Mal ehrlich: Wer von uns liest denn noch Gedichte? Neue gar? Genau genommen: kaum jemand.

Hemmschwelle überwinden

Der Fotograf Dirk Skiba hat sich etwas Neues einfallen lassen, um die Hemmschwelle zum Gedicht zu überwinden. Seinem jüngsten Band „Das Gedicht und sein Double“ liegt die Überlegung zugrunde, dass zu jedem Gedicht auch ein Gesicht gehört. Und so traf er sich mit Autoren wie Klaus Merz, Kinga Tóth und Jürg Halter, um sie zu fotografieren. Im Zürcher Strauhof sind nun ihre Texte zu lesen und Gesichter zu sehen.

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Wer die Ausstellung „Gedicht / Gesicht“ besucht, gewinnt den Eindruck, dass die große Zeit der Lyrik noch lange nicht vorbei ist. „Wir leben im Zeitalter des Gedichts“: Dieser Satz eines Literaturwissenschaftlers prangt stolz an einer Wand. Und wird gleich darauf wieder etwas entschärft, wenn ein Schriftsteller beklagt, es gebe inzwischen mehr Lyrikschreiber als Lyrikleser.

Kraftstoff für die Seele

Wer Gedichte liebt, weiß: Sie sind Kraftstoff für die Seele, denn wie keine andere Gattung vermag es Lyrik, Horizonte aufzureißen, Langzeitwirkung zu schaffen selbst mit knappsten Mitteln. Wer sie noch nicht liebt, tut dies vielleicht nach einem Besuch der Strauhof-Schau.

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Wir zeigen Ihnen heute eine Auswahl von drei Gedichten mit Gesichtern: Klaus Merz, Kinga Tóth und Jürg Halter.

Bis 15. September. Weitere Informationen im Internet unter: http://www.strauhof.http://ch

Klaus Merz
Klaus Merz | Bild: Dirk Skiba

Klaus Merz, Jahrgang 1945, ließ sich zum Sekundarlehrer ausbilden und ist einer der bekanntesten Schweizer Lyriker. Er verdichtet Sprache radikal, lässt aber Platz für Überraschungen.

Columbus

Sagen können:

 

Ich habe mich

durchgefragt.

 

Bis zu mir.

 

Jürg Halter
Jürg Halter | Bild: Dirk Skiba

Jürg Halter, Jahrgang 1980, war bis 2015 auch als Rapper aktiv. Er studierte an der Hochschule der Künste Bern, ist einer der Pioniere der neuen deutschsprachigen „Spoken Word“-Bewegung und gehört zu den namhaften Schweizer Autoren.

Spiegelbild

Wenn ich die Augen schließe,

hörst du auf zu sein?

 

Lies mir von den Lippen.

 

Wenn ich lange schon schweige,

vernimmst du meine Stimme noch?

 

Lies zwischen meinen Zeilen

 

Lausche weiter.

 

Doch sag mir, Spieglein an der Wand: Wie lange noch

willst du mich eigentlich beweisen?

Kinga Tóth
Kinga Tóth | Bild: Dirk Skiba

Kinga Tóth, Jahrgang 1983, ist studierte Sprachwissenschaftlerin und arbeitet spartenübergreifend: Sie hat einige Gedichtbände selbst bebildert und wirkt auch als Texterin und Sängerin in musikalischen Projekten.

lied

fünfzig

zum hochstand wirst du geführt damit

die andern gut zu sehen sind die zäune hier

die gewohnheiten das maß der flucht

der moment des innehaltens falls du rüberläufst

schreie schieße ich raketen lass

den anderen

dich sehen

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