Seit Fridays for Future weiß es jedes Kind: Der Zustand der Erde ist bedenklich. Er wäre es auch, sollten die jüngsten Naturkatastrophen vor allem in Europa keine unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels sein. Dessen Katastrophen-Potenzial malte jüngst der Weltklimabericht der Uno an die Wand.
Erderwärmung, Artensterben, Flüchtlingsströme: Abseits der Tagespolitik und ihres kurzsichtigen Denkens in Legislaturperioden setzt sich eine Ausstellung der Kunsthalle Baden-Baden mit dem Verhältnis von Zivilisation und Natur, von Staatlichkeit und Schöpfung auseinander – und das heißt, mit dem besorgniserregenden Zustand des blauen Planeten, den biologischen, geologischen und meteorologischen Grundlagen unserer Existenz. „State And Nature“ ist die erste größere Ausstellung von Çagla Ilk und Misal Adnan Yildiz, die als türkischstämmiges Direktoren-Duo die Kunsthalle seit Frühjahr 2020 leiten.
Zu sehen sind Werke von gut zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstlern, darunter ein Künstler-Duo und ein Künstler-Kollektiv. Mit einer Ausnahme sind es durchweg Gegenwartskünstler und ihre Werke zum Teil eigens für die Ausstellung entstanden. Besagte Ausnahme ist Andreas Achenbach, ein herausragender Vertreter der Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts. Berühmt war Achenbach für seine Landschaftsgemälde und Seestücke: Eine ganze Wand der Kunsthalle ist mit Natur-Szenen gepflastert, einer „Großen Marine mit Leuchtturm“ bei bewegter See, einem „Nordischen Wasserfall mit Regenbogen“ oder einem „Nordischen Wildbach“.

Dass die wild-romantisch strömenden Wasserfluten in weitgehend noch intakter Natur heute ungute Assoziationen wecken, hat mit den Überschwemmungen im Juli zu tun. Deutlich wird ein Epochenumbruch. Im 19. Jahrhundert konnten die Menschen noch die Empfindung des Erhabenen genießen, ausgelöst durch den Anblick ungebundener, majestätischer Natur. Heute ist dem Erhabenen ein Moment des Bedrohlichen, ja Todbringenden beigemischt.
„Staat und Natur“ lautet die wörtliche Übersetzung des Titels der Ausstellung. Ausgangspunkt der Schau ist die räumliche Situation der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden selbst. Direkt vor ihrer Haustür liegt der Park an der Lichtentaler Allee. Staatliche Institution und Natur grenzen somit unmittelbar aneinander. Der Sound-Künstler Jan St. Werner hat knapp über der Oos, die die Lichtentaler Allee in Sichtweite der Kunsthalle durchfließt, ein Mikrofon installiert und überträgt das Rauschen des Wassers über Lautsprecher in Richtung Kunsthalle. Nicht Herrschaft über die Natur ist der Impetus, vielmehr ein ganz anders geartetes, achtsam-aufmerksames Verhältnis zu ihr, ja, eine Art Kommunikation.
Denn auch wenn sich in einem Saal der Kunsthalle Henrik Olsens gigantisches Streichholz – im künstlerischen Blow-up misst es über sechs Meter – keineswegs auf Feuerkatastrophen bezieht, die wie die jüngsten Brände in vielen Mittelmeer-Staaten ganze Landstriche verwüsten: Das Verhältnis des Menschen zur Natur ist im Kern ein konfrontatives, kämpferisches. Im globalen Maßstab stellt es sich als rücksichtslose Ausbeutung von Natur dar.
Nur eine Folge davon ist das Artensterben – ein Thema von Neda Saeedi. Ihre raumgreifende Installation „Two Shades Of Green“ im Oberlichtsaal der Kunsthalle zielt auf eine utopische Zukunft, in der der Gegensatz von menschlicher Zivilisation und Natur aufgehoben wäre in einem harmonischen Neben- und Miteinander. Im Park der Lichtentaler Allee mit seiner Artenvielfalt an Bäumen und Pflanzen hat die Künstlerin Blätter aufgesammelt, die in ihrer Installation mit baumartiger Konstruktion als Sinnbild für die Vielfalt der Natur figurieren.
Anike Joyce Sadiqs Wand-Installation aus acht Video-Stills mit wüstenartigen Landschaften macht den konfliktträchtigen Gegensatz von Urbanität und Natur zum Thema. Auf einem der Stills liest man auf einer Tafel in der Landschaft: „Eine Gründung ist immer ein Anfang ist immer ein Ende ist immer ein Anfang.“ Der Satz ruft Vergänglichkeit in Erinnerung: Eine Stadtgründung ist ja stets eine Ausmerzung oder ein Ende der Natur.
Umgekehrt können Städte in Natur zurücksinken, von ihr zurückerobert werden. So verschwimmt in einer Szene von Cengiz Tekin die Grenze zwischen Staatlichkeit und Natur. Stelios Kallinikous Foto-Serie „Flamingo Theatre“ wiederum handelt vom Gegensatz von Natur und Zivilisation – etwa, wenn der Zypriot einem Foto mit einem Schwarm von Flamingos ein anderes mit einer Gruppe britischer Kampfjets am Himmel über Zypern gegenüberstellt.

Bilder eines nicht destruktiven, sondern behutsamen Umgangs mit Natur entwirft Simone Demandt in ihrer Foto-Serie zu Wurzelfragmenten eines Weidenbaums. Auch in Anton Vidokles Film „Autotrofia“ über ein Fruchtbarkeitsritual in Oliveto Lucano – einem Dorf in Süditalien – scheint ein empathisches Verhältnis zur Natur auf. Mehtap Baydus „Samaran“, eine Gestalt der Volkskunst Anatoliens, ist in ihrer Weisheit als Gegenbild zur naturfeindlichen Politik der türkischen Regierung gedacht. Dass sie die Kunsthalle vor Angriffen schützen soll, verbuchen wir freilich unter Wunschdenken.
State And Nature, Kunsthalle Baden-Baden, bis 31. Oktober, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr. Weitere Informationen unter: http://www.kunsthalle-baden-baden.de