1839 wurde in Paris der Öffentlichkeit die erste Daguerrotypie präsentiert, eine frühe Form der Fotografie. Die Fernwirkung der dadurch ausgelösten Medienrevo­lution reicht bis zu den Bilderfluten der Gegenwart. Rasch entstand eine massenhafte Nachfrage, die die Daguerrotypie alsbald karikaturwürdig werden ließ.

1847 amüsierte sich Honoré Daumier in einer Lithografie über die lange Belichtungszeit und damit verbundene Unbequemlichkeit für die Porträtierten. Théodore Maurisset machte sich in seiner Lithografie „La Daguerrotypiemanie“ über den phänomenalen Erfolg der neuen Technik lustig: Vor zeitgemäßen Fotoateliers haben sich kilometerlange Schlangen gebildet.

Johann Wilhelm Schirmers „Wolkenstudie“ entstand wohl um 1855/1860.
Johann Wilhelm Schirmers „Wolkenstudie“ entstand wohl um 1855/1860. | Bild: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe / A. Fischer / H. Kohler

Die Ausstellung „Licht und Leinwand“ der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe beleuchtet das neuartige Phänomen und seine frühen Folgen für die Kunst, insbesondere die Malerei, mit rund 200 Exponaten. Die in Zusammenarbeit mit dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg konzipierte Schau war im Sommer 2018 bereits im Fränkischen zu sehen.

Die Überwindung des Bildmonopols der Kunst durch die Fotografie sorgte bei Künstlern für Beunruhigung, ja, sie löste Existenzängste aus. Doch bedeutete die neue Erfindung keineswegs das Ende der Malerei, wie sich erweisen sollte.

Gemälde als Wertgegenstand

Denn ein Gemälde war ein Wertgegenstand – und blieb es. Nicht viele Menschen konnten sich vor der Erfindung der Fotografie ein Bild von Künstlerhand leisten. Der soziale Stellenwert gemalter Bilder wird in der Ausstellung deutlich angesichts von Friedrich von Amerlings Bildnis einer Adligen aus dem Germanischen Nationalmuseum.

Die Freifrau hält in dem Gemälde ein kleines gemaltes Porträt zweier Kinder – vielleicht von Enkeln – in der behandschuhten Hand. Das Porträtbild entstand wenige Jahre vor der Erfindung der Daguerrotypie durch den Franzosen Louis Daguerre. Auch nach deren Verbreitung wäre ein gemaltes Lichtbild in der Hand einer porträtierten Person wohl nur schwer vorstellbar.

Kunst als Vorbild der Malerei

Die Kunst behauptete gegenüber der Fotografie nicht nur den Vorrang, sie erlangte für sie geradezu Vorbildcharakter. Die Daguerrotypie und wenig später Lichtbildverfahren wie die Kallotypie oder die Kollodiumstechnik übernahmen ihre Darstellungsweisen.

Die Modelle produzierten sich vor der Kamera in denselben Posen, wie man sie von gemalten Porträts her kannte. Auch sonst orientierte sich die Fotografie stark an der Kunst. Lichtbilder von Kunstwerken kamen in Umlauf, Gemälde wie Hans Makarts „Romeo und Julia“ von 1876 wurden fotografisch nachgestellt.

Ist erotische Fotografie Kunst?

Auch die frühe Blüte erotischer Fotografie hüllte sich schamhaft ins Deckmäntelchen der Kunst. So traten Nackedeis als Nymphen und Bacchantinnen auf, wie sie zuvor Gemälde mit mythologischen Darstellungen bevölkert hatten – oder als „Odaliske (nach Ingres)“ wie in der gleichnamigen Aufnahme von Auguste Bruno Braquehais. In der Hochphase des Impressionismus ahmten Fotografen wie Heinrich von Kühn die Unschärfe der Malweise nach.

Künstlerischen Status erlangte die Fotografie dadurch freilich nicht. Noch zur Jahrhundertwende war das Urteil der Künstler eindeutig. „Eine Photographie ist unter keinen Umständen als ein Kunstwerk zu betrachten“, postulierte der Malerfürst Franz von Stuck 1896 in seiner Antwort auf die Umfrage einer Zeitschrift unter namhaften Malern.

Wie Maler sich der Fotografie bedienten

Ähnlich kühl lehnten Hans Thoma und selbst der fortschrittliche Max Liebermann jeden künstlerischen Anspruch der Fotografie ab. Umgekehrt nahmen viele Maler die Lichtbildkunst in ihren Dienst. Franz von Lenbach ließ einen Fotografen Aufnahmen von Modellen für Porträts machen. Beliebt und weit verbreitet waren auch fotografische Vorlagenwerke für Maler und Zeichner.

Aus dieser dienenden Stellung gegenüber der Kunst fand die Fotografie nur schwer heraus. Doch antwortete dem Dünkel der Maler früh ein wachsendes Selbstbewusstsein der Fotografen. Es artikulierte sich ausgerechnet in jenem Genre, das seit Rembrandt als Paradedisziplin der Malerei gilt: dem Selbstporträt.

Fotografen werden selbstbewusst

Lichtbildner wie Frédéric Boissonas oder Willhelm Bandelow inszenierten sich dezidiert nicht in Geniepose wie noch Anselm Feuerbach, Hans Thoma oder Franz von Stuck. Selbstbewusst lichteten sie sich mit ihrem unförmigen Arbeitsgerät, der Fotokamera ab. Erst Künstler wie Man Ray und Meret Oppenheim indes waren in dem Bemühen erfolgreich, die Fotografie als Kunstform zu etablieren.

Die Ausstellung "Licht und Leinwand. Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert" ist bis zum 2. Juni 2019 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen. Geöffnet ist immer Dienstag bis Sonntag, jeweils von 10 bis 18 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier.