So, jetzt noch die Jacke, und dann geht’s raus. Halt, den Regenschirm noch! Wo versteckt sich das blöde Ding nur wieder? Regenschirm! Reeegenschirm! Wo steckst du bloß? Aah, da hinten!

Hat er mich etwa gehört? Wahrscheinlich. Sonst ist ja niemand da, der sich angesprochen fühlen könnte. Zum Glück. Ich habe es satt, zufälligen Mithörern ständig meine Selbstgespräche erklären zu müssen! Diese höhnischen Fragen: „Sind wir anderen als Gesprächspartner etwa nicht gut genug? Du hörst dich wohl gerne selbst reden?“

Endlich mal zu Wort kommen!

Dabei ist das Selbstgespräch für mich als Ehemann und Familienvater die einzige Möglichkeit, überhaupt mal zu Wort zu kommen. Und überhaupt, ich bin ja nicht der einzige, der Monologe hält. Immer wieder beobachte ich im Supermarkt Kunden, die ihre Wünsche dem Kühlregal anvertrauen: „Eins neunundneunzig, hmm, na ja. Jetzt noch die Butter...“ Viel mehr als das ist dann allerdings nicht mehr zu vernehmen. Dass jemand so richtig lange Selbstgespräche führt, also mit Thesenbildung, Argumentationsführung und abschließendem Plädoyer des Staatsanwalts – zugegeben: Da kenne ich in meinem Umfeld nur einen. Mich selbst.

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Ist das ein Grund zur Beunruhigung? Kommt drauf an. Meine „Apotheken Umschau“ sagt mir: „Ein Warnzeichen wäre es, wenn Menschen nicht mit sich selbst kommunizieren, sondern mit anderen. Mit Verstorbenen zum Beispiel oder mit Stimmen, die sie in ihrem Kopf hören.“ Dann sei eine Schizophrenie oder auch eine Depression im Verzug. Eventuell auch ein Drogenrausch.

Nicht schizophren

Aber nein, da sind keine Stimmen im Kopf. Es ist vielmehr so, wie einst Nina Hagen sang: „Ich bin mein Radio, mein eigenes universelles Radio!“ Und deshalb bin ich nicht schizophren, sondern genial! Schließlich soll schon Albert Einstein seine Theorien durch ständiges gutes Zureden ans eigene Hirn entwickelt haben.

Albert Einstein sprache gerne mit sich selbst.
Albert Einstein sprache gerne mit sich selbst. | Bild: dpa

Die Psychologen Gary Lupyan (Universität von Wisconsin-Madison) und Daniel Swingley (Universität von Pennsylvania) erklären in einer jüngst publizierten Studie auch, warum er damit Erfolg hatte: Sprache dient nämlich nicht nur der Kommunikation, sie schult auch die eigene Wahrnehmung und das eigene Denken. Wer mit sich selbst spricht, lernt schneller und kommt bei komplexen Aufgaben leichter zu Ergebnissen.

Legendäre Monologe

Man sollte also die Kunst des gepflegten Selbstgesprächs in den Schulunterricht integrieren. Damit aus manchem kleinen Smartphone-Daddler vielleicht doch noch ein Einstein wird. Wobei: Genau genommen ist diese Kunst ja längst Bestandteil jedes guten Deutschunterrichts. Denn was wäre die Weltliteratur ohne ihre legendären Monologe? Und was sind Monologe anderes als Gespräche mit dem eigenen Ich?

Auch Faust und Hamlet monologisieren

Im Selbstgespräch gelangt Goethes Faust zur Einsicht, dass er trotz „heißem Bemühen“ ja doch nur ein „armer Tor“ ist. Shakespeares Hamlet fragt sich selbst nach „Sein oder Nichtsein“. Und Franz Moor ersinnt in Schillers „Die Räuber“ eine perfide Intrige – per Monolog. Sie alle brauchen kein Publikum für ihre laut bekundeten Gedanken. Oder viel mehr: Sie brauchen keines, von dem sie Widerspruch befürchten müssen.

Große Monologe: Volkmar Zschiesche als "Hamlet" am Theater Ulm 2011. Bild: dpa
Große Monologe: Volkmar Zschiesche als "Hamlet" am Theater Ulm 2011. Bild: dpa | Bild: Jochen Klenk

Ein Gespräch, so ganz ohne lästige Einwände und kritische Anmerkungen, ja, das ist schon angenehm, keine Frage. Da kommt man schneller zum Punkt, als in langwierigen Debatten. Betrachten wir uns allerdings einmal näher, wie es den Herren Faust, Hamlet und Franz Moor nach ihren Monologen so ergeht – der eine ist bald des Teufels, der andere wird erstochen, der Dritte erdrosselt sich selbst –, so müssen wir erkennen: Eine gute Werbung für Selbstgespräche geben sie vielleicht doch nicht ab.

Schulende Funktion

Zwar zeigt sich in allen diesen Monologen, wie recht die Psychologen doch haben, wenn sie dem Selbstgespräch eine das Denken schulende Funktion attestieren. Man kann den Fausts, Hamlets und Moors förmlich beim Denken zuschauen: Da ergibt sich von Vers zu Vers ein Argument aus dem anderen, eine Ahnung verfestigt sich zur Gewissheit, und am Ende erscheint glasklar, was anfangs noch zweifelhaft war. Was für eine großartige Strategie! Einerseits.

Aus Überzeugungen werden Ideologien

Andererseits: Gerade weil bei alldem kein Widerspruch droht, können sich Überzeugungen zu Ideologien auswachsen. Dass sich der jüngere Bruder gegenüber dem älteren benachteiligt fühlt, kommt in den besten Familien vor und muss noch lange nicht zu Mord und Totschlag führen. Beim monologisierenden Franz Moor aber steigert sich ein diffuses Gefühl zu konkretem Verdacht, aus Verdacht wird Beweis, der Beweis mündet in Hass, und der Hass rechtfertigt es, den Bruder ans Messer zu liefern. Niemand da, der diese fatale Argumentationskette durchbrechen, dem Scharfmacher in eigener Sache frühzeitig in den Arm fallen könnte.

Dumm gelaufen

Selbstgespräche sind also gar nicht so ungefährlich. Das musste zuletzt auch der New Yorker Millionär Robert Durst erleben, der sich zu früh über seinen Freispruch vom Vorwurf des dreifachen Mordes gefreut hat. Bei Dreharbeiten zu einer Dokumentation vergaß er nämlich, vor dem Gang auf die Toilette sein Mikrofon abzuschalten. Und so wurde ihm sein Selbstgespräch am Waschbecken zum Verhängnis. „Ich habe sie alle umgebracht“, verriet er seinem Spiegelbild – und damit auch der Polizei.

Robert Durst bezichtigte sich in einem Selbstgespräch selbst des Mordes.
Robert Durst bezichtigte sich in einem Selbstgespräch selbst des Mordes. | Bild: Jae C. Hong

Sind Selbstgespräche also wirklich so toll, wie Psychologen behaupten? Es empfiehlt sich zumindest, nur dann welche zu führen, wenn keine Mikrofone in der Nähe sind. Und die daraus gezogenen Schlüsse im Dialog mit anderen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Wer diesen Rat beherzigt, kann mit sich selbst als Gesprächspartner viel Freude haben.