Auf der schmalen Fußgängerbrücke über die sechsspurige Neckartorstraße ist es laut. Man riecht die Abgase der Autos, der Lkw-Verkehr lässt die Brücke vibrieren.

Das könnte Sie auch interessieren

Der Fußgängersteg zerschneidet zwei Welten. Rechter Hand, auf der Seite stadteinwärts, führt sie mitten hinein in den Schlossgarten, die grüne Lunge Stuttgarts. Alte Bäume, gepflegte Grünflächen, Wasseranlagen.

Rußige Backsteinfassaden, blinde Erdgeschossfenster 

Auf der anderen Seite reihen sich die trostlose Fassade des Stuttgarter Amts- und Sozialgerichts, ein fünfstöckiger Studentenwohnheimkasten, ein Autohaus und ein paar heruntergekommene Gründerzeit-Bauwerke aneinander. Die Backsteinfassaden zur Straße hin sind rußig, die Erdgeschossfenster blind oder abgeklebt.

In den Hinterhöfen viele Fahrräder, an den Haustüren stehen neben einer Klingel oft vier oder fünf Namen: Studenten-WGs.

Sind die Standorte schuld?

Zehn Meter von der Brücke entfernt steht am Straßenrand, auf der hässlichen, stadtauswärts führenden Seite der Straße, ein grauer Block mit Messfühlern und einer Plakette der LUBW, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Sie ist an allem schuld.

Autos fahren an der Feinstaub-Messstation am Neckartor vorbei. Ist sie an allem Schuld?
Autos fahren an der Feinstaub-Messstation am Neckartor vorbei. Ist sie an allem Schuld? | Bild: Bernd Weissbrod (dpa)

Die Messwerte dieser Station sagen: Hier ist die Luft in Stuttgart am schmutzigsten. Auch wegen der Werte dieser Station hier am Neckartor gibt es Fahrverbote, dürfen Stuttgarter mit ihren alten Dieselautos nicht mehr fahren, streitet die grün-schwarze Landesregierung über Luftreinhaltung und Grenzwerte. 

Werden die Werte besser, wenn man die Messstelle einfach auf die „grüne“ Straßenseite stellt oder gar auf der Brücke misst? Auch das wird derzeit diskutiert. Schuld sind dann nicht mehr die Abgase, sondern die Standorte.

Die Mieten sind günstig

Michael, 27, hat sich die Messstelle noch nie angeschaut. „Wie sieht die aus?“ fragt er. Der Sohn italienisch-portugiesischer Eltern, in Stuttgart geboren, arbeitet nur ein paar Meter entfernt, in der Burgerlounge „San&Soap“ Ecke Neckar- und Schubartstraße.

Die Burger sind günstig, Studenten sind die Stammkundschaft. Hier, im Kernerviertel, hat Michael sein ganzes Leben verbracht. Urbanes Klima, hoher Geräuschpegel, viel Verkehr, aber auch Läden und Kneipen. Hier an der Neckarstraße sind die Mieten günstig, den Hang hinauf wird es teuer.

Das könnte Sie auch interessieren

Ob er die Luft schlecht findet? „Fällt mir nicht auf“, sagt Michael. „Wir sind es ja gewöhnt“. Seine Kollegin Nimet, 39, nickt. Sie hat jahrelang nebenan gewohnt, eine Straße weiter. „Vierter Stock. Ich hatte immer dreckige Fenster und viel Lärm“, sagt sie. Weggezogen ist sie aber nicht wegen der schlechten Luft.

Die Debatte um Fahrverbote und saubere Luft interessiert beide nicht besonders. „Von mir aus können sie alle Autos verbieten“, sagt Michael, der zu einer Klientel gehört, die für die Politik hier kaum eine Rolle spielt. Denn er hat kein Auto. „Wer kann sich denn schon ein Auto leisten?“ fragt er. „Die sollen lieber mehr für Straßenbahnen und Busse machen.“

Seit 64 Jahren am Neckartor

Das findet Christa Veigel auch. Aber ohne Auto kann und will sie nicht sein. Die 64-Jährige, die gerade ihre zwei Hunde am Mini-Grünstreifen zwischen Burgerbraterei und Neckartor-Messstelle austreten ließ, lebt schon 64 Jahre hier am Neckartor. Auch sie wohnt ums Eck, etwas den Hang hinauf, wo die Altbauten renoviert sind.

Die Standorte der Messtationen sollen auf den Prüfstand. Hier der Container an der Hohenheimer Straße in Stuttgart, wo ebenfalls hohe ...
Die Standorte der Messtationen sollen auf den Prüfstand. Hier der Container an der Hohenheimer Straße in Stuttgart, wo ebenfalls hohe Werte gemessen wurden. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Da lässt es sich gut leben. Auf jeden Fall, so lange die Fenster zu sind. „Aber das Glockengeläute ist genauso laut wie der Verkehr“, sagt sie. „Und gesundheitlich habe ich noch nie etwas gemerkt.“

Vor kurzem hat sich Christa Veigel ein neues Auto gekauft. „Mein altes Auto war Baujahr 2004, ein Diesel, das habe ich im Dezember verschenkt. Das fährt jetzt in Bulgarien“, sagt sie.

Fahrverbotsgegner protestieren

Sie sei sehr für die Umwelt, aber ihre Haltung zu den Fahrverboten ist zwiespältig. „Ohne Auto geht es nicht. Fahrradfahren in Stuttgart ist für Ältere eine Zumutung“, und auch Bus und Bahn seien schwierig, wenn man nicht mehr gut zu Fuß sei.

Auf der Fußgängerbrücke über die Neckarstraße protestierten mehrmals Fahrverbotsgegner. Frank Hartmann, 49, Anwohner seit 25 Jahren, der gerade über die Brücke Richtung Schlossgarten zum Joggen will, hat sich geärgert über die Demonstranten. „Danach war hier alles voller Müll“, sagt er.

Macht er sich Sorgen um seine Gesundheit, wenn er hier joggt? „Ich habe ja keine Wahl, sonst müsste ich ganz aus der Stadt raus“, sagt er. Er steckt sich die Ohrstöpsel wieder ein und läuft los Richtung Schlossgarten, auf die grüne Seite der Brücke, weg von der Messstelle, hinein in die gute Stuttgarter Luft.