2019 war das Greta-Thunberg-Jahr. Kein anderer Mensch sorgte für so viel Aufsehen und Veränderungen, keiner politischen Figur schlugen derart schaumige Wellen des Hasses entgegen. Die junge Frau von mittlerweile 17 Jahren steht für eine neue, mündige Generation, die Vertreter älterer Semester zusammenzucken, ja sich bisweilen sogar zu Gewaltandrohungen hinreißen lässt.
Mögen diese Abwehrreflexe auch befremden, so sind sie doch vor allem aus der Kunst und insbesondere der Popkultur bekannt. Sobald neue Stile aufkeimen und selbstbewusst das bisher Dagewesene verdrängen, greifen die Alteingesessenen gern mal drohend zur Heckenschere. Ein guter Zeitpunkt also, um ein geschärftes Auge auf die einflussreichsten Jungspunde der Kunstwelt zu werfen. Wer sind sie, die Wunderkinder der Kulturszene? Und lassen sich bei ihnen Parallelen zum Greta-Phänomen entdecken?
Billie Eilish
Was Greta für die Politik darstellt, das ist die 18-Jährige für die Popmusik. Die Amerikanerin ist zwar etwas älter als die Klima-Aktivistin, ihr Aufstieg verlief aber zuletzt ähnlich rasant und führte zuletzt zu einer digital-medialen Omnipräsenz. Eilish ist nicht nur sehr erfolgreich (ihr Debütalbum war 2019 die meistgestreamte Platte weltweit), sondern besitzt die mythische Gabe, versteinerte Popherzen aufzuweichen.

Bei Musiknerds, bei Kritikern, über die Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg. Dabei gelingt ihr das merkwürdige Kunststück, Mainstream-Strukturen durch den Einsatz von verkopften Indie-Werkzeugen nachzuzeichnen. Ein Fehler in der Matrix. Ein Anti-Popstar, ein zerbrochener Spiegel in der Kaugummi-Welt.
Mero
Das stetige Provozieren der Vorgänger-Generation erscheint absolut unverzichtbar für das Hip-Hop-Genre. Aber einen tieferen Keil als der Deutschrapper Mero hat wohl noch kein Künstler zwischen Old und New School getrieben. Der 19-Jährige mit türkischen Wurzeln enterte die Szene 2019 wie ein Komet.
Seine Hits wie „Baller Los“ (130 Millionen Klicks auf YouTube) oder „Olabilir“ (145 Millionen) vermischten Rap mit eingängigen Melodien und arabischen Einflüssen. Eine Mischung, die ältere Rap-Fans regelrecht zur Weißglut aufheizte und anhaltende Grabenkämpfe anschob. Aber ob man will oder nicht: Mero, ein Teenager und Instagram-Rapper, hat den Hip-Hop nachhaltig verändert und für neue Zielgruppen erschlossen.
Mikail Akar
Wirkliche Veränderungen wird der Kölner zwar wohl kaum in der Kunstwelt hinterlassen. Dafür ist sein Werk zu generisch, zu nichtssagend. Doch wer kann es Mikail verdenken? Der Nachwuchskünstler ist schließlich gerade mal sieben Jahre alt und findet sich damit in einer ellenlangen Blutlinie wieder, die nun in ihm, dem Grundschüler, ihren Zenit erreicht.

Spätestens beim Stöbern durch das 43.000 Follower starke Instagram-Profil wird klar, dass Mikail Akar, der 2019 groß rauskam, vor allem eine Attraktion ist. Ausgestellt vom ihn managenden Vater, generiert, um den nach Sensationen geifernden Kunstmarkt erbarmungslos zu melken.
Wie vor ihm schon die 13-jährige Australierin Aelita Andre (die als Zweijährige als Jackson-Pollock-Wiedergeburt gefeiert wurde) und der 21 Jahre alte Leon Löwentraut, der ein gut schnurrendes Geschäft bei gleichzeitiger Inszenierung nahe des Größenwahns betreibt, zeigt auch Akar abstrakte Bildwelten, perfekt für den Platz über dem Kaminsims der Wohlbetuchten. Mit einem Wort: langweilig. Aber: extrem erfolgreich!
Was ist mit Film und Literatur?
Gern hätten wir hier auch das eine oder andere Wunderkind aus den Sparten Film und Literatur vorgestellt. Aber schnell wurde klar: Es gibt sie nicht. Zwar überzeugen Kinderdarsteller oft mit herausragenden Leistungen – etwa die jetzt zwölfjährige Helena Zengel, die den deutschen Film „Systemsprenger“ beinahe allein stemmte und anschließend mit Tom Hanks gedreht hat.
Aber auf der schaffenden Seite herrscht abseits von Figuren wie dem Kanadier Xaver Dolan, der nun schon ein Jahrzehnt im Geschäft ist, gähnende Leere. Nicht selten feiern Autoren und Regisseure ihr Debüt erst jenseits der 30.
Hier sieht man: Wunderkinder unterscheiden sich elementar von Medium zu Medium. Während in der Musik sehr junge Akteure in der Lage sind, tief greifende Veränderungen zu provozieren, gibt es in Literatur und Film nur wenige Künstler, die überhaupt wertige oder erfolgreiche Werke veröffentlichen können. Die Kunst indes wimmelt nur so von blutjungen Talenten, die sich aber größtenteils als Mutationen des Marktes entlarven.
Um einen Roman, ein komplexes Kunstprojekt oder einen vollwertigen Film umzusetzen, braucht es vollbeladene Portionen an Übung, Zeit, Ressourcen und Wissen um die Eigenarten des jeweiligen Mediums – der Zugriff darauf scheint für junge Menschen steinig und muss eben erst gelingen. Musik aber ist intuitiver, direkter. Auch deshalb erscheint sie oft als zentraler Antrieb und Verankerungspunkt von Jugendkulturen. Welche Musik wohl Greta Thunberg hört?