Ulrich Reinders steht in der Fertigungshalle des Wittener ZF-Werks und kann seine Freude nicht verbergen. „Ich drücke es jetzt mal flapsig aus“, sagt der 47-jährige ZF-Standort-Chef. "Mit dem, was dort im Hintergrund zu sehen ist, sind wir in der Windkraft an der Spitze der Nahrungskette.“ Hinter Reinders steht das größte in Serie gefertigte Windradgetriebe der Welt. Sieht man es nüchtern handelt es sich dabei um ein Stück Metall, das in etwa die Ausmaße eines mittleren Trafohäuschens, Zahnräder in der Größe eines Wäschetrocknerns und das Gewicht zweier vollbeladener Sattelzüge hat. Sieht man es eher emotional wie Reinders, steht dort ein „Baby“, das das Zeug dazu hat, zum "Herzstück" von Hunderten von Windanlagen zu werden, die aktuell vor Europas Küsten errichtet werden.

Mit einer Nennleistung von acht Megawatt kann das Gerät nämlich Kräfte übertragen, die noch vor wenigen Jahren als nicht zähmbar galten. Daher ist die Technologie für die extremen Anforderungen der sogenannten Off-Shore-Windkraft prädestiniert. Die in Küstengewässern installierten Anlagen fangen mit Rotordurchmessern von rund 200 Metern den Wind ein und können so bei günstiger Witterung Strom für bis zu 15 000 Haushalte jährlich zu Verfügung stellen.

Die Friedrichshafener ZF, die landläufig nur als Automobilzulieferer bekannt ist, hat sich in den vergangenen Jahren in diesem Geschäft als Schlüssellieferant etabliert. Aktuell bezeichnet sich ZF gar als größter Windradgetriebebauer der Welt, wobei die Konkurrenten – die chinesische Firma Nanjing Highspeed und die deutsche Siemens – den Baden-Württembergern ziemlich nahe sind. Allerdings ist ZF derzeit auch dasjenige Unternehmen, das mit dem 71,5 Tonnen schweren Acht-Megawattgetriebe das perspektivisch sogar bis auf 12 Megawatt aufgebohrt werden kann, den Kaventsmann der Windrad-Schaltboxen im Programm hat.

Dass eigentlich niemand so recht von dem exotischen ZF-Geschäftsfeld weiß, verwundert insofern, hat aber natürlich auch seinen Grund. Jahrelang war man um zu viel Öffentlichkeit nämlich gar nicht bemüht. Bildlich gesprochen dümpelte das ZF-Windgeschäft wie ein Schoner in den Rossbreiten. Zwischen 2012 und 2013 halbierten sich die ZF-Umsätze in dem realtiv jungen Geschäftsfeld sogar glatt. Seitdem geht es allerdings wieder bergauf. In den letzten drei Jahren hat sich der Umsatz auf 820 Millionen Euro vervierfacht, und ZF-Konzern-Chef Sommer sagte Ende vergangenen Jahres vor Journalisten in Stuttgart, die Windkraft mache "wieder richtig Spaß".

Kein Wunder. Ausgehend vom Branchen-Horrorjahr 2013 hat der Neubau von Windanlagen weltweit bis Ende 2015 um rund 75 Prozent zugelegt. Zwar sind die Zuwächse vergangenes Jahr wieder etwas zurückgegangen, die breite Mehrheit der Experten prophezeit der Windenergie aber eine glänzende Zukunft, auch weil die Preise für Windstrom immer konkurrenzfähiger gegenüber Energie aus fossilen Meilern werden. Mit 486 Gigawatt überstieg die installierter Leistung aller Windmühlen der Welt zuletzt diejenige von Kernkraftwerken (419 Gigawatt) deutlich. Allerdings produzieren die schlanken Giganten weniger Strom, weil der Wind eben nicht immer weht.

Auch bei ZF, das sein Windgeschäftsfeld nach der Übernahme des belgischen Getriebebauers Hansen 2011 und dem Kauf der Großgetriebesparte von Bosch Rexroth 2015, an den Standorten Lommel in Belgien und Witten in Nordrhein-Westfalen gebündelt hat, ist man optimistisch. Im Wittener Werk wartet gerade die Hundertste der Acht-Megatwatt Getriebeboxen auf ihre Auslieferung. Und die Produktion soll "deutlich nach oben gefahren werden", wie ZF-Mann Reinders sagt.

Um sich einen technologischen Vorsprung zu sichern, geht das Stiftungsunternehmen jetzt daran, seinen Windgetrieben Intelligenz einzuhauchen. Die nächste Generation der Schaltboxen soll mit Sensoren ausgerüstet werden, die wichtige Parameter wie Drehmoment oder Torsion so exakt messen, dass ZF sich eine Prognose über die Lebensdauer der Anlagen zutraut und darüber hinaus die mechanische Belastung der Bauteile durch geschickte Anlagensteuerung reduzieren kann. Man arbeite darauf hin einen "Getriebetausch während der Gesamtlebensdauer der Windanlage zu vermeiden", sagt etwa Dirk Strasser, der bei ZF in Witten die Getriebeentwicklung verantwortet.

Vor dem Hintergrund, dass der Austausch eines der riesigen Offshore-Windgetriebe schon einmal mit einer Million Euro zu Buche schlagen kann, wäre allein das ein entscheidendes Verkaufsargument.

Mit oder ohne Getriebe?

In rund 80 Prozent der Windräder setzen Getriebe die riesigen Kräfte, die auf den Rotor wirken, um. Rund 20 Prozent der Anlagen werden getriebelos konstruiert. Der deutsche Windrad-Marktführer Enercon mit Sitz in Aurich (Ostfriesland) baut seine Modelle nach diesem Prinzip, ebenso wie der chinesische Branchenriese Goldwind. Und auch der Industriekonzern Siemens ist in Teilen auf die Technologie umgeschwenkt. Als Vorteil der getriebelosen Anlagen schlägt ein geringeres Gewicht und die Wartungsfreundlichkeit zu Buche. Allerdings kommen in ihnen seltene Erden zum Einsatz, was die Windräder teuer macht. (wro)