Keiner kann alles wissen. Bis vor wenigen Monaten wusste man selbst nicht, was eine Pho Bo ist: Eine kräftigende Suppe mit Nudeln, Gemüse und „Bo“, also Rindfleisch, die in Vietnam ein typisches Frühstück darstellt. Ein Nationalgericht also. Umgekehrt muss kein Vietnamese wissen, wann und wie man bayerische Weißwurst isst. Oder was Bibbeleskäs ist.
Doch im Schwarzwald wäre dies schön, so denkt man. Und bestellt im Restaurant einer Therme in Titisee ein „Schwarzwälder Rösti mit Bibbeleskäs“, so, wie‘s auf der Karte stand. In jeder Straußenwirtschaft in Südbaden werden gerne „Brägele mit Bibbeleskäs“ gegessen oder badischer Wurstsalat oder direkt der Dreier: Brägele mit Bibbeleskäs und Wurstsalat.
Der Badische Dreier
Ausgewogen, lecker und sättigend, in jeder Kombination. Brägele sind Bratkartoffeln und Bibbeleskäs ist Quark, meist mit Milch oder Sahne oder beidem glatt gerührt und mit Schnittlauchröllchen, Salz und Pfeffer abgeschmeckt. Das weiß sogar Wikipedia richtig: „Bibbeliskäs, regional auch Bibbeleskäs, ist die alemannische Bezeichnung für Quark.“

Serviert wurden Kartoffelecken mit einem Schälchen voller lappigem Hüttenkäse. Bei der „Restaurantleiterin“, wie das Schildchen verrät, moniert man den Hüttenkäse, und sie antwortet zu meinem Erstaunen: „Ich bin auch nicht von hier!“ – Oh, die junge Frau mit dem Allerweltsnamen und dem starken Dialekt kommt offenkundig aus einem der neuen Bundesländer.
„Auf dem Kanister steht aber Bibbeleskäs“
„Aber ich bin von hier“, sage ich etwas entgeistert und erkläre ihr nochmals, dass im Schälchen Hütten- und kein Bibbeleskäs sei. „Aha.“ Sie macht sich in der Küche schlau: „Auf dem Kanister steht aber Bibbeleskäs“, meint sie wiederkehrend mit argloser Offenheit. Die Köchin würde den mit Milch dünner rühren, so hat sie zusätzlich ergründet. Da sprechen wir nun nicht mehr über die Kartoffelecken aus der Convenience-Gastronomie, die anstatt des Röstis kamen, und schlucken klaglos das süße, statt des bestellten sauren Radlers.
Wo wir gerade im Schwarzwald sind: Ich liebe Pfifferlinge. Am besten natürlich selbst gesucht und zubereitet, aber man kann ja nicht alles haben. Doch wo immer im Sommer ein Gericht mit frischen Pfifferlingen auftaucht, werde ich schwach. Bestelle Wild, obwohl es mitten am Tag ist und ich gar nicht so hungrig bin.
„Die meisten merken den Unterschied gar nicht!“
Also her mit dem Rehragout mit den frischen Pfifferlingen. War nur gerade in Heidelberg, eher am Odenwaldrand als am Schwarzwald. Vielleicht also mein Fehler. Nach geraumer Zeit kommt das Gericht: Das Ragout ist gelungen, das Fleisch zart, doch serviert wird es mit einem Glasschälchen von gemischten glitschigen Waldpilzen aus der Dose. Einfach erwärmt. Was für eine Enttäuschung! Und was sagt die Bedienung: „Die meisten merken den Unterschied gar nicht!“
Mikrowelle? Nö!
Apropos Unterschied. Ein gutes Lokal, ebenfalls in Heidelberg: Frischer Spargel, ordentlich geschält, mit einer fluffigen Hollandaise. Schmeckt selbst gerührt. Alles wäre fein, wenn nicht die Salzkartoffeln eine Runde durch die Mikrowelle gedreht hätten. Man verbrennt sich bald die Zunge durch die innere Hitze und hat eine ungenießbare Beilage. „Die Kartoffeln waren in der Mikrowelle“, sage ich.
„Sowas machen wir nicht!“, entgegnet die Bedienung empört. Hm. „Vielleicht befragen Sie mal den Koch?“, schlage ich vor. Die junge Servicekraft war wirklich nett, sie kam mit rotem Kopf zurück aus der Küche. Sehr gerne habe ich die frischen Erdbeeren mit etwas Vanilleeis als Entschuldigung akzeptiert. Alles gut.
