In Gottesdiensten, so haben wir vor Weihnachten vermeldet, wird weniger gesungen. Experten sind ratlos: Liegt es am Niveau des Musikunterrichts? An veränderten Freizeitgewohnheiten? Sind etwa die Medien schuld?

Nun liegt es nahe, bei einem Problem der Kirche die Schuld bei Schulen, Familien und Medien zu suchen. Trotzdem riskiere ich mal was Verrücktes und behaupte: Wenn Menschen in der Kirche kaum singen mögen, hat das nichts mit Lehrern, Eltern oder Journalisten zu tun. Sondern mit der Kirche.

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Das Leid fängt ja schon damit an, dass es mit dem Singen meist nicht getan ist. Mir selbst zum Beispiel ist am Intonieren klangschöner Kirchenlieder durchaus gelegen. Ungern allerdings pflege ich es, klatschend, schnipsend und hüpfend in aller Öffentlichkeit mein Spießertum zu therapieren.

Nichts gegen Gitarren, aber...

Schon der bloße Anblick einer Gitarre in Altarnähe kann mir deshalb jede Lust am Kirchengesang verleiden. Nicht, weil ich etwas gegen Gitarren hätte. Vielmehr sind mit diesem Instrument im Kirchenschiff gewisse Erfahrungen verbunden. Letztens raunte mir mein Platznachbar in böser Vorahnung zu: „Der Herr sprach, es werde Kindergarten.“ Und es wurde Kindergarten.

Im Fußballstadion funktioniert es doch auch

Die Menschen strömen in Fußballstadien und singen, als gäbe es kein Morgen mehr. Sie trällern und tirillieren tagein, tagaus, ob in Bierzelten, am Lagerfeuer oder unter der Dusche. Doch kaum sitzen sie in der Kirche, bringen sie keinen Ton mehr heraus. Und daran soll der Musiklehrer schuld sein? Ganz im Gegenteil.

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In Stockach ist zu erleben, was geschieht, wenn ein engagierter Pädagoge auch schulferne Interessenten zum Mitwirken am Weihnachtskonzert einlädt. Die halbe Stadt meldet sich an, um Woche für Woche Händels „Messias“ zu proben und schließlich in der Kirche aufzuführen. Ohne Gehopse. Singen in der Kirche: Das kann ein Straßenfeger sein.

Spaß stoppt keinen Mitgliederrückgang

Die Kirche läuft seit fast einem halben Jahrhundert mit penetrant gutlaunigem Kindergartenpop den Jugendlichen hinterher. Doch die meisten von ihnen sind schneller, der Mitgliederrückgang scheint kaum zu stoppen zu sein. Eher unspaßige Religionsgemeinschaften wie der Islam üben größere Anziehungskraft aus.

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Wer als Christ spirituelle Versenkung sucht, ist gegenwärtig mit einem Theater-, Opern- oder Ausstellungsbesuch, ja auch mit einem Popkonzert meist besser bedient. Ein bisschen weniger Klatschen und Hüpfen, ein bisschen mehr Substanz: Dann wird in der Kirche nicht nur mehr gesungen – dann treten auch weniger aus.

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