Morgen wollen sie auf die Straße gehen. Die YouTuber, Twitterer, Instagrammer und Facebooker. Weil sie um ihre virtuelle Welt fürchten, mit der sie aufgewachsen sind. Tausende junge Menschen demonstrieren deshalb in Deutschlands Großstädten – von Stuttgart bis Berlin. Unter dem Hashtag „SaveYourInternet“ lassen sich User wütend über die in Brüssel aus, die sich wieder einmal einmischen müssen: Denn die EU plant eine Reform, die das Internet verändern wird.

Demonstration des Bündnisses «Berlin gegen 13».
Demonstration des Bündnisses «Berlin gegen 13». | Bild: Christoph Soeder

Es geht um den Urheberschutz, der erneuert werden soll. Was langweilig klingt, beherrscht derzeit die Debatten im Netz. Stein des Anstoßes: Artikel 11 und 13 der geplanten Urheberrechtsreform, die vermeintlich die Internetzensur einführen. Tatsächlich geht es darum, die Plattformen in die rechtliche Verantwortung für die dort geteilten Inhalte zu nehmen. User fürchten jedoch, die Meinungsfreiheit werde eingeschränkt, das Internet zerstört oder gar ganz abgeschaltet.

Wachsende Macht

Doch sind die Behauptungen berechtigt oder falsche Panikmache? Facebook, YouTube und Twitter leben davon, dass Inhalte von Dritten gepostet und geteilt werden – ihre Milliardengewinne machen sie mit Werbung. Für ihr Geschäft nutzen die Konzerne auch die journalistischen Inhalte von Medienhäusern, ohne etwas dafür zu bezahlen. Artikel 11 der Reform will das nur noch in geringem Umfang erlauben – oder die Suchmaschinen müssen eine Lizenz der Medienhäuser erwerben.

Google machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von knapp 137 Milliarden Dollar. Das Internet bietet viele Möglichkeiten, sich kostenlos zu informieren – daran hat man sich gewöhnt. Doch der Effekt ist schon heute sichtbar: Medienhäuser schließen sich zu immer größeren Konglomeraten zusammen, um zu überleben. Die Nachrichtenvielfalt wird so kleiner und kleiner – eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie in Deutschland.

Dagegen steht die wachsende Macht der Internetriesen. Allen voran Google-Tochter YouTube – mit 1,9 Milliarden Nutzern monatlich und einem geschätzten Jahresumsatz von zwölf Milliarden Dollar. In Deutschland ist die Video-Plattform extrem beliebt bei den Jugendlichen: 64 Prozent der deutschen 12- bis 19-Jährigen nutzen YouTube täglich.

YouTube als wichtiges Medium

Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung hat gemessen, dass Nutzer über 18 Jahre YouTube-Videos täglich 33 Minuten ansehen. Dagegen stehen lediglich zwei Minuten bei den Mediatheken der klassischen Fernsehsender. Kein Wunder also, dass die Jugend auf die Straße geht und sich für ihr Medium einsetzt. YouTube-Chefin Susan Wojcicki heizte die Stimmung selbst an. Sie behauptete, die Reform sei eine „klare Bedrohung“ der Meinungsfreiheit. 35 Millionen kleine Kanäle könnten von der Abschaltung bedroht sein, behauptete sie. Doch was ist dran an den Befürchtungen?

In der kommenden Woche will das Europäische Parlament in Brüssel über die Reform abstimmen. Sollte das Europäische Parlament für die Reform stimmen, tritt diese übrigens erst zwei Jahre später in Kraft. So lange haben die Mitgliedstaaten der EU Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. Die Neuaufstellung des Urheberrechts ist das Ergebnis langjähriger Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten der EU – am Ende steht ein Kompromiss, der schon allein deshalb nicht perfekt sein kann.

Aber er ist ein Anfang – und ein notwendiger, wie auch das Medienhaus SÜDKURIER findet. Denn bislang tauchen auch unsere Inhalte auf Foren auf, manchmal werden so ganze Artikel kopiert und kostenlos geteilt. Das ist illegal – auch heute schon. Was sich ändert: Bislang sind die Nutzer selbst haftbar für das, was sie ins Netz stellen. In Zukunft sollen die Plattformen, die mit den Inhalten Geld verdienen, dafür haftbar gemacht werden, wenn gegen das Urheberrecht verstoßen wird.

Verschlafene Entwicklung

Richtig ist, dass die Politik viel zu lange gebraucht hat, um die Gesetze der digitalen Entwicklung anzupassen. Die derzeit geltenden Gesetze stammen aus 2001 – und schon damals war man sich einig, dass nachgebessert werden muss. Im Jahr 2019 soll nun endlich die dringend nötige Reform kommen. Konkret geht es um eine faire Bezahlung der Urheber, die mit ihren Filmen, ihrer Musik, ihren Artikeln und Blogs das Internet bereichert und zu dem gemacht haben, was es ist. Und genau deshalb geht die geplante Reform des Urheberschutzes alle etwas an.

Zurück zu YouTube: Experten schätzen, dass die Google-Tochter in Europa 20 Prozent seines Umsatzes macht. Das Unternehmen weiß um seine Attraktivität in Europa – eine harsche Zensur, nur um Urheberrechtsklagen zu verhindern, würde ihm ins eigene Fleisch schneiden. Die Wirtschaftswoche geht davon aus, dass der Konzern in den kommenden Jahren deshalb eher mehr Geld in Lizenzverträge und die Kontrolle der eigenen Kanäle investieren wird. Kontrolle heißt aber nicht Zensur.

Content ID bedeutet nicht Zensur

Schon heute prüft YouTube mit der Software Content ID: „Auf YouTube hochgeladene Videos werden geprüft und mit einer Datenbank verglichen, in der Dateien gespeichert sind, die von Rechteinhabern an uns übermittelt wurden“, erklärt das Unternehmen selbst. Was durch Lizenzen abgedeckt ist, muss demnach nicht mehr aus dem Netz genommen werden.

Mit seinem Programm dürfte YouTube seinen Gewinn sogar noch erweitern, indem sie die Software anderen anbietet – gegen Lizenzgebühr. Das Interesse von Unternehmen, auf YouTube Werbung zu platzieren, steigt mit jedem Klick. Warum also sollten diejenigen, deren Werke dort genutzt, geremixt, ausschnittweise gezeigt werden, nicht an den Gewinnen beteiligt werden?

Uploadfilter noch nicht ausgereift

Richtig ist, dass Uploadfilter heute noch nicht alles können. Dafür hat der Gesetzgeber Beschwerdeverfahren vorgeschrieben. Die Plattformen sind so gezwungen, schnell zu reagieren, wenn ein Inhalt fälschlicherweise herausgefiltert wurde. Parodien, Satire, das Zitatrecht – sie alle sind von der Neuregelung nicht betroffen. Nutzer dürfen auch weiterhin Links posten und auf Artikel verweisen.

Ebenso sind sogenannte GIF, also kurze Videos in Endlosschleife oder Memes, die aus Bildern, Videos oder Texten entstehen und sich in kurzer Zeit im Netz verbreiten, ausgenommen. Selbst Wikipedia, die Online-Enzyklopädie, ist nicht betroffen, weil sie keine kommerziellen Ziele verfolgt. Trotzdem schaltete sie gestern aus Protest für 24 Stunden ihren Dienst ab.