Nico, Sie kommen direkt aus Spanien. Frieren Sie gar nicht bei dieser kalten Witterung hier?
Nein. Ich bin eher ein Schlechtwetter-Mensch, jedenfalls im Radsport. Sobald es regnet, gehen bei mir die Beine auf. Bei drückender Hitze fühle ich mich nicht so wohl. Ich muss immer viel trinken und schwitze auch sehr schnell. Da sind hohe Temperaturen nicht immer so gut für mich. An einem Tag bei der Vuelta hatte ich fast einen Hitzeschlag. Da habe ich mich nur noch ins Ziel geschleppt.
Zum Glück war es nicht immer schön bei der Vuelta.
Ja, wir hatten alles. Hitze, Regen, Wind, Kälte. Nur der Schnee hat noch gefehlt.
Vermissen Sie die schöne Landschaft von Spanien?
Das war kein Urlaub. Die Landschaft können wir nicht genießen. In den spanischen Bergen ist es ja richtig schön. Aber in den Bergen bin ich auch richtig am Leiden. In den schönen kleinen Dörfern, durch die wir fahren, musst du dich auf die Straße konzentrieren. Du hast 180 Mann neben dir und musst sehr vorsichtig sein.
Sie sind auf den Straßen in ganz Europa unterwegs. Bedeutet Ihnen die Heimat hier noch viel?
Ja klar. Meine Eltern wohnen in Remetschwiel und ich lebe seit Mai mit meiner Freundin Janin in Albbruck.
War sie dabei in Spanien?
Nein. Sie ist noch in der Ausbildung in Bad Säckingen. Morgens war sie während der Vuelta in der Schule, und mittags am Fernseher hat sie mir die Daumen gedrückt. Janin ist mein größter Fan. Kurz hatten wir mal überlegt, uns am Ruhetag in Alicante zu treffen, aber das hat nicht geklappt. Aber Kontakt hatten wir täglich übers Internet.
Sie zählen noch nicht zu den Stars der Radsport-Szene. Können Sie sich noch frei bewegen, ohne erkannt zu werden?
Ja. Das genieße ich auch. Radsport ist aber bei uns auch Randsport. Wir sind nicht so bekannt wie die Fußballer. Ich kann jederzeit mit dem Rad anhalten und in meinem Trikot einen Kaffee trinken. Unser Kapitän Romain Bardet kann dies nicht mehr. Oft muss er im Teambus warten, weil draußen zu viele Leute stehen. Er wird gleich von Fans umlagert. Das ist nicht immer schön, weil manche Fans auch keinen Respekt mehr zeigen. Das sind die Schattenseiten der Berühmtheit.
Jetzt geht’s ans Eingemachte: Am Ruhetag nach der zweiten von drei Wochen wurden Sie mit Alexandre Geniez von Ihrem Team aus der Vuelta genommen. Sie hatten sich auf der 15. Etappe unerlaubt einige Meter vom Begleitfahrzeug den Berg hinauf ziehen lassen.
Ja. Im Internet ist ein Video aufgetaucht. Mein Team Ag2r hat mich aus der Vuelta genommen, um einer Entscheidung der Jury vorzubeugen. Ich habe es gleich zugegeben, dass ich einen Fehler gemacht habe. Normalerweise bin ich gar nicht der Typ für so eine Dummheit, aber ich hatte einen schwachen Moment. Ich stehe dazu. Es wird nicht mehr passieren. Ich muss das alles jetzt abhaken.
Wie hat Ihr Team auf Ihren Fehler reagiert? Gab es Ärger?
Teamchef Vincent Lavenu war natürlich nicht erfreut. Ich habe mich auch bei ihm gleich entschuldigt, weil ich mit meinem eigenen Verhalten selbst nicht einverstanden war. Mein Team hat aber das Vertrauen zu mir nicht verloren. Die Welt geht deswegen nicht unter.
Ihre Zukunft bei Ag2r ist also nicht gefährdet?
Nein. Ich habe Ende Juli einen Zweijahresvertrag unterschrieben. Da bin ich froh, da ich Planungssicherheit habe.
Haben Sie als Deutscher kein Interesse, in einem deutschen Team zu fahren?
Ich fühle mich sehr wohl bei Ag2r. Natürlich habe ich nach meiner Zeit im Nachwuchsteam und jetzt auch als Profi im Team eine gewisse Stellung. Von unseren 30 Profis derzeit kommen neun aus dem eigenen Nachwuchsteam. Im Laufe der Jahre sind auch einige Freundschaften mit Fahrern entstanden. In einem neuen Team würde ich nochmals bei Null anfangen.
Radsport ist ein Mannschaftssport. Aber alle im Team fahren für den Kapitän. Die bekanntesten Fahrer in Ihrem Team sind der Franzose Romain Bardet und der Italiener Domenico Pozzovivo, der die Vuelta ebenfalls nicht beendet hat. Wer ist denn nun Ihr Chef?
Ganz klar Romain Bardet. Pozzovivo wechselt ohnehin zum Team Bahrain. Bardet ist unser Kapitän. Dass er bei der Vuelta nicht um den Gesamtsieg fuhr, liegt daran, dass er schon die Tour de France gefahren ist. Das war ein Experiment, dass er Tour und Vuelta gefahren ist. Bei der Vuelta ging es für uns vor allem um Tagessiege.
Wie ist das Verhältnis des Kapitäns zum Team? Ist er der unberührbare Star?
Einen besseren Chef als Romain könnte ich gar nicht haben. Er ist nicht abgehoben, nicht arrogant. Einfach ein super netter Typ. Vor allem erkennt er die Arbeit seiner Helfer an. Bis 2020 wurde sein Vertrag bei Ag2r verlängert. Er schottet sich nach dem Rennen nicht ab, sondern wir essen gemeinsam und reden auch über viele Dinge.
Apropos Essen: Sie sind rank und schlank wie eh und je. Sein Gewicht zu halten ist bei einer solchen Tour wie der Vuelta sicher kein Problem?
Nein. Das Problem ist, dass man sich bei dem hohen Kalorienverbrauch zum Essen zwingen muss. Normalerweise jedenfalls. Aber wir haben einen eigenen Koch – einen Belgier. Der muss mich nicht zum Essen zwingen. Bei ihm esse ich gerne und mit viel Vergnügen.
Nochmals zu ihrem sportlichen Abschneiden bei der Vuelta: Bis zu ihrem Ausstieg waren Sie mit einem Rückstand von über drei Stunden im Gesamtklassement irgendwo zwischen Position 100 und 140 im Gesamtklassement zu finden. Hat Sie das interessiert?
Nein, meine Platzierung ist egal. Ich werde nicht bezahlt für meine Ergebnisse, sondern dafür, um meinen Chef Romain Bardet zu unterstützen.
Der Helfer, der für Bardet alles tut?
Das Team fährt für ihn. In der ersten Woche hatten wir bei einer Etappe zum Beispiel sehr viel Wind. Da musste ich die ganze Etappe im Gegenwind fahren, damit mein Chef geschützt war. Dann muss einer ja auch ständig Getränke fürs Team holen. Das war meine Aufgabe. Ich hatte zeitweise zehn bis zwölf Flaschen auf meinem Buckel. Das sind sechs Kilogramm Zusatzgepäck, das du mitschleppst.
Sie sind die nächsten Monate wieder öfters zu Hause in Albbruck. Wie sieht Ihre sportliche Planung aus? War die Weltmeisterschaft ab nächste Woche in Norwegen nie ein Thema?
Am Sonntag fahre ich ein Kriterium in Wangen im Allgäu. Was die WM betrifft: Da war mir von Anfang an klar, dass ich nicht im deutschen Kader stehen werde. Neun Fahrer werden nominiert und ich war etwa auf Position 14. Ich werde wohl im Aufgebot unseres Teams für die Eurométropole Tour in Belgien und für die Rennen Paris-Bourges und Paris-Tours im Herbst stehen.
Und nächste Saison? Ist die Tour de France 2018 ein Ziel?
Nein. Diese Plätze sind hart umkämpft bei uns. Nächstes Jahr ist die Tour de France sicher noch kein Thema für mich. Vielleicht fahre ich die „Tour Down Under“ im Januar in Australien. Das wäre ein früher Saisoneinstieg. Dann kommen die Frühjahrs-Klassiker in Belgien und Frankreich. Der Giro wäre super. Aber der beginnt schon Anfang Mai gleich nach den Klassikern.
Sie lieben Italien, hört man.
Ja, da gibt es gutes Essen und einen guten Wein. Und vor allem einen guten Kaffee.
Fragen: Gerd WelteZur Person
Nico Denz (23) ist bei seinen Eltern in Weilheim-Remetschwiel aufgewachsen, wo seinem Vater eine Schreinerei gehört. Seit Mai wohnt er mit seiner Freundin Janin in Albbruck – wenn er nicht gerade mit dem Rad auf Reisen ist. Der VBC Waldshut-Tiengen ist sein Heimatverein, für den er auch seine ersten Rennen bestritten hat. 2015 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag für das französische Team Ag2r, das in Chambéry seinen Sitz hat. (gew)