Seit 25 Jahren setzