Für mich bedeutete das Corona-Virus eine lange Durststrecke für meine Zukunftsplanung und gesellte sich damit zu den anderen Sorgen meiner Unsicherheiten vor dem Erwachsenwerden.
Ich saß mit Herzschmerz in Deutschland, während mein US-amerikanischer Freund Kurt in Kalifornien an die Uni ging. Wir sahen uns das letzte Mal im Januar, bevor er zurückflog.
Er und ich wussten natürlich, dass es eine Weile dauern würde, bis wir uns wiedersehen können. Trotzdem hätte wohl keiner mit einem Virus gerechnet, das unsere Welt – eingeschlossen unsere Reisefreiheit – grundlegend verändern würde.
Geschlossene Grenzen, gestrichene Flüge und keine Aussicht auf Änderung: Mit diesen Meldungen beschäftigte ich mich ein halbes Jahr exzessiv. Während ich allen deutschen und US-amerikanischen Sendern krankhaft folgte, um ja keine Neuigkeiten zu verpassen, ignorierte Kurt alle Nachrichten, um nicht ständig mit der Hoffnungslosigkeit konfrontiert zu sein.
Video-Anruf zum Jahrestag
Dank der Technik des 21. Jahrhunderts konnten wir statt mit Flaschenpost oder Brieftaube über unser Handy kommunizieren und uns sogar sehen. Wir trafen uns per Video-Anruf für Filmabende, feierten unseren Jahrestag bei Kerzenlicht im Kleid und Anzug vor dem Computer und schliefen nebeneinander ein. Es war ein müder Trost, ersetzte die Zeit zusammen aber nicht.
„Tragischer als Romeo und Julia!“
Nach schwierigen Monaten und dem immer größer werdenden Selbstmitleid („Unsere Beziehung ist tragischer als die von Romeo und Julia!“) traf ich dann im Internet auf den Hashtag #loveisnottourism („Liebe ist kein Tourismus“). Hier fand ich Tausende Geschichten von Paaren, die durch Corona getrennt waren.
Es waren fast alles Beziehungen, in denen die Partner unterschiedliche Nationalitäten besaßen. Und es ging allen wie uns: Das ewige Warten und Hoffen darauf, dass die Grenzen bald wieder geöffnet werden, damit wir unsere Liebsten wiedersehen können, machte uns wahnsinnig. Das betraf besonders Beziehungen auf weite Distanzen, meist auf zwei Kontinenten.
Die Grenzen von Europa blieben dicht
Meine Freundin Isabelle, 23, konnte ihren Freund Miloš, 31, aus der Slowakei nach knapp vier Monaten wiedersehen. Doch die europäischen Grenzen zu anderen Kontinenten blieben fest verschlossen.
Das löste bei den interkontinentalen Paaren große Empörung aus. Sie waren verärgert, dass die Maßnahmen zur Grenzschließung den Paaren nur die Rolle eines Reisenden zuteilten.
Man steckte sie zusammen mit Touristinnen und Touristen in eine Schublade, die lieber Urlaub machten, statt die Gesundheit anderer Menschen zu schützen.
Unverheiratete Paare blieben unsichtbar
Während Ehepartner und -partnerinnen schon längst Ausnahmegenehmigungen zur Einreise in die Länder bekamen, bleiben die unverheirateten Paare weiterhin unsichtbar. Die fehlende Anerkennung von der Politik stimmte viele bitter und verärgert.
So ging es auch Felix Urbasik, 27, der seine australische Freundin April, 25, das letzte Mal im Februar sehen konnte. Auf den Entschluss der EU-Kommission hin, dass am 1. Juli die Grenzen des Schengen-Raums nur für wenige Länder geöffnet werden sollten, entwickelte er die Website loveisnottourism.org.
Hilfe für die „Sweethearts“
Hier sollen sogenannte „Sweethearts“ (unverheiratete Paare) Informationen über die Einreisebedingungen in ihren jeweiligen Ländern bekommen und direkt Online-Petitionen unterschreiben können.
Schon in der ersten Woche hatte Felix‘ Seite mehr als 50 000 Aufrufe. Auch die Politik wurde nun hellhörig. Mit Moritz Körner (FDP) im EU-Parlament und der schwedischen EU-Kommissarin Ylva Johansson wurde die Problematik auch politisch thematisiert.
Aufruf an den Innenminister
Abgeordnete verschiedener Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag und dem Europaparlament wandten sich unter http://loveisessential.de an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und forderten eine Sondergenehmigung für die Einreise von Partnern deutscher Staatsbürger.
Felix empfand das als eine aufregende Zeit und war begeistert, wie schnell Schwung in die Sache kam. Es schien so, als würden die Online-Proteste fruchten. Mit der Antwort knapp einen Monat später schien das Problem in Deutschland beseitigt: Seehofer garantierte die Einreise für Partnerinnen aus dem Nicht-EU-Ausland ab dem 10. August.
Beweis für die Beziehung
So war es Nurya, 31, aus São Paulo möglich, ihre Partnerin Marie, 25, nach sieben langen Monaten in Deutschland wiederzutreffen. Ausgerüstet mit Dokumenten, die ihre Beziehung „beweisen“ sollten, trat sie die Reise nach Deutschland an.
Neben einem Corona-Test musste sie private Bilder, Chatverläufe und Unterlagen von Zusammenkünften, etwa Flugtickets, vorzeigen, um als Maries Partnerin anerkannt zu werden.
„Das Schlimmste war, dass wir nicht wussten, wann wir uns wiedersehen werden können“, sagt Nurya. Die sozialen Medien halfen ihr sehr; man tauschte sich in den Gruppen aus und fühlte sich dadurch unterstützt und verstanden.
Sie sagt, ohne die #loveisnottourism-Bewegung hätte es bei vielen Paaren nicht geklappt, sich noch in diesem Jahr wieder zu sehen.
Bei Thomas, 40, aus Stuttgart war es noch komplizierter. Zwar konnte er seine Freundin Sayana, 37, aus dem russischen Jekaterinburg für ein paar Tage in der Türkei treffen, danach dauerte es sehr lange, bis die deutschen Behörden ihr ein Visum und damit die Einreise nach Deutschland gestatteten.
Um als Partner mit Touristen-Visum in die Bundesrepublik einreisen zu können, muss man sich entweder schon einmal in Deutschland getroffen haben oder nachweisen, dass man eine gemeinsame Wohnung im Ausland bezog.
Ungewissheit bis zur letzten Minute
Allerlei Papiere (z.B. eine „Erklärung zur Beziehung“ mit Unterschriften beider Partner) waren auszufüllen und abzugeben. Thomas kritisiert die Regelungen als „intransparent und bürokratisch“. Das Ganze sei „halbherzig“ und nur entstanden, weil man so dem Druck der Öffentlichkeit entgehen wollte.
Selbst wenn alle Papiere eingeschickt und bestätigt seien, bekomme man lediglich die Rückmeldung, dass die Einreisegenehmigung „erst bei der Einreisekontrolle vor Ort durch den zuständigen Beamten in der Grenzkontrolle“ erteilt werden könne. Thomas sagt, er fühle sich manchmal wie ein Krimineller behandelt.
Monatelang ohne den Partner
Auch für die Hamburgerin Mara, 37, ist die Ausnahmeregelung keine Lösung. Ihr Freund Odean, 29, aus Jamaika und sie haben sich seit März dieses Jahres nicht mehr sehen können.
Mara sagt, es sei unerträglich gewesen, mitzuerleben, wie überall Lockerungen vorgenommen wurden, aber eine kontrollierte Zusammenführung von Paaren, die sich an alle Regeln halten würden, als nicht möglich eingestuft wurde.
Mara und ihr Partner können sich nicht in Deutschland treffen, weil keine der beiden Voraussetzungen bei ihnen erfüllt sind. Sie findet das „diskriminierend“. Was sie aus der Zeit mitnimmt, ist, dass sie und Odean es trotz aller Schwierigkeiten geschafft haben, sich immer zu unterstützen und füreinander da zu sein.
Sie planen ihre Zukunft gemeinsam und möchten eine Trennung, wie sie sie gerade erleben, nicht mehr in Kauf nehmen.
Dass Beziehungen nicht nur privat, sondern auch politisch sind, hat man spätestens in Zeiten von Corona miterleben können. Paare müssen auf einmal „offiziell“ sein, um ein Recht auf ein Wiedersehen zu haben.
Für viele Paare drängte die Pandemie auf das Thema Heirat und so werden nun bei der #loveisnottourism-Community vermehrt die Hochzeitsglocken läuten.
Viele werden nun heiraten
Auch Felix von der loveisnottourism.org-Website und seine Freundin April haben eine Hochzeit schon fest in Planung: „Uns ist in dieser Zeit klar geworden, wie wichtig wir füreinander sind. Und die staatlichen Strukturen geben das so vor, dass man heiraten muss, um offiziell als Paar anerkannt zu werden.“
Im Frühjahr, nach einem Jahr ohne einander, wird sie zu ihm nach Nordrhein-Westfalen ziehen. Für Thomas und seine Freundin Sayana steht eine Heirat ebenfalls im Raum. Sie möchten dann zusammen in Deutschland leben.
Nurya und Marie wollen im kommenden Jahr zusammenziehen und auch Mara und Odean arbeiten an einer gemeinsamen Lösung in einem Land.
All die Vorteile und Schönheit einer binationalen Beziehung schienen in diesem Jahr überschattet. Ich finde es toll, mit Kurt einen Partner aus einer anderen Kultur gefunden zu haben. Aber es war doch sehr herausfordernd, die Paare, die in dieser Zeit zusammen sein konnten, nicht zu sehr zu beneiden.
Teller werfen geht digital nicht
Wir lernten es, Nähe durch Worte zu erschaffen und Meinungsverschiedenheiten rational zu lösen. Teller werfen hat per Video-Anruf eben nicht den gleichen Effekt. Aber wir nahmen dieselbe Zuversicht mit, die auch die anderen Paare beschreiben: Wenn wir das schaffen, schaffen wir alles.
Wir konnten uns dann endlich nach sieben Monaten auf einer Insel in der Karibik treffen und von dort zusammen in die USA einreisen. Genau wie all die anderen Paare nahm ich dafür Corona-Tests, Quarantäne und hohe Kosten in Anspruch.
Ich wünsche mir, dass all die Paare, die von der deutschen Regelung zur Einreise von Partnern ausgeschlossen sind, auch noch eine Lösung bekommen, die ihnen gerecht wird. Denn: Liebe ist lebenswichtig.
Aus Angst vor negativen Konsequenzen haben sich die meisten Paare entschieden, ihre Nachnamen nicht preiszugeben.