Sie haben schon einiges durchgemacht, die Musiker der 1980 im britischen Basildon gegründeten Formation Depeche Mode: kometenhafter kommerzieller Aufstieg, exorbitanter Tour- und Aufnahmestress, jede Menge Drogenprobleme, veritable Identitätskrisen. 1995 scheiterte ein Selbstmordversuch ihres heroinabhängigen Sängers Dave Gahan; ein Jahr später war er nach der Einnahme einer Überdosis kurzzeitig klinisch tot – Rettungssanitäter schafften es erst nach mehreren Minuten, ihn wiederzubeleben. "Was ich sah und fühlte in diesem Zustand", erzählte er später, "war komplette Finsternis. Ich habe mich noch nie in einer Umgebung befunden, die dunkler war." Die Dunkelheit hat ihn und seine Band seitdem nicht mehr losgelassen. "Spirit", das neue Album von Depeche Mode (das erste nach vierjähriger Pause), ist ein bizarrer musikalischer Trip exakt in diese Finsternis – so apokalyptisch, so bar jeder Hoffnung wie auf dieser zwölf Stücke umfassenden Song-Kollektion, tönte die Gruppe noch nie.

Multi-Instrumentalist – und Mastermind der Band – Martin Gore zaubert unheilvoll dräuende Klangwolken aus seinem umfangreichen Synthesizer-Arsenal, unterlegt mit donnernden Bassläufen und knalligen Computerdrums, und inmitten dieses kalten, exotischen Soundkosmos' thront Gahans vergleichsweise warmer Bariton – einziger Lichtpunkt in einem pechschwarzen Universum. "We have lost our soul" (wir haben unsere Seele verloren) singt er in "Going Backwards", dem Eröffnungstrack des Albums, "we're digging our own hole" (wir schaufeln uns unser eigenes Grab).

Überraschend eingängig ist dieser Song, geht sofort ins Ohr – warum sich die Band dazu entschlossen hat, nicht ihn, sondern das nächste Stück ("Where's The Revolution") als Vorab-Single zu veröffentlichen, bleibt ihr Geheimnis. Für Depeche-Mode-Verhältnisse schnitt er, Charts-technisch gesehen, nur durchschnittlich ab. Einzig in Ungarn gelangte er in die Top Ten der bestverkauften Singles.

Ein ähnlicher Ohrwurm wie "Going Backwards" ist "Cover Me", eine Ballade, die in Zusammenarbeit mit dem Depeche-Mode-Tour-Keyboarder Peter Gordeno und dem österreichischen Komponisten und Gelegenheits-Drummer Christian Eigner entstanden ist. Hier ist es der Gesang und der Songtext, der einen beim konzentrierten Hören unwillkürlich frösteln lässt, weniger der – eher sanfte – Keyboardteppich, der Gahans Stimme umhüllt. "The air is so cold here" (die Luft hier ist so kalt), klagt sie unentwegt, "it's so hard to breathe" (es ist so schwer zu atmen). So einsam und so verloren klang der Depeche-Mode-Frontmann bisher noch nie – und die Themen Einsamkeit und Entfremdung ziehen sich bekannterweise schon von Beginn an durch das musikalische Oeuvre dieser Band.

Der phänomenale kommerzielle Erfolg der Werke von Gahan, Gore & Co. (etwa 100 Millionen verkaufte Tonträger seit 1981) wurzelt vermutlich exakt in dieser Kombination aus Melancholie, No-Future-Attitüde und einprägsamer Melodik – so gesehen müsste "Spirit" eigentlich die Hitparaden weltweit stürmen (und bei Abfassung dieses Artikels fand sich das Album denn auch in einem knappen Dutzend Ländern in den Top Five der Charts).

Bei zwei Stücken singt im Übrigen Depeche-Mode-Mastermind Martin Gore selbst – beide gehören allerdings nicht unbedingt zu den stärksten Tracks auf "Spirit". Völlig aus dem Rahmen fällt der Song "Poorman": ein ausgesprochen seltsam klingender Rumpel-Blues, der sich in etwa so anhört, als würden irgendwelche Aliens das populäre amerikanische Liedgut des vergangenen halben Jahrhunderts aufarbeiten. Das ist umso bemerkenswerter, weil ansonsten das gesamte Album einen vorbildlich geschlossenen Eindruck macht, ja, fast als Konzept-Album durchgehen könnte. Stets faszinierend, oft ziemlich verstörend, hebt es sich wohltuend ab von dem deprimierend mittelmäßigen Output, den das internationale Pop-Business derzeit wie am Fließband zu produzieren pflegt.

"Dreaming Of Me" (1981) – damit fing alles an:

"People Are People" (1984) – die erste Nummer-eins-Single in Deutschland:

"Enjoy The Silence" (1990) – ein legendäres Video:

"Dream On" (2001) landete ebenfalls auf Platz eins:

"Where's The Revolution" aus dem Album Spirit (2017):