Niko Kappe beschäftigt sich neben seinem Hauptberuf als Grundschullehrer mit der Social Media App TikTok. Dort klärt er unter anderem über Falschmeldungen auf. Die Erfahrungen auf Social Media helfen ihm dabei, seine Schüler besser zu verstehen. Dieser Text ist ein weiterer Teil unserer neuen Serie „Sicher im Netz“, die der SÜDKURIER zum Klasse!-Jubiläum veröffentlicht. Seit 25 Jahren engagiert sich der SÜDKURIER mit seinem Medienprojekt Klasse! an Schulen für mehr Medienkompetenz.
Wenn Niko Kappe das Klassenzimmer betritt, dann ist er Herr Kappe. Außerhalb des Unterrichts ist er für viele seiner Schüler „nikothec“, denn unter diesem Namen veröffentlicht er Videos auf der Plattform TikTok. Lehrer und Social Media Star zugleich – bei ihm kein Widerspruch. Im Gegenteil: Er sagt, dass er durch seine Videos sogar ein besserer Lehrer wird.
Die Videos auf Kappes TikTok-Kanal sind mal Unterhaltung, mal Bildung. Er klärt über Fake News auf und argumentiert mit Fakten. Zeigt Tricks, wie Mathegleichungen schnell und einfach gelöst werden können. Und gibt mit einem Augenzwinkern Einblicke in seinen Berufsalltag als Grundschullehrer. Etwa wenn er auf Klassenfahrten die Handys seiner Schüler einsammelt – und die Süßigkeiten gleich mit. Mit dieser Mischung ist er erfolgreich: Rund 960 000 Menschen folgen „nikothec“ auf der TikTok.
Die Plattform hat er früh kennengelernt: Seit 2019 ist Kappe auf TikTok aktiv. Noch weit vor der Erfolgswelle, die Corona der App bescherte. „Ich würde sagen, ich war einer der ersten richtigen Creator dort“, sagt der 38-Jährige im SÜDKURIER-Gespräch. Bis dahin wurde die Plattform überwiegend von Jugendlichen genutzt, die Videos mit einstudierten Tanzchoreografien hochgeladen haben.
Er hat dagegen seinen Kanal mit einem durchdachten Konzept gestartet, beschreibt er. Die Idee hinter seinen Videos ist, dass die Zuschauer im besten Fall etwas lernen, ohne es zu merken. „Da wo andere Leute in ihren Videos Werbung platzieren, sodass man es nicht merkt, kann man auch Bildungsinhalt platzieren.“
„nikothec“ oder „Herr Kappe“
Nicht nur bei TikTok-Nutzern ist Kappe bekannt, sondern auch an der Berliner Grundschule, an der er Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse unterrichtet. Für seine Schüler ist ein TikTok-Star vorne an der Tafel Normalität. Eine Geschichte kann Kappe trotzdem erzählen. Nach dem Lockdown sei er in die Schule gekommen und hätte in erstaunte Gesichter geblickt. „Niko, was machst du denn hier?“, hätten die Schüler überrascht gefragt, den TikToker im eigenen Klassenzimmer zu sehen. In dieser Situation musste er doch klarstellen, dass er auf der App zwar Niko ist, in der Schule aber Herr Kappe. An seiner Grundschule sei das aber kein Problem, erklärt Kappe.
Die Reaktionen seiner Schüler auf die TikTok Videos fallen laut Kappe „sehr positiv“ aus. Besonders während Corona wurden seine Videos oft angesehen, erzählt er. Dadurch, dass er auf TikTok aktiv sei, könnten sich auch Gesprächsthemen mit seinen Schülern entwickeln.
Was auf TikTok passiert, ist bei jungen Menschen im Gespräch. Weil Kappe die App nutzt, kennt er einige Trends womöglich schon vor seinen Grundschülern, sagt er. „Wenn die ein neues Lied haben, oder irgendwelche Sprüche, dann weiß ich in der Regel, woher das kommt“. Viele Inhalte der App sind auf Englisch, das könne er dann im Unterricht aufgreifen.
Weil er so nah an der Lebenswelt der Schüler ist, sei er auch ein besserer Lehrer geworden. Auch das Erstellen von Videos für TikTok hilft ihm dabei weiter. Denn so habe Kappe gelernt, sich kurz zu fassen – was auch seine Schüler schätzen.
Für die Schule ist es von Vorteil
Auch aus dem Kreis seiner Kollegen sei keine negative Reaktion gekommen. Ganz im Gegenteil. „Viele sehen die positiven Effekte – nämlich jemanden, der sich mit Social Media auskennt und Kinder und Jugendliche noch anders erreichen kann“, sagt Kappe.
Ebenso wenig habe die Schulleitung ein Problem mit seinen Videos – auch wenn das nicht selbstverständlich sei, da er teilweise für seine Videos die Klassenräume als Kulisse nutzt. „Ich kenne Schulen, deren Schulleitung sehr restriktiv ist. Das ist bei mir nicht der Fall“, meint Kappe. Schließlich würde die Schule auch durch die positive Außenwirkung durch ihn profitieren.
Eltern folgen dem Account von Nico Kappe
Und wie stehen die Eltern der Grundschüler zum TikTok-Lehrer? Auf dem Profil des Lehrers findet sich ein Video, in dem er humorvoll negative Reaktionen von Eltern behandelt. Die entstehen laut Kappe aber nicht wegen seinen Videos – sondern dadurch, dass er nicht wie ein typsicher Lehrer aussehe. Mit seiner Aktivität auf TikTok scheint es dagegen keine Probleme zu geben. „Ich weiß, dass einige Eltern meinem Account folgen, das erzählen mir Schüler“, sagt Kappe.
Mehr Beleidigungen und verletzende Kommentare
Seit Kappe TikTok entdeckt hat, sind mehrere Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich die Plattform stark verändert. Millionen Nutzer sind dazugekommen, das Angebot an Inhalten ist scheinbar endlos. Aber auch die Kommunikation der Nutzer untereinander hätte sich verändert. „Richtigen Hate“, also Beleidigungen oder verletzende Kommentare, „gab es zu Beginn eigentlich nicht“, sagt Kappe. Das sei inzwischen anders. Dennoch würde er selbst keine Kommentare zu seinen Videos löschen.
Besonders in der Kritik steht auch die eigene Filterfunktion der App. Recherchen von NDR, WDR und „tagesschau“ zeigen, dass der Konzern bestimmte Wörter zurückhält. Inhalte, die diese Wörter verwenden, auch wenn sie aufklären sollen, werden von der Plattform verborgen.
„Ich mache die App inzwischen seltener auf“
Seinen Account auf der App zu löschen, das habe Kappe trotz allem nicht vor. Allerdings: „Ich mache die App inzwischen seltener auf“, sagt er. Er würde auch weniger Videos hochladen, als noch zu Beginn. Das liegt unter anderem an dem hohen Rechercheaufwand, den er für seine Themen benötigt. So viele Videos wie andere TikToker könne er überhaupt nicht produzieren. Kappe nimmt sich aber auch bewusste Pausen von der Plattform.
Dass Niko Kappe auf TikTok so erfolgreich ist, wirkt sich seiner Meinung nach positiv auf seinen Hauptberuf aus. Er kann die beliebte App nicht nur für sich nutzen, etwa indem er Themen dort behandelt, auf die er dann im Unterricht zurückgreife. Er habe auch Kooperationen mit anderen auf der Plattform aktiven Menschen für seine Schüler möglich gemacht. „Aber der Zauber verfliegt irgendwann, man muss ja auch normalen Unterricht machen“, schmunzelt er.