Um seinen teuren Expansionskurs zu finanzieren, hat der insolvente Küchenbauer Alno AG in den vergangenen Jahren in großem Umfang auch auf das Geld von Kleinanlegern zurückgegriffen. Mittels zweier Anleihen sammelte das Unternehmen in den Jahren 2013 und 2014 insgesamt 59 Millionen Euro von Tausenden Investoren ein. Der Großteil davon waren Privatleute.

Auch viele Alno-Mitarbeiter entschieden sich damals, bei den mit bis zu 8,5 Prozent verzinsten Wertpapieren ihres eigenen Unternehmens zuzugreifen. Ein Fehler – denn nach der Insolvenz des Unternehmens im Juli 2017 sind die Chancen äußerst gering, einen nennenswerten Teil der Anlagen – sogenannte Mittelstandsanleihen – wieder zurückzubekommen.

Das könnte sich nun ändern. Auf Grundlage neuer Details zum Insolvenzeintritt des Unternehmens ergebe sich „nun die Möglichkeit, Verluste einzuklagen“, sagte der Vertreter der Alno-Anleihegläubiger, Daniel Vos, unserer Zeitung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bestünden für Anleihegläubiger nun Schadenersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder der alten Alno AG, sagte Vos, der zugleich Partner der Kölner Kanzlei Müller-Seidel-Vos ist.

Neue Fakten zum Ablauf der Alno-Insolvenz

Im Hintergrund der Einschätzung stehen neue Fakten zum Ablauf der Alno-Insolvenz. Gemäß einem Gutachten von Wirtschaftsprüfern der Gesellschaft Andersch existierte Alno nämlich fast ein halbes Jahrzehnt als eine Art Zombie-Unternehmen. Anstatt im Juli 2017 sei der Küchenbauer nämlich bereits im Jahr 2013 pleite gewesen, wie die Experten in einer fast zehn Monate langen Untersuchung, deren Ergebnisse am Dienstag veröffentlicht wurden, herausfanden. Das hat Folgen: „Infolge der jetzt festgestellten gutachterlichen Insolvenzreife schon 2013 sind die Chancen für Anleger auf Schadenersatz erheblich gestiegen“, sagt Insolvenzexperte Vos.

Bislang konnten sich Anleihegläubiger nur sehr begrenzt Hoffnungen machen, einen Teil ihres Geldes wieder zurückzubekommen. Ähnlich wie andere Gläubiger werden sie aus der Insolvenzmasse der untergegangenen Alno AG bedient. Erfahrungsgemäß gibt das nicht viel her. Im Normalfall belaufen sich die Rückerstattungsbeträge nach Monaten bis Jahren komplexer Verhandlungen auf wenige Prozent des einstmals investierten Kapitals – wenn überhaupt.

Lukratives Hintertürchen für Gläubiger

Durch den offenbar sehr viel früheren Insolvenzzeitpunkt von Alno ergibt sich für die Gläubiger nun aber ein mitunter lukratives Hintertürchen. Firmenvorstände sind nämlich verpflichtet, zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Unterbleibt dies, wie es das neue Andersch-Gutachten für die Jahre 2013 bis 2017 unterstellt, können die Vorstände im Nachhinein von den Anlegern zur Kasse gebeten werden.

Immerhin haben letztere ohne ihr Wissen Geld in ein eigentlich schon zahlungsunfähiges Unternehmen gesteckt. Andererseits ist schwer vorstellbar, dass die Vorstände selbst über die wirkliche Lage ihres Unternehmens nicht Bescheid wussten – zumal das Unternehmen offenbar über Jahre zu den Untoten zählte. Fazit: Man rate den Betroffenen nun, zu klagen, sagt Anwalt Vos.

Damit erhöht sich der Druck insbesondere für das Alno-Ex-Management um Vorstandschef Max Müller und dessen langjährige Finanzchefin Ipek Demirtas. Sie leiteten Alno im betreffenden Zeitraum. Ohne Namen zu nennen hieß es von Vos, der Ex-Vorstand sollte "wirtschaftlich im Stande sein, Haftungsansprüche in einem erheblichen Umfang zu bedienen."

Was ist bei den Ex-Vorständen zu holen?

Dass bei den Ex-Vorständen etwas zu holen ist, glauben auch andere. Bereits Ende vergangenen Jahres hat die bosnische Industriellenfamilie Hastor, die zwischenzeitlich das Sagen bei Alno hatte und Millionen in das Unternehmen gesteckt hat, angekündigt, Müller und seine Führungscrew zu verklagen. Auch hier lautet der Vorwurf, man sei zum Zeitpunkt des Einstiegs in das Unternehmen, nicht richtig über die wirkliche Finanzlage aufgeklärt worden.

Sollte sich der Vorwurf der Insolvenzverschleppung und der Fehlinformation belegen lassen, könnte das für die Ex-Vorstände teuer werden. Sogenannte D&O-Versicherungen – eine Art Managerhaftpflicht – zahlen bei Vorsatz nicht. Grobe Schätzungen beziffern den Schaden, der durch die jahrelange Insolvenzverschleppung entstanden ist, auf hohe dreistellige Millionenbeträge.