Außer Zweifel steht am Ende nur: Sie ist schuldig. Die 86-jährige Edith S., die im Januar 2020 im Bodenseekreis ihren damals 73-jährigen Ex-Ehemann Johannes S. zunächst mit einem Fleischklopfer aus Metall im Bett angegriffen, ihn danach mit Benzin übergossen und angezündet hatte, sodass er bei lebendigem Leib verbrannte, ist in der Neuauflage des Mordprozesses vom Landgericht Konstanz wegen Totschlags und Brandstiftung zu acht Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Zwei Monate werden ihr aufgrund der langen Prozess- und Haftdauer erlassen.
Die Hochbetagte, von winziger, schmaler Gestalt, chronisch krank, stark seh- und höreingeschränkt und im Alltag hilfsbedürftig, bleibt damit im Gefängnis. Was ihr, so zumindest hatte sie der Gutachter zitiert, lieber sei, als in ein Pflegeheim zu kommen.
Sie war in einer Ausnahmesituation
Damit bleibt die dritte große Strafkammer des Landgerichts Konstanz, die den Prozess mit Rücksicht auf den Zustand der Angeklagten auswärtig in Schwäbisch Gmünd verhandelte, wo die Angeklagte im Frauengefängnis „Gotteszell“ untergebracht ist, deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft für Mord geforderten Strafmaß von elf Jahren. Die Verteidigung hatte auf Totschlag in einem minder schweren Fall und eine Haftstrafe von sechs bis sieben Jahren plädiert sowie beantragt, der 86-Jährigen wegen der überlangen Verfahrensdauer ein Jahr zu erlassen.
Es gehört zu den Besonderheiten der Strafprozessordnung, dass bei einer Tat, die – so führt es auch der Richter in seinem Urteil aus – objektiv ohne Zweifel von großer Grausamkeit war, in diesem Fall aufgrund der psychosozialen Ausnahmesituation, in der sich die Frau wegen des drohenden Hinauswurfs befunden haben könnte, nicht eindeutig auch von einer subjektiven Grausamkeit ausgegangen werden könne. Darauf berief sich auch die Verteidigung.
Was im Januar 2020 geschah
Daher steht am Ende eine Verurteilung wegen Totschlags, nicht wegen Mordes. „Aber dieser Totschlag liegt sehr, sehr, sehr nahe am Mord“, so der Vorsitzende Richter Joachim Dospil. Für den Konstanzer Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach bleibt es dagegen Mord, eine „monströse Tat mit klarer Tötungsabsicht“. Es stehe „außer Zweifel, dass sowohl der Angriff mit dem Fleischklopfer aus Metall als auch die Tat mit klarer Tötungsabsicht erfolgte“, so Gerlach.
Die Frage aber, was Edith S. in den Stunden dieser Tragödie wirklich umtrieb, bleibt auch am Ende offen. Sie selbst schweigt zu den Details der Tat, der einzige andere Zeuge ist tot. „Ich kann nicht sprechen, ich bin schwer erkältet“, ist ihr Schlusswort, es sind nahezu die einzigen Worte, die von ihr zu hören sind im Gericht. Schiebt sie ihren Zustand vor, kann sie wirklich nicht folgen, sich nicht erinnern?
Ist sie die völlig empathielose, egozentrische, bösartige und rachsüchtige Frau, wie sie zwei ihrer Kinder vor Gericht beschrieben, die grausam, geplant und bei vollem Bewusstsein über das Ausmaß ihrer Tat ihren als gutartig und lieb beschriebenen, aber ihr gegenüber hilflosen Ex-Ehemann ermordete, weil er sie nach langen Jahren des gegenseitigen Martyriums endlich aus seinem Haus werfen und ein neues Leben ohne sie beginnen wollte? Die einfach mitleidlos auf den Balkon ging, während ihr Ex-Mann im Haus verbrannte?
Oder ist sie die chronisch kranke, verzweifelte alte Frau, hör- und sehbehindert und mit beginnender Demenz, als die sie ihre Verteidiger schildern, die Beziehung zu den eigenen Kindern zerrüttet, die aus Angst und größter Verzweiflung vor der Aussicht, bald quasi mittellos auf der Straße zu stehen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation zu einer furchtbaren Tat hinreißen ließ?
Dessen war sich im Lauf des Prozesses auch der psychiatrische Gutachter, der die Angeklagte mehrfach sprechen und begutachten konnte, nicht ganz sicher. Er mochte eine verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen und stellte fest, dass beide, Täterin und Opfer, seit Jahren in gegenseitiger Abhängigkeit und in einer toxischen Beziehung gefangen gewesen waren.
Was aber feststeht: Es bleibt auf allen Seiten nur Zerstörung. „Sie hat nicht nur das Leben ihres Ex-Mannes zerstört, sondern auch ihr eigenes. Und das Zuhause, von dem sie sich nicht trennen wollte“, sagt der Richter abschließend. Die Kinder von Edith S. haben ihren Vater beziehungsweise Ziehvater verloren, leiden schwer unter den Ereignissen, wie die als Nebenklägerin auftretende Tochter und ein Sohn aussagten. Die Mutter sitzt als Täterin in Haft, die Beziehungen sind wohl unrettbar zerrüttet.

Sollte Edith S. vorzeitig aus der Haft entlassen werden, dann als mittellose Greisin in ein Pflegeheim – für das unter Umständen auch noch die Kinder aufzukommen hätten. Am Ende einer Strafe soll für einen Täter immer auch eine Perspektive stehen. Wie diese Perspektive aussehen soll im Fall der Edith S., dazu mochte sich auch der Vorsitzende Richter nicht äußern.
Die Verteidigung kann innerhalb einer Woche Revision gegen das Urteil einlegen. Die Verteidiger wollten nach dem Urteil keine Stellungnahme abgeben. Staatsanwalt Gerlach dagegen hat bereits signalisiert, das Urteil stehenzulassen. Nebenklage-Vertreter Hans Böhme ist sich noch nicht sicher. Er hadert nicht mit dem Schuldmaß, sondern mit der Begründung. „Das war Mord“, sagt er, „so sehen es auch die Kinder.“