Tilmann P. Gangloff

Auf den ersten Blick klingt die These absurd: George Lucas ist der Totengräber des modernen Kinos. Ausgerechnet Lucas, mittlerweile 72 und mit beinahe allen nur denkbaren Ehrungen für sein Lebenswerk ausgezeichnet! Dabei hat er bloß sechs Filme gedreht. Streicht man seine beiden frühen Filme und lässt außer Acht, dass er als Produzent unter anderem auch für die „Indiana Jones“-Reihe verantwortlich war, besteht sein filmisches Schaffen im Grunde ausschließlich aus „Star Wars“. Tatsächlich ist die Schöpfung der Weltraum-Saga der Kern der These – denn sie war vor 40 Jahren der Sündenfall.

Im Mai 1977, als „Krieg der Sterne“ weltweit die Kinos eroberte, konnte jedoch noch niemand ahnen, dass dieser Erfolg tiefgreifendere Konsequenzen haben würde als jedes andere Ereignis der Filmgeschichte – weil Lucas das Blockbuster-Prinzip erfunden hatte (der Begriff stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und bezog sich auf Fliegerbomben, die ganze Wohnblocks in Schutt und Asche legen konnten). Die großen Hollywood-Studios waren schon immer in erster Linie ökonomisch orientierte Unternehmen, die aus jeder Filmproduktion ein Maximum an Gewinn rausholen wollten. Aber Lucas hatte ihnen gezeigt, wie sich dieses Profitstreben optimieren ließ: Man sucht eine Geschichte, die sich mit leichten Variationen immer wieder neu erzählen und perfekt vermarkten lässt, weil die Nebeneinnahmen durch den Verkauf von T-Shirts, Spielzeug und anderer Lizenzware nicht zu verachten sind.

Man investiert sehr viel Geld in die Herstellung, damit die Bilder möglichst spektakulär aussehen; „Krieg der Sterne“ hat elf Millionen US-Dollar gekostet, „Das Erwachen der Macht“ (2015) 245 Millionen. Der Umsatz der bislang sieben "Star Wars"-Filme (Ableger nicht eingerechnet) liegt bei über 6,4 Milliarden US-Dollar. Das ist auch ein Resultat der riesigen Summen, die für Werbung ausgegeben werden, damit ein Hype entsteht. Der Hype ist die Voraussetzung dafür, die Kinos mit Hunderten von Kopien fluten zu können – in großen Kinos belegen die Produktionen zum Start meist mehrere Säle.

Die Nachteile dieses kaufmännischen Kalküls liegen auf der Hand, und sie sind keineswegs rein künstlerischer Natur, auch wenn der Verdrängungseffekt naturgemäß zur Folge hat, dass kleinere Produktionen rascher auf der Strecke bleiben als früher. In der Zeit vor „Star Wars“ sind Filme mitunter monatelang gelaufen. Das wäre heute aufgrund weiterer Verwertungsformen wie DVD ohnehin nicht mehr denkbar, aber es ist kaum noch möglich, dass ein Werk einen sogenannten Schläfer-Effekt entwickelt. Spätzünder (Sleeper) haben keine Chance mehr – denn wer nicht zum Starttermin funktioniert, fliegt raus.

Natürlich wäre es naiv, nun moralisch zu argumentieren. Sogar unter den Hollywood-Produzenten mag es Menschen geben, die einen gewissen künstlerischen Anspruch vertreten – aber selbst Legenden wie Carl Laemmle oder Jack Warner waren nicht zuletzt Kaufleute, die Verantwortung für ihre Angestellten trugen. Ihre Nachfolger dürften eher an die Aktionäre denken, und deshalb ist das Blockbuster-Prinzip so verführerisch: Je größer die ökonomischen Krisen werden, desto stärker bauen Produzenten auf diese Erfolgsformel. Spätestens seit dem Platzen der New-Economy-Blase wird das Kino daher von Serien dominiert, in denen die immer gleichen Helden mit immer ähnlichen Herausforderungen konfrontiert werden. Film-Reihen gab es auch schon in den 80er- und 90er-Jahren („Stirb langsam“, „Jurassic Park“), aber seit Hollywood bevorzugt auf Comic-Helden setzt, sind regelrechte Franchise-Systeme entstanden. Als mindestens so profitabel wie die Einzelkämpfer Superman und Batman haben sich Dachmarken wie X-Men und Avengers erwiesen, weil sich einzelne Figuren (hier Wolverine – dort Thor) für eigene Film-Abenteuer herauslösen lassen.

Das Blockbuster-Prinzip birgt auch ein Risiko, denn es kommt immer wieder vor, dass eine 200-Millionen-Dollar-Produktion wider Erwarten nicht funktioniert. Deshalb gehen die großen Studios bei weiteren Projekten ebenfalls auf Nummer sicher und setzen auf Marken, die sich bereits bewährt haben – allen voran Buchreihen, die über die jugendliche Zielgruppe hinaus viele erwachsene Leser erreicht haben. Die Liste reicht von „Harry Potter“ bis zu „Die Tribute von Panem“. „Fifty Shades of Grey“ richtet sich zwar an ein älteres Publikum, aber das Kalkül ist das gleiche. Bestseller gibt es auch in anderen Bereichen, selbstredend bedient sich das Kino auch bei Video- und Computerspielen („Resident Evil“) oder beim Spielzeugmarkt („Transformers“).

Eine Gegenrede zur Blockbuster-These kommt von Alfred Holighaus. Der frühere Filmkritiker ist Präsident der deutschen Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und war zuvor Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie – er steht also nicht im Verdacht, einem rein kaufmännischen Kalkül anzuhängen. Trotzdem bestreitet er, dass „Krieg der Sterne“ ein Sündenfall gewesen sei. Er bevorzugt den Begriff Paradigmenwechsel: „Die Zeiten, da Filme noch mit einer einzigen Kopie starten konnten und dann zum Riesenerfolg wurden, waren mit ‚Stars Wars’ in der Tat endgültig vorbei. Aber Sleeper gibt es immer noch, und sie laufen meist in Kinos, die die Super-Blockbuster sowieso nicht spielen.“ Als Beispiel führt er „La La Land“ an. Der mit sechs Oscars ausgezeichnete und hierzulande mit 150 Kopien gestartete Überraschungserfolg „musste nicht wegen eines Blockbusters in die Defensive gehen.“ Ein Blick auf die für 2017 angekündigten Filme zeigt aber, dass der Trend, auf Nummer sicher zu gehen, zunimmt.