Helen Grobert, seit dem Olympiarennen in Rio de Janeiro sind nun sechs Monate vergangen und es ist viel passiert. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Ich habe nach Rio eine Pause gebraucht und diese auch meinem Körper gegönnt. Das Bike habe ich erst einmal für neun Wochen auf die Seite gestellt und gar nichts gemacht. Nach den zwei intensiven Jahren vor Olympia war ich schlichtweg ausgepumpt. Ab Dezember war ich dann für mehrere Wochen in Stellenbosch in Südafrika zum Trainingslager. Dort wurde dann auch mein Wechsel vom Ghost Factory Racing Team zum Team Cannondale perfekt gemacht.
Was hat Sie nach zwei Jahren bei Ghost zum Wechsel bewogen?
Der Vertrag lief aus. Mit Cannondale hatte ich schon seit längerer Zeit guten Kontakt. Mich hat das Konzept von Sportchef Phil Dixon und Manager Daniel Hespeler total überzeugt.
Was sieht das Konzept denn vor?
Nun – ich bin sehr glücklich darüber, dass zum ersten Mal ein Konzept ganz speziell für mich entworfen wurde. Ich stehe als einzige und erste Fahrerin des Teams überhaupt im Mittelpunkt der Planungen. Zudem war mir sehr wichtig, dass meine Schwester Hannah mit zum Team gehören wird. Sie steht mir als Trainingspartnerin und als Betreuerin bei den Rennen zur Seite.
Hannah spielt mit ihren 19 Jahren eine wichtige Rolle für Sie?
Absolut! Wir haben viel Spaß zusammen, motivieren uns gegenseitig, teilen alle Erlebnisse, die wir mit diesem wunderschönen Sport gemeinsam erleben.
Wird Sie ebenfalls Rennen fahren?
Hannah darf das selbst entscheiden. Sie hat die Option, jederzeit an den Start zu gehen. Die Entscheidung findet in Absprache mit unserem Sportchef und Teammanager statt. Sie konzentriert sich allerdings derzeit auf ihre Ausbildung in Freiburg.
Die blanken Ergebnisse werfen auf den ersten Blick vielleicht einen Schatten auf das vergangene Jahr. Wie haben Sie selbst das Jahr 2016 erlebt?
Im Fokus stand ganz klar das Olympiarennen in Rio. Deshalb musste ich die verpatzten Rennen bei der Weltmeisterschaft und der Europameisterschaft abhaken. In Rio wurde ich Zwölfte, was zunächst auch nicht so toll klingt. Alle die dabei waren, haben gesehen, dass ich topfit war und es ein super spannendes Rennen war. Ich hatte minimalen Rückstand auf Platz sechs.
Es ging ordentlich zur Sache dort...
...richtig! Da sind alle Fahrerinnen über 90 Minuten volle Pulle gefahren. Es gab nicht eine Sekunde zum Durchatmen. Ein besseres Ergebnis habe ich schlichtweg verpasst, weil ich eine technische Passage nicht in den Griff bekommen habe. An einer Kuppe habe ich immer wieder wertvolle Sekunden verloren. Bis zur letzten Runde konnte ich die Lücke immer wieder schließen, aber in der letzten Runde hat die Kraft nicht mehr gereicht. Ich habe bis zur Zielgeraden gekämpft und bin noch einmal nah dran gekommen. Aber diese paar Sekunden haben am Ende gefehlt. Wenn du bei Olympia vorn dabei sein willst, dann muss alles zu 100 Prozent passen.
Hand aufs Herz. Sie sind also unterm Strich doch etwas enttäuscht vom Verlauf des Jahres 2016?
Nein, enttäuscht bin ich nicht. Wenn ich daran denke, was 2016 alles passiert ist, bin ich stolz darauf, dass ich unter diesen Umständen diese Ergebnisse erreicht habe. Ich habe so viel gelernt. Vielleicht mehr als je zuvor.
Wie sehr hat Sie die Hängepartie um die beiden Startplätze beeinflusst?
Schön war die Situation nicht. Die ganze Sache wurde von außen zu einem Duell zwischen Adelheid Morath und mir hochstilisiert.
Aber es war doch stets eine Entscheidung zwischen allen Kandidatinnen?
Nein. Uns wurde intern signalisiert, dass es nur um einen Platz neben Sabine Spitz geht. Sie war meiner Ansicht nach von Anfang an gesetzt.
Wie kamen Sie mit dem Druck klar?
Ich war überzeugt davon, dass ich in Rio auf den Punkt fit sein werde und der Bundestrainer sich auf mich verlassen kann. Natürlich hat man immer im Hinterkopf, dass seine Entscheidung noch nicht gefallen ist. Dieser Gedanke und das Gerede haben mich belastet. Bei den Weltcuprennen in La Bresse und Albstadt war ich im Kopf nicht frei und habe entsprechend Fehler gemacht, die zu Stürzen und schlechteren Ergebnissen geführt haben. Erst danach habe ich – dank meines Umfeldes – einen Weg gefunden, mich wieder auf die Rennen zu konzentrieren. Ich habe gelernt, mit so einer Situation umzugehen. Trotzdem möchte ich so etwas nicht noch einmal erleben.
In Rio drehte sich dann alles um die Verletzung von Sabine Spitz. Hat es das Team belastet?
Natürlich ging das an uns nicht spurlos vorbei, weil die Stimmung im Team entsprechend war. Es tat mir sehr leid für sie, dass dieser Sturz so schlimme Folgen hatte. Aber mir war klar, dass sie alles tut, um starten zu können.
Im Herbst trat sie vom Rücktritt zurück.
Ja, Sabine bleibt uns erhalten und ich bin überzeugt davon, dass sie auch in Zukunft eine sehr gute Rolle im internationalen Mountainbike spielen wird.
Wann geht für Sie das Renngeschehen wieder los?
Nach dem nächsten Trainingslager in Südafrika fahre ich ein Rennen in Kapstadt. Das erste richtig große Rennen wird dann aber die Trophy in Bad Säckingen am 9. April sein. Dort erwarte ich ein bärenstarkes Feld, denn es geht um richtig viele Weltranglistenpunkte.
Mit welchem Gefühl werden Sie in Bad Säckingen an den Start gehen?
Ich freue mich riesig auf mein Heimrennen. Hier wurde ich als U23-Juniorin 2012 erstmals Deutsche Meisterin und DM-Dritte 2014 bei meinem ersten Elite-Rennen. Die Strecke ist einfach großartig, meine Familie und meine Freunde sind dabei. Das wird eine tolle Sache.
Was sind Ihre Ziele für die Saison 2017?
Bei den Deutschen Meisterschaften in Bad Salzdetfurth am 22./23. Juli will ich den Titel. Im Weltcup und bei der Weltmeisterschaft, die Anfang September in Cairns/Australien stattfindet, peilen wir das Podium – also die Top fünf – an. Ob ich bei der Europameisterschaft Ende Juli in Istanbul an den Start gehen werde, ist im Moment noch offen.
Sie haben einen Vertrag bei Cannondale bis 2018. Zwei Jahre später sind die Olympischen Spiele in Tokio. Spielt Olympia bereits eine Rolle für Sie?
Olympia ist für mich und das Team ein wichtiges Fernziel. Der Gedanke an Tokio fährt schon jetzt mit.
Und wer wird dann mit Ihnen um die deutschen Startplätze fahren?
Ich bin davon überzeugt, dass sich bis Tokio an der aktuellen nationalen Konstellation nichts ändern wird.
Änderungen stehen bei Ihnen allerdings auf privater Ebene an?
Richtig. Ich werde im Frühjahr meinen Hauptwohnsitz wieder nach Weilheim-Remetschwiel verlegen. Ich brauche einfach ein Zuhause, wo ich mich wohlfühle und daheim bin. Und das ist einfach hier, bei meiner Familie und meinen Freunden. Ich genieße es, spontan mit meiner besten Freundin, die in der Nähe wohnt, etwas abzumachen. Da freue ich mich drauf.
Haben Sie keine Sorge, dass der Trainingsfleiß darunter leiden könnte?
Absolut nicht! Meine Freunde kennen mich und nehmen entsprechend Rücksicht auf meinen Beruf. Zudem werde ich weiterhin auch in Freiburg trainieren. Zwei Wochen pro Monat sind wir auch mit dem Team zusammen.
Dort fahren Sie künftig mit Manuel Fumic aus Kirchheim/Teck. Zu ihm gibt es offensichtlich für Sie eine spezielle Verbindung – auch privat?
Mani ist mein Vorbild im Mountainbike. Er ist einer der besten Sportler. Jetzt sind wir Teamkollegen und gute Freunde. Er unterstützt mich und ich kann von ihm viel lernen. Klar war das auch ein Grund, weshalb ich zu Cannondale gewechselt bin.
Sie kennen sich ja schon sehr lang.
Ja, das kann man wohl sagen. Als ich meine erste Weltmeisterschaft gefahren bin, war er für meine Teamkollegen und mich schon das großes Vorbild. Ich weiß noch gut, dass wir damals im Hotel an seiner Zimmertür geklopft haben und ihn fragten, ob er unser Trikot unterschreiben würde. Und heute sind wir Teamkollegen.
Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Haben Sie langfristige berufliche und familiäre Pläne?
Ich konzentriere mich zunächst voll und ganz auf den Sport. Ich bin froh, die Bundeswehr und mein Team hinter mir zu wissen. Ein Studium – Psychologie oder Sportmanagement – werde ich erst beginnen, wenn ich nicht mehr aktiv Rad fahre.
Das Gespräch führte Matthias Scheibengruber