Die Bilder, die die Polizeibeamten vom Hubschrauber aus aufgenommen haben, zeigen das ganze Ausmaß der Katastrophe. Zu sehen ist eine verschneite Berggegend in den Abruzzen. Aus den Schneemassen ragen die Reste eines Gebäudes hervor. Ein paar Bäume sind zu sehen, ein verschneites Dach, Mauerreste, mehr nicht. Hier stand einst das Vier-Sterne-Hotel Rigopiano.

Bis zu 30 Menschen sollen sich in dem Gebäude an den Ausläufern des Gran-Sasso-Massivs in Mittelitalien aufgehalten haben, als es am Mittwoch von einer Lawine verschüttet wurde. Drei leblose Körper bargen die Rettungskräfte, eine vierte Leiche wurde lokalisiert. Italienische Medien berichten von zwei Überlebenden. Laut Angaben der Zeitung Il Centro sollen sich auch Deutsche in dem Hotel befunden haben.

Wie viele Opfer die Katastrophe gefordert hat, war auch am Donnerstagabend noch nicht geklärt. „Es gibt viele Tote“, sagte Antonio Crocetta, einer der Retter, die sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit Tourenskiern und Stirnlampen zur Unglücksstelle aufgemacht hatten und sie erst am frühen Morgen erreichten. Von einer Schneeraupe angeführt, bahnte sich am Donnerstagmorgen auch ein Hilfskonvoi den Weg durch die Schneemassen zum Hotel, das von der Lawine um bis zu 30 Meter versetzt worden sein soll. Die Forststraße vom Ort Farindola zum abgelegen Hotel war wegen des Schnees lange unbefahrbar.

Die Schreckensnachrichten aus Mittelitalien reißen nicht ab. Im August erschütterte ein schweres Erdbeben die Gegend, im Städtchen Amatrice und Umgebung kamen dabei knapp 300 Menschen ums Leben. Erneut zitterte der Boden im Grenzgebiet zwischen den Regionen Latium, Abruzzen und Umbrien Ende Oktober, ein weiteres Opfer wurde von einstürzenden Gebäudeteilen erdrückt. Dann kam Anfang Januar Kälte und bis zu zwei Meter hoher Schnee.

Und jetzt, vergangenen Mittwoch, erschütterten erneut mehrere schwere Erdstöße das Katastrophengebiet, in dem die Menschen in Zelten oder Campingwagen verharren. Tausende Haushalte haben keinen Strom. Ein 83-Jähriger wurde bei Teramo in einem einstürzenden Stall erdrückt. Ein anderer Mann soll in der Nähe von L’Aquila von einer Lawine erfasst worden sein und gilt als vermisst. Wie es heißt, soll auch die Lawine in Rigopiano, etwa 50 Kilometer von der Küstenstadt Pescara entfernt, von den jüngsten Erdstößen ausgelöst worden sein.

Ein 38-jähriger Koch, Giampiero P., der beim Abgang der Lawine nicht im Gebäude war, hatte bereits am Mittwochnachmittag Alarm geschlagen. „Das Hotel ist eingestürzt, das Hotel ist eingestürzt“, mit diesem Hilferuf wandte sich der Familienvater telefonisch an einen Freund. Seine Frau und Töchter befänden sich noch im Hotel. Warum sich die Rettungskräfte trotz der Hilferufe erst in der Nacht auf den Weg machten, wird noch zu klären sein. Offenbar wurden nicht sofort Rettungsmaßnahmen eingeleitet. Weil die Forststraße von Farindola, dem nächsten Ort, mit meterhohem Schnee bedeckt war, hatten sich die Bergretter in der Nacht zu Fuß auf den Weg zum auf 1200 Metern Höhe gelegenen Hotel gemacht.

Die Abruzzen – Erdbebenregion in Mittelitalien

Umbrien, Marken, Abruzzen – Erdbeben suchen diese Regionen in Mittelitalien besonders häufig heim. Farindola, wo nach dem jüngsten Beben ein Hotel von einer Lawine verschüttet wurde, liegt nur gut 40 Kilometer Luftlinie von L'Aquila entfernt. In der Hauptstadt der Region Abruzzen waren im April 2009 mehr als 300 Menschen bei einem schweren Beben ums Leben gekommen. 70 000 wurden obdachlos, die Stadt wurde fast vollständig zerstört.

Bis zur Katastrophe galt L'Aquila, auch „Abruzzenflorenz“ genannt, als bedeutendes Kunstzentrum. Kleine Dörfer, Klöster, Kathedralen und Burgen prägen die gesamte Region mit ihren gut 1,3 Millionen Einwohnern. Die Abruzzen mit ihrer gebirgigen und naturbelassenen Landschaft sind vor allem bei Einheimischen beliebt und gelten unter ausländischen Touristen noch als Geheimtipp. Die meisten von ihnen kamen 2015 aus Deutschland und der Schweiz.

Die Menschen in der Region leben von der Schaf- und Viehzucht. In den höher gelegenen Gebieten werden Kartoffeln und Weizen angebaut, in den Küstentälern wachsen Mais, Oliven, Trauben und Zitrusfrüchte. Der Nationalpark Gran Sasso zählt zu den größten in Italien, mit 2912 Metern ist der Corno Grande höchster Gipfel der Region. Im Osten grenzt die Adria an die Abruzzen. (dpa)

"Man muss mit solchen Beben weiter rechne"

Die neuerlichen schweren Erdbeben in Mittelitalien sind nach Einschätzung des Potsdamer Seismologen Birger-Gottfried Lühr Teil einer ganzen Serie in dieser Region.

Herr Lühr, in Mittelitalien gab es ja erst vergangenen Sommer ein verheerendes Beben. Hängen diese Beben zusammen?

Im Grunde hängen die alle miteinander zusammen. Das ganze hat weiter nördlich 1997 in Umbrien begonnen. Viele erinnern sich daran, dass dort eine Kirche zusammengebrochen war. Die weiteren Beben – und auch die letzten Erdstöße – liegen alle in einem Bereich. Das sind sogenannte Dehnungsbeben und die gehören da eigentlich auch hin. Man muss mit solchen Beben auch weiter noch rechnen. Das ist für die Leute ein bisschen bitter, aber das lässt sich nicht ändern.

Warum kommt die Region nicht zur Ruhe?

Ein Beben ist ja ein Bruch auf einer Fläche und das sorgt erstmal für eine Entlastung auf dieser Fläche. Aber das bedeutet für die benachbarten Segmente immer eine Belastung. Und daher kann man da immer mit sogenannten getriggerten Beben rechnen. Denken Sie an das große Tsunami-Beben zu Weihnachten 2004 mit einer Stärke von 9,3 (Anm. d. Red.: Andere Berechnungen gehen von 9,1 aus) – und dann kam Ostern darauf das südlichere Segment mit einer Magnitude von 8,7. Das war immer noch verheerend, aber nicht so schlimm wie das Beben zu Weihnachten mit über 200 000 Toten.

Muss man denn angesichts dieser schlechten Aussichten befürchten, dass der italienische Stiefel irgendwann auseinanderbricht?

Nein, auf keinen Fall! Dort schiebt sich ja die adriatische Platte unter Italien. Dadurch findet eine Aufwölbung statt und dann entstehen diese Grabenbrüche. Ein Auseinanderbrechen von Italien ist dabei nicht zu befürchten.

Können die Menschen denn vorbeugen, wenn jetzt weitere Nachbeben und neue Beben zu erwarten sind?

Wenn so etwas passiert, kann ein Stromausfall die Folge sein oder ein Ausfall der Wasserversorgung. Darauf kann man sich vorbereiten, dass man Campingkocher, Taschenlampen und so weiter hat. Für uns Deutsche heißt es, Erdbebengebiete als Touristen erstmal nicht zu besuchen, sondern um solche Gebiete erstmal einen großen Bogen zu machen oder sich genau zu informieren. Und Schaulustige, das ist eigentlich das Allerletzte, die will man da eigentlich nicht haben.

Fragen: Klaus Peters, dpa