„Sie wollte nur selbst leben und ‚das Tier‘, ihr Opfer, wegtun, das sie wie ein Tier zerteilte. Kann man sich eine größere Kaltblütigkeit und Grausamkeit vorstellen?“, fragt Opferanwältin Alessandra Biondi in ihrem Plädoyer vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen.

Anastasia S. war passionierte Sportschützin. Sie tötete ihre Mieterin Maria A. mit sieben Schüssen.
Anastasia S. war passionierte Sportschützin. Sie tötete ihre Mieterin Maria A. mit sieben Schüssen. | Bild: Facebook

Sie, das ist die 55-jährige Angeklagte Anastasia S. (*Name von der Redaktion geändert) aus Bottighofen am Bodensee. Am 29. Oktober 2020 hat sie in ihrer Waschküche im Keller ihre Mieterin Maria A.* mit sieben Schüssen getötet, den Leichnam zerstückelt, im Müll entsorgt und den Kopf 20 Kilometer weiter im Egnacher Wald vergraben.

„Die Wahrheit kennt keine verschiedenen Varianten“

„Wir mussten einen spektakulären Fall entscheiden, bei dem vieles von Anfang klar war, aber aus Sicht des Gerichts vieles im Dunkeln bleibt“, sagt die Kreuzlinger Gerichtspräsidentin Ruth Faller Graf in ihrer Begründung zum Urteil, das sie mit vier weiteren Richtern gefällt hat.

Je nach Stand der Ermittlungen habe die Angeklagte ihre Schilderung des Tatverlaufs immer wieder abgeändert, wonach sie von hinten überraschend gewürgt worden sei und nach einem kurzen Kampf ihrem 62-jährigen Opfer Maria A. dann in Notwehr in den Bauch geschossen habe.

In Keller dieses Haus in Bottighofen am Bodensee tötete Anastasia S. ihre Mieterin Maria A. und zerteilte ihren Leichnam. Nachdem sie ...
In Keller dieses Haus in Bottighofen am Bodensee tötete Anastasia S. ihre Mieterin Maria A. und zerteilte ihren Leichnam. Nachdem sie den Wagen ihres Opfers nach Scherzingen gestellt hatte, um die Ermittler auf eine falsche Fährte zu locken, warf sie den Autoschlüssel in den angrenzenden Bach. | Bild: René Laglstorfer

„Was nicht passt, wird passend gemacht. Aber die Wahrheit kennt keine verschiedene Varianten“, sagt die Vorsitzende Richterin. Sie hält Anastasia S. für absolut unglaubwürdig. Weder sei es zu einem Würgen noch zu einem Kampf in der Waschküche gekommen.

„Für das Gericht ist es sicher, dass das Opfer von hinten erschossen wurde“, sagt Faller Graf. Die Tat sei Selbstjustiz in einer Ausnahmesituation gewesen, aber keine Notwehr und kein entschuldbarer Notwehrexzess.

Urteil: Lange Strafe und viel Geld

Das Kreuzlinger Bezirksgericht verurteilt Anastasia S. wegen vorsätzlicher Tötung und Störung der Totenruhe zu 15 Jahre Gefängnis und danach 15 Jahre Landesverweis. Außerdem muss sie die Verfahrenskosten in Höhe von 126.000 Franken bezahlen.

„Es gibt ein öffentliches Interesse an der Landesverweisung, der Ehemann lebt in Liechtenstein, die Ehe ist intakt, also kein Härtefall“, sagt Ruth Faller Graf und bezeichnet die begangene Störung der Totenruhe als „im höchsten Maße verwerflich“.

Maria A. kurz vor ihrer Tötung.
Maria A. kurz vor ihrer Tötung. | Bild: Kantonspolizei Thurgau

Fünf Verwandte des Opfers Maria A., die wenig Kontakt zu ihr gehabt haben sollen und nicht einmal einen Leichnam beerdigen konnten, erhielten 2500 Franken Schadenersatz plus fünf Prozent Zinsen seit dem Tattag am 29. Oktober 2020 zugesprochen.

Gefordert hatten sie 40.000 Franken plus Zinsen. Darüber hinaus verfügte die Kreuzlinger Gerichtspräsidentin, dass die Pistolen, Messer und ein Elektroschockgerät, die alle im Besitz von Anastasia S. waren, vernichtet werden.

„Wahrscheinlich Berufung“

Anastasia S. nahm das Urteil ohne sichtbare Regung zur Kenntnis. Ihr Verteidiger Reinhold Nussmüller kündigte nach dem Ende der Verhandlung gegenüber dem SÜDKURIER an, wahrscheinlich in Berufung zu gehen. Er hatte eine Strafe von unter zwölf Monaten auf Bewährung beantragt.

Oberstaatsanwalt Patrick Müller zeigte sich mit dem Urteil zufrieden, kündigte aber dennoch an, die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten und dann über eine mögliche Berufung zu entscheiden. Er hatte zuvor 18 Jahre Gefängnis und 15 Jahre Landesverweis gefordert.

Patrick Müller, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen
Patrick Müller, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen | Bild: René Laglstorfer

„Der Fall war natürlich auch für mich einzigartig, vor allem das Verhalten der Beschuldigten nach der Tat, dass sie den Leichnam zerteilt, in Säcke verpackt und in Abfallcontainer geworfen hat. Das ist schon sehr grausam und brutal“, sagte Müller dem SÜDKURIER und erwähnte dabei auch die vergleichsweise lapidaren Mietschulden des Opfers in Höhe von 3600 Franken. Bis zum Ablauf der Berufungsfrist ist das Urteil nicht rechtskräftig.