sphinx ist eines davon, ein Löwenkörper mit Menschenkopf. Auch an vielen Staatswappen sind diese wilden Kreuzungen vertreten. Das alte badische Wappen wurde traditionell von zwei Greifen gehalten. Der Greif ist ein Herrschaftstier, da er die Eigenschaften zweier königlicher Tiere vereinigt (halb Löwe, halb Adler). Im Wappen des Landes Baden-Württemberg spielt er bis heute mit; insofern spielen monströse Ideen bis heute eine Rolle, Stand 2018.
Weniger harmlos sind Vampire und damit die Gruppe der Untoten. Sie entspringen einer uralten menschlichen Furcht, nämlich die: Dass die Toten nicht wirklich tot sind. Sie treiben ihr Unwesen fort. Sie stören die Lebenden beim Leben, das sie nun einmal oberhalb der Grube verbringen. Vampire und Co. spiegeln auch den Stand der damaligen Medizin: Es gab noch keine Leichenschau, die den Tod zuverlässig feststellte. Die Furcht, eines Tages lebendig begraben zu werden, gehört in diese beklemmende Welt hinein.
Die schönste Ausformung des Vampirs ist Dracula oder – mit seinem Film- und Künstlernamen – Nosferatu. Der Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau von 1922 hat dem Aristokraten unter den Wiedergängern ein Denkmal gesetzt. Man kann ergänzen: ein unsterbliches Denkmal, da der Graf ja immer wieder aus dem Grab klettert.
Häufig entsprangen Mischwesen dem verbreiteten Unwissen
Nosferatu mit Spitznase und scherenförmigen Händen darf in der Ausstellung in Überlingen nicht fehlen. Im Gegensatz zur Hexe ist der Graf eine literarische Figur. Der Schriftsteller Bram Stoker schuf ihn und setzte damit einen wirkungsvollen Höhepunkt des Kapitels der Schwarzen Romantik.
Stoker ist Brite, und Briten haben Schauer- und Gruselroman maßgeblich entwickelt. Zarte Autorinnen wie Jane Austen („Northanger Abbey“) oder die Schwestern Brontë haben daran mitgewirkt. Keine Schlossmauer ohne Weiße Frau, die keine Ruhe findet – eine ferne, wenn auch zivilisierte Verwandte des Grafen Dracula.

Auch deutsche Schriftsteller berauschten sich ab etwa 1800 an der Schwarzen Romantik. E. T. A. Hoffmann ist nicht nur ein viel zerlesener Autor in der gelben Reclam-Schulliteratur. Als Schilderer des Grauenvollen hat er Maßstäbe gesetzt.
Häufig entsprangen Mischwesen dem verbreiteten Unwissen. Die moderne Zoologie und ihre Systematik kamen erst während der späten Aufklärung auf. 1735 veränderte ein Buch die Welt. Es war das „Systema naturae“ (System der Natur) des Naturforschers Carl von Linné, das später in 12 Auflagen erscheinen sollte. Zum ersten Mal sind in diesem Werk Pflanzen, Tiere und Mineralien in ihrer Vollständigkeit verzeichnet und in einen Zusammenhang gebracht. Linnés epochales Werk verzeichnete kein einziges Monster – weil es keine gab.
Untersuchungen ohne Ergebnis
Trotz solcher analytischer Pioniertaten wurden Legenden von wunderlichen Lebewesen bis weit ins 19. Jahrhundert für wahr genommen. Da gibt es das Phantom des Schwanzmenschen, der in Verlängerung des Steißbeins angeblich einen Schwanz trug. Für viele Europäer war dessen Existenz eine Tatsache, auch wenn ihn niemand gesehen hatte.
Schließlich wurde Indonesien als Reservat dieser seltenen Spezies angenommen. Das war wiederum weit genug weg, um die Behauptung aufrechtzuhalten. Die Entfernung erwies sich als solide Voraussetzung, um die Naturlegende fortzuspinnen. Sie gehört in dieselbe Kategorie wie der Waldmensch, der durch viele Fabeln und Märchen des Mittelalters geistert. Der Waldmensch („homo silvestris“) ist völlig behaart. Er geht aufrecht, ähnelt aber sonst einem Tier. Im Wirtshausnamen „Wilder Mann“ lebt der Schrat bis heute fort. Tatsächlich gegeben hat es ihn wohl nie, sonst müssten Archäologen bequem auf Knochen- und Siedlungsspuren stoßen.
Der Waldmensch war nie schädlich. Das ist beim Teufel schon anders. Dieser verkörpert ein Prinzip: die Welt des Bösen, der Sünde und Verneinung. In der Ausstellung wird deshalb auch die historische wie auch die aktuelle Teufelskunde besprochen. Im Gegensatz zu vielen Fantasy-Figuren oder mythischen Gestalten steht der Teufel mit mindestens einem Bein in der Gegenwart. Im gültigen Katechismus der katholischen Kirche wird er 20 Mal erwähnt. Er ist kein Geist und keine Idee, sondern eine reale Person. Papst Benedikt XVI. hat das zuletzt hervorgehoben. Deshalb auch kann der Teufel nach dieser Lehre von einem Menschen Besitz ergreifen – und durch Fachleute wieder ausgetrieben werden. Dafür werden Exorzisten ausgebildet.
Hier liegt die einzige Schwäche der üppig-düsteren Überlinger Ausstellung: Der Themenkreis Teufel und Teufelsaustreibung (Exorzismus) wird überbetont. Denn in der katholischen Praxis nördlich der Alpen spielt er heute kaum eine Rolle mehr. Es ist nicht so, dass Christen massenhaft vom Teufel gepackt würden und der Ruf nach dem Exorzisten täglich laut würde.
Die Ausstellung
Unter dem Titel „Monster und Geister. Vom Mittelalter bis heute“ zeigt das Stadtmuseum Überlingen (Krummebergstraße 20) 100 Skulpturen, Dokumente, Fotografien und magische Objekte zum Thema. Spannend sind auch die modernen Gemälde (großteils Leihgaben), die das Fantastische ins Bild rücken. Sie machen das Thema lebendig, auch zum sinnlichen Erlebnis. Geöffnet hat die Schau von 9 Uhr bis 12.30 Uhr und von 14 Uhr bis 17 Uhr (außer montags). Besuchen kann man diese bis Dezember. (sk)
Schon gewusst?
Circe (auch Kirke) war eine Zauberin im griechischen Mythos, die mit ihren Gefährtinnen auf einer einsamen Insel lebte – bis die Freunde des Odysseus auf der Heimfahrt von Troja auf der Insel anlandeten. Circe misstraute den Fremden und bewirtete sie mit einer betäubenden Speise. Ihren Schlaf nutzt sie und verwandelte sie in Schweine. Odysseus brauchte ein Jahr, um sich von der gefährlichen Frau und ihren dunklen Künsten zu lösen. – Von Circe stammt das Wort bezirzen – also verzaubern, umschmeicheln, verwandeln. (uli)