Julian Oswald dürfte inzwischen einer der bekanntesten Studenten in Deutschland sein. Grund: Der junge Mann aus der Bodensee-Region wohnt in einer Altbau-WG an einer der meist befahrenen Straßen Stuttgarts, der B14, unweit der Neckartors. Dort bekam er Besuch von einem ARD-Fernsehteam.
Ist die Luft bei geschlossenem Fenster wirklich reiner?
Das verfilmte für die kürzlich zur besten Sendezeit ausgestrahlte Doku „Das Diesel-Desaster“ in Oswalds Wohnung ein Experiment des Dresdner Fraunhofer-Instituts für Verkehrssysteme: Eine Stickoxid-Messung auf dem Balkon mit Blick auf die Blechlawine auf der B14 ergab einen Wert von 70 Mikrogramm pro Kubikmeter – 30 Mikrogramm mehr als der Grenzwert erlaubt.
In Oswalds Küche, bei geschlossenem Fenster, müsste die Luft reiner sein. So die Annahme. Man sollte sich täuschen.
Ziel der Aktion: Zeigen, wie der Stickoxid-Anteil in der Raumluft durch die Decke geht, wenn man ganz normale Dinge tut: Kerzen anzünden etwa.

Die Digitalanzeige des Fraunhofer-Messgeräts klettert auf 140 Mikrogramm, mehr als das Dreifache des Grenzwerts.
Dann wird ein Topf für die Spaghetti aufgesetzt und einer für die Soße. Gasherd an, das Wasser köchelt. Die Digitalanzeige auch. Am Ende bleibt sie bei 1300 Mikrogramm stehen. Mehr als das 30-fache des Grenzwerts. Julian Oswald staunt, murmelt etwas von „frischer Luft“ und macht die Balkontür auf. Unten rollt Auto an Auto.
Wo etwas brennt, ist Stickoxid
Matthias Klingner ist der Regisseur dieser Demonstration. Der Fraunhofer-Professor aus Dresden weiß, wie man hohe Stickoxid-Werte erzeugt. „Überall, wo etwas verbrannt wird, entsteht Stickoxid“, sagt der Wissenschaftler in die ARD-Kamera.
Dass das auch für Fahrzeugmotoren gilt, verschweigt er nicht. Aber was Klingner sauer ankommt, ist die Art und Weise der Schadstoffmessung. „Eine Messstation wie die am Neckartor erfasst immer nur einen punktuellen Wert“, stellt der Professor fest. Auf einer nahe gelegenen Fußgänger-Überführung ist der NO2-Wert schon um zehn Prozent niedriger.
Klingner will, dass Messungen die Atemluft-Realität abbilden und nicht politisch erwünschte Werte liefern, um Dieselfahrverbote durchsetzen zu können. Deshalb hat er auch das jüngste Papier von mehr als 100 deutschen Lungenärzten zur angeblichen Gefährdung durch Feinstaub und Stickoxide mit unterschrieben.

Mit der Debatte, die diese Stellungnahme losgetreten hat, ist auch Dieter Köhler an ein Ziel gekommen. Dieser stellt nicht nur den aktuellen Grenzwert in Frage, sondern auch die Rückschlüsse, die ihm zugrunde liegen.
„Erkrankungen dem Feinstaub und dem Stickoxid zuzuordnen, ist wissenschaftlich gar nicht zulässig“, erklärt Köhler, früher Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (Lungenheilkunde), in der ARD-Doku.
Korrelation oder Kausalität?
Für Köhler und viele Fachkollegen sind Dieselfahrverbote windig begründet. Das beginnt ganz am Anfang: der Nutzung epidemiologischer Studien. In diesen werden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen miteinander verglichen.
In diesem Fall: Menschen, die an verkehrsreichen Straßen leben, mit jenen, die auf dem Land wohnen. Treten in der urbanen Gruppe Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufiger auf als in der ländlichen, werden dafür Luftschadstoffe wie Stickoxide verantwortlich gemacht.
Werden da Äpfel mit Birnen verglichen? Ja, glaubt man Dieter Köhler. „Aus einer zufälligen Korrelation wird eine Kausalität konstruiert, für die es keine Begründung gibt“, so der Mediziner in der ARD.
Vergleich mit Rauchern
Außen vor bleiben bei dieser simplen Eins-zu-eins-Rechnung Belastungen, denen sich Städter eher aussetzen: Stress, Alkohol, Bewegungsmangel, Tablettenmissbrauch.
Zusammen mit seinen Kollegen verweist Köhler in der Stellungnahme auf die Raucher. Demnach enthält Zigarettenqualm bis zu einem ganzen Gramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft. Kein Wunder, dass Raucher etwa 10 Jahre früher sterben, wenn sie über 40 bis 50 Jahre eine Packung am Tag leeren.
„Würde die Luftverschmutzung ein solches Risiko darstellen und entsprechend hohe Todeszahlen generieren, müssten die meisten Raucher nach wenigen Monaten alle versterben, was offensichtlich nicht der Fall ist“, so die Lungenärzte in ihrem Papier.
Wo sind die "Dieseltoten"?
Wo sind also die jährlich 12.860 vorzeitigen Todesfälle, die Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Radolfzell, dem „Dieselabgasgift“ Stickstoffdioxid anlastet? „Diese NOx-Toten treten gar nicht auf“, urteilt Lungenfachmann Köhler über Reschs Zahlen, die von der Europäischen Umweltagentur und der Weltgesundheitsorganisation WHO verbreitet werden.

Assistenz erhält er von Professor Martin Hetzel, Chefarzt der Lungenklinik im Stuttgarter Krankenhaus Zum Roten Kreuz und Geschäftsführer des Verbandes Pneumologischer Kliniken (VPK).
„Es gibt keine Feinstaub- oder NO2-Erkrankung der Lunge oder des Herzens, die man im Krankenhaus antrifft. Es gibt auch keinen einzigen Toten, der kausal auf Feinstaub oder NO2 zurückzuführen wäre. Das ist unseriöser, ideologiegeleiteter Populismus.“
Nicht nur Jürgen Resch, sondern auch Grünen-Politiker verweisen auf die WHO, auf deren Empfehlungen der 40-Mikrogramm-Grenzwert basiere. Grenzwert-Skeptiker stempelt Resch – wie kürzlich im SÜDKURIER – als „industrienah“ ab.
Dabei gibt auch das Umweltbundesamt (UBA), Resch ansonsten gewogen, den Kritikern Recht. So muss Wolfgang Straff, UBA-Experte für Gesundheitsvorsorge, in der ARD-Doku zugeben: „Es gibt tatsächlich keinen NO2-Toten oder NO2-Erkrankten, weil diese singuläre Verursachung durch diesen einen Schadstoff nicht beobachtbar ist.“
Halbwahres von der Umwelthilfe
Ein herber Schlag für Jürgen Resch und seine DUH, die eine Anfrage des SÜDKURIER zur Grenzwert-Debatte unbeantwortet lässt. Sich mit Gegenpositionen auseinanderzusetzen, ist Reschs Stärke nicht. Behauptungen zu verbreiten dagegen schon.
So ist die CDU, die seine angemaßte Rolle als Generalinspekteur der deutschen Stadtluft infrage stellt, für Resch „die Partei der Autoindustrie“.
Begründung: Der jüngste Bundesparteitag, bei dem die Gemeinnützigkeit und Klagebefugnis der DUH zur Debatte stand, sei „ausgerechnet von Volkswagen und Audi gesponsert“ worden.
Wie eine Rückfrage bei der „Christlichen Diesel-Union“ (O-Ton Resch) ergab, verbreitet der DUH-Vormann allenfalls Halbwahres. Zwar war VW in Hamburg mit einer Art Messestand vertreten, dessen Kosten nach Quadratmeter berechnet wird. Der Konzern warb für ein neues Elektro-Auto. Ebenfalls vor Ort: ein Stand des Bundesverbands für erneuerbare Energien – und rund 50 weitere Unternehmen, darunter auch die Deutsche Post.
Fahrverbotsfrust im Bundestag
Die Klagen, mit denen Jürgen Resch eine Stadt nach der anderen erfolgreich überzogen hat, sowie die gerichtlich erlassenen Fahrverbote bringen nicht nur Zehntausende von Fahrern älterer Diesel in Wallung.
Der Fahrverbotsfrust hat auch die Reihen des Bundestags erreicht: die FDP, die AfD und vor allem die CDU, deren Bezirk Nordwürttemberg die Umwelthilfe als Erste ins Visier nahm. Zunächst mit bescheidenem Erfolg. Kühl kann Jürgen Resch bei der Frage der Gemeinnützigkeit auf das zuständige Finanzamt verweisen, das jene bestätigt habe.

Dass am Ende nur die Gerichte und nicht eine Partei Gemeinnützigkeit und Klagerecht entziehen können, weiß auch Felix Schreiner, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Waldshut-Tiengen.
Er setzt daher woanders an: „Die Umwelthilfe lässt mit ihrem Feldzug gegen den Diesel die Verhältnismäßigkeit außer acht“, sagt der Politiker, der im Verkehrsausschuss der Bundestags sitzt. Und hier kann man durchaus einiges bewegen. Und da sind – laut Schreiner – auch Abgeordnete des Koalitionspartners SPD aufgeschlossen.
Verhältnismäßigkeit wiederherstellen
Um was geht es? Eine Neufassung des Bundesemissionsschutzgesetzes soll dem gesunden Menschenverstand den Weg ebnen.
Der Gesetzentwurf regelt, dass in Städten, in denen der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm nur geringfügig überschritten wird, Fahrverbote in aller Regel unverhältnismäßig sind. Effekt: Dann müssten die Richter nicht mehr reflexartig mit Fahrverboten reagieren. Das wäre eine Schlappe für die DUH.
Zweiter Angriff auf Reschs Truppe: Die Neufassung des Gesetzes soll festschreiben, welche Fahrzeuge von Fahrverboten ausgenommen sind. Das betrifft Euro-6-Diesel und ebenso Euro-4 und -5-Diesel, wenn sie weniger als 270 Milligramm Stickstoffdioxid pro Kilometer ausstoßen.
Diesel-Skeptiker distanziert sich von Fahrverboten
Möglicherweise wäre der Spuk der Fahrverbote dann vorbei. Eine erste öffentliche Anhörung hat der Umweltausschuss für kommenden Mittwoch angesetzt.
Störfeuer für die Anti-Diesel-Kampagne der Deutschen Umwelthilfe? Sogar der bekennende Diesel-Skeptiker und Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer distanziert sich jetzt von Fahrverboten.
Nach einer Untersuchung der neuen Hamburger Diesel-Sperre in zwei Straßen kommt der Experte zum Schluss, die Wirkung des Fahrverbots sei „enttäuschend“.
Der von DUH und UBA erhoffte Effekt einer 70-prozentigen Reduzierung von NO2-Belastungen sei „bei Weitem nicht eingetreten“. Es spreche, so Dudenhöffer, „einiges dafür, dass Diesel-Fahrverbote deutlich weniger bewirken als immer behauptet“.