Wolfgang Gedeon im Stuttgarter Landtag: Man sieht einen grauen Mann im bunten Jackett, der ganz hinten rechts sitzt. Getrennt von der AfD, deren Fraktion nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Gedeon ist sozusagen eine Ein-Mann-Fraktion. Er ist mutterseelenallein, könnte man meinen. Doch der Eindruck täuscht. In der Tiefe im Wahlkreis Singen-Stockach, zwischen Höri und Hohentwiel, ist er zuhause. Bei seinen Politischen Abenden zieht er zuverlässig eine Hundertschaft an Zuhörern und Unterstützern an. Der Saal ist voll.

Den Werdegang dieses Mannes können jene Menschen, die ihn seit Langem kennen, nur schwer verstehen. Er stammt aus einer tiefkatholischen Familie im bayrischen Cham. Später, nach dem Examen als Mediziner, arbeitete er als Internist in Gelsenkirchen. Als Arzt war er beliebt, er genoss hohes Ansehen, weil er auch Menschen mit mangelhafter Krankenversicherung kostenlos behandelte. 2005 stellte er diese Tätigkeit ein und siedelte in den Kreis Konstanz um. Acht Jahre später trat er der neuen AfD bei. Es war die Partei, auf die er lange gewartet hatte.

Der Partei-Philosoph

Wolfgang Gedeon sieht sich als politischer Philosoph, der mit dicken Wälzern die Welt vom Kopf auf die Füße stellen will. Dabei sind seine Gedanken nicht ganz neu. Sie rühren alte Verschwörungstheorien frisch auf, vermengt mit Esoterik. Das wäre alles kein Problem, wenn nicht der Vorwurf des Antisemitismus im Raum stünde.

Sein Trick dabei: Er wettert nie offen gegen Juden oder jüdisches Leben in Deutschland. Das wäre zu auffällig. Seine Formel ist vielmehr der Zionismus, hinter dem er seine Ablehnung alles Jüdischen steckt. In seinem dreibändigen Opus „Christlich-europäische Leitkultur“ beispielsweise beschäftigt er sich mit den „Protokollen der Weisen von Zion“. Die 80 Seiten dieser Protokolle sind längst als Fälschung entlarvt. Sie wurden hergestellt, um die Juden in Misskredit zu bringen. Die „Protokolle“ berichten von einem Gremium (den „Weisen von Zion“), die den Juden zur Weltherrschaft verhelfen wollten. Die Mittel dafür: Geld und nochmals Geld, dazu die Presse, die gefügig gemacht wird (siehe Zitat).

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Diese „Protokolle“ sind ein Machwerk von Antisemiten, und vieles weist auf den zaristischen Geheimdienst als Fälscherwerkstatt hin. Gedeon freilich argumentiert allen Ernstes mit diesen Fälschungen. Er sieht die Welt von den Zionisten (also Juden) bedroht. Dass seine Zeitgenossen diese Bedrohung nicht in dieser Klarheit sehen, bedrückt ihn. Deshalb schreibt er Buch um Buch – als vermeintlich Weiser über den Niederungen der geschäftigen Politik stehend.

Auch bei der Gruppierung „Juden in der AfD“ wittert er eine „zionistische Lobbyorganisation“. Übersetzt heißt das: Juden könnten in die AfD eintreten und unter diesem Deckmäntelchen die Politik Israels betreiben. Ein Gedanke, der abseitig ist. Doch damit nicht genug: „Ich finde auch Schwule in der AfD nicht gut, auch eine Gruppe der Christen halte ich nicht für zielführend,“ wandte er in Anspielung auf die „Christen in der AfD“ ein.

Ein "Denkmal der Schande" nannte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das Bild zeigt Trachtenträgerinnen ...
Ein "Denkmal der Schande" nannte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das Bild zeigt Trachtenträgerinnen aus Schleswig-Holstein, die das Denkmal besichtigen. | Bild: Jens Büttner (dpa)

Trotz dieser Verschrobenheiten hat er Zulauf. Robust geht er in die Auseinandersetzung mit den Größen der AfD. In einer Mitteilung schrieb er vor einigen Tagen: „Schon Lucke und später Petry wollten mich aus der Partei raushaben. Die beiden sind weg, ich bin noch da. Auch im Fall Weidel ist noch längst nicht entschieden, wer rausfliegt und wer bleibt.“ So klingt keiner, der klein beigibt. Und so schreibt keiner, der auf einsamem Posten steht. Er kann davon ausgehen, dass noch mehr in der AfD so denken und ihn stützen. Auch Björn Höcke, einflussreicher AfD-Landesvorsitzender, vertritt ähnliche Thesen.

Höcke war es, der das Holocaust-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“ nannte. Wenn es nach ihm ginge, würde man die Ansammlung von Betonstelen in Sichtweite des Reichstags sofort abräumen. Statt Erinnerung an die Tiefpunkte der deutschen Geschichte wollen Höcke und seine Mitstreiter die lichtvollen Momente nach vorne bringen. Eine Nationalhistorie alten Schlages also, mit Hunnenschlacht, bärtigen Kaisern, Städtegründungen und viel Bismarck.

Die Halben und die Ganzen

Das bestätigt, was die ehemalige Funktionärin Franziska Schreiber über die AfD herausgefunden hat. Sie erklärt diese Partei als lebhaftes Gebilde, das immer weiter nach rechts rückt. Schreiber, inzwischen 25 Jahre alt, bezeichnet diesen Vorgang als Selbstradikalisierung. Es funktioniert einfach: Wer innerhalb der AfD eine radikalere Position wie ein Kontrahent vertritt, hat gewonnen. Er muss in der Partei nichts fürchten, für ihn geht es aufwärts. Verdrängt werden dagegen jene, die an liberal-konservativen Standpunkten festhalten (wie Lucke). Die Mahner und Warner also, die zu Kompromissen bereit sind und die Tuchfühlung mit einer konservativen Mitte nicht aufgeben wollen. Parteiintern nennt man sie die „Halben“. Sie werden nicht mehr ernstgenommen, nicht mehr aufgestellt und verlassen die Partei. Übrig bleiben die Scharfmacher.

Auch Gedeon sitzt fest im Sattel weit entfernt. In der Gesamtpartei isoliert, findet er doch genug Zuhörer, die den Zionismus für ein ernsthaftes Problem halten. Der ehemalige Mediziner lebt in seinem Paralleluniversum, in dem das bedrohte Abendland vor einer zionistischen Verschwörung gerettet wird.