„Das wird bei uns aber sehr gerne gegessen!“
Wir reden jetzt nicht über griechische Köche, die ihre Nudeln in großen Mengen vorkochen und sie bei Bedarf leicht aufwärmen. Die Bestellungen verschusseln, was auch deutschen Wirten schon mal passiert. Einmal wurde mir in einem deutschen Lokal im Norden ein Teller Spareribs serviert, statt des bestellten Schnitzelchens. Und als ich den Haufen Schweinerippen nicht annehmen wollte, wurde mir resolut beschieden: „Die werden bei uns aber sehr gerne gesessen!“
Nun muss man vielleicht wissen, dass ich Knochen auf dem Teller hasse. Die mögen in der Metzgerei oder zumindest in der Küche bleiben, wir sind ja nicht im Mittelalter. Deshalb bestelle ich mit Bedacht, wenn überhaupt mal Fleisch (wegen der Pfifferlinge zum Beispiel) und schätze appetitliche Schnitzelchen. Das kam dann letztlich auch, nachdem alle anderen längst gegessen hatten – und war zur Strafe furztrocken.
Zurück zu den Nudeln: Die essen wir beim Lieblingsitaliener um die Ecke. Oder zu Hause, denn da kann man sie selbst bewachen und in der Pasta-Soße schwenken. Völlig unverständlich, wieso sich manche Gäste darüber aufregen, dass sie beim Italiener keine Riesling-Schorle mit deutschem Blubbersprudel bekommen – und beim Griechen matschige Nudeln. Der Grieche mag lauwarmes Essen, und der Italiener trinkt stilles Wasser oder sanft prickelndes San Pellegrino und den Wein pur. Keine Schorle. Und der Thailänder isst gerne scharf.
Nach den Chilis direkt ins Krankenhaus
Ganz klar. Die Thailänder in unseren Breiten haben aber auch gelernt, dass wir europäische Weicheier sind und nicht mithalten können mit ihrem robusten Gaumen. Ein Nachbar in Hamburg hat nach einem Chiliversuch in der eigenen Wohnung hyperventiliert, versuchte mit Wasser statt mit Lassi oder Joghurt zu löschen, ist rückwärts umgefallen und so unglücklich mit dem Hinterkopf auf den Badewannenrand gestürzt, dass der Notarzt kommen und er zur Beobachtung eine Nacht im Krankenhaus bleiben musste.
„Nix scharf geht nix“
Von meiner Lieblingsthai-Köchin, ebenfalls in Hamburg, habe ich gelernt, dass mein geliebtes Curry mit grünen Bohnen ganz ohne Schärfe nicht möglich sei. Sie sagte: „Nix scharf geht nix“, weshalb wir uns auf „Pad Prik, nix so scharf“, geeinigt haben. Im letzten Jahr war ich nach acht Jahren wieder dort, und sie hat sich sofort erinnert.
Am zauberhaftesten machte es allerdings die Thai-Köchin im „Abaco“ in Schaffhausen. Die Gerichte werden dort im Hintergrund des Gastraumes frisch gekocht. Ganz in Gedenken an meine Hamburger Thai-Freundin hatte ich mir das Poulet-Curry „Nur wenig scharf bitte!“ gewünscht. Vielleicht wurde das von der Bedienung nicht weitergetragen, vielleicht aber auch beim Zubereiten vergessen.
Der erste Biss: erst mal nach Luft schnappen
Zumindest spähte die Köchin um die Ecke, als ich das Curry probiere und nach Luft schnappe. Sofort eilt sie herbei, greift sich den Teller mit einer kleinen Entschuldigung und zaubert dasselbe blitzschnell nochmals in mild. Ein köstlicher Genuss: nur noch sanft hintergründig die Schärfe, das Fleisch zart und das Gemüse knackig, comme il faut. Mein Begleiter lacht und ist selbst noch mit seinen Garnelen beschäftigt. Was für eine charmante Art, mit Reklamationen umzugehen!
Buch-Tipp: Vincent Klink
Vincent Klink ist ein toller Koch und vor allem ein kluger Kopf. Er kocht und erklärt seine ehrlichen Gerichte und kennt doch den ein oder anderen Meckerer aus seiner Gaststube in der Stuttgarter „Wielandshöhe“. Meist, weil kein Fensterplatz mehr frei war, dann passt alles nicht. Natürlich auch die Patzer und die Kollegen, bei denen er gerne isst. Wer ihm einmal über die Schulter sehen möchte, kann jetzt lesen: „Angerichtet, herzhaft und scharf! Aus meinem Tage- und Rezeptbuch“, so heißt sein neuestes Werk. Hübsch gebunden und mit Rezepten garniert ist es 2018 bei Klöpfer & Meyer erschienen (28 Euro). Vincent Klink ist vielen Fernsehzuschauern aus der Mittagsshow „ARD-Buffet“ bekannt. Im Mai war er bei der Eröffnung des Wortmenüs 2019 in Überlingen dabei. (dob)