Brigitte Elsner-Heller

Wenn man seinen Augen nicht traut, meldet das Gehirn, dass es etwas zwischen äußeren und inneren Bildern nicht in Einklang zu bringen vermag. Nicht immer droht dann Gefahr, wie unsere tägliche Erfahrung zeigt. Denn schauen wir nicht fern, um die Bilder der Welt mit der Welt selbst gleichzusetzen? Gehen wir nicht ins Kino, um Emotionen durch Illusionen zu erzeugen?

Die Fotografie spielt gern mit diesen Verschiebungen, seit sie sich darauf besonnen hat, dass sie weit mehr kann als (vermeintlich) eins zu eins abzubilden. Eine Kunst wollte sie werden, und sie ist es natürlich längst. Jeff Wall hat große Inszenierungen geschaffen, die er als verdichtete Realität präsentierte, dann Thomas Ruff mit seinen stilisierten, standardisierten „Realitäten“ oder dann Andreas Gursky, dessen großformatige Arbeiten erst am Rechner zu dem werden, was sie sind: phänomenale Mustersammlungen, die fiktionale Realität aus fraktalen Strukturen herstellen.

Peter Braunholz, den die Konstanzer Galerie Wesner derzeit ausstellt, sieht die Faszination der Fotokunst ebenfalls in dieser Grauzone zwischen Sehen und Erkennen. Braunholz, Jahrgang 1963, begann als Musiker in Los Angeles, beschäftigte sich dann mit Theater, Film und hat schließlich mit der Fotografie seine bevorzugte Ausdrucksform gefunden. Die „Illusionsgeschichte“ der jüngeren Kulturgeschichte war ihm immer bewusst, wie seine Biografie nahelegt.

Aber was er heute in seiner Fotografie präsentiert, ist nicht etwa eine wie auch immer geartete Verfremdung – ganz im Gegenteil. Braunholz behält immer festen Boden unter den Füßen, nur um dann die Momente aufzuspüren, in denen die Welt sich ganz von allein vom herkömmlichen Bild, das wir von ihr haben, abwendet. Verwirrend zum Beispiel der Park aus lichten Laubbäumen, die vom Boden aus großflächig angestrahlt sind; der Blick nach oben, dem der Fotograf mit der Kamera folgt, findet darüber ein Fenster zu einem Himmel, der in unnatürliches Magenta getaucht ist, in dem das hölzerne Gerippe eines Turmes „schwimmt“. Entstanden ist die Fotografie im laufenden Jahr 2013 in China, während der Zeit, als Braunholz Artist in Residence in Peking war. Auch wenn die Fotografie künstlich erscheint, als Rechenergebnis einer leistungsstarken Software, zeigt Peter Braunholz „nur“ das, was er vorgefunden hat. Bearbeitungen seines Materials, die über die Retusche von technischen Fehlern hinausgehen, lehnt er grundsätzlich ab.

Die Themen, von denen er „Auszüge“ herstellt, wie er sagt, findet Peter Braunholz hauptsächlich in der Natur und Architektur, oft auch in Übergangszonen zwischen beiden Bereichen. Bilder, die sich aufgrund von Spiegelungen ergeben, haben es ihm angetan – eine Alltagserfahrung, die auch Nichtfotografen immer wieder fasziniert. Braunholz geht klar und grafisch kontrastierend vor, wenn er kahle Bäume und deren Spiegelung in Wasserflächen zum Bildthema erhebt, sie in der Hängung des Lambda-Prints dann auch noch so zeigt, dass Oben und Unten vertauscht sind. Dann auch die malerische Vorgehensweise, Farben sich spiegelnder Gebäude, die durch die Wasserbewegung nicht mehr als solche erkennbar sind.

Die Prämissen scheinen einfach und konkret, und manche der Fotografien, in denen die konkrete Abbildung lediglich durch eine natürlich auftretende Lichtfärbung verändert erscheint, wirken austauschbar. Trotzdem sind immer wieder Arbeiten darunter, die faszinieren, auch ohne dass sie sich eigentlich in den Vordergrund spielen wollen. Wie ein sich bescheiden gebendes Bild, das Braunholz in China aus einem fahrenden Zug heraus aufgenommen hat. Als Hintergrund keine paradiesischen Landschaften wie in der Renaissance, sondern farblose Vorstadtbereiche. Perfekt nach dem Goldenen Schnitt schiebt sich die Bauruine einer Schnellbahntrasse ins Bild, die optisch abstürzend im Nichts endet. „Dead End Highway“ – eine perfekt stilisierte Alltagserfahrung.

Bis 13. Dezember in der Galerie Wesner, Konstanz, Bodanstraße 15

www.galerie-wesner.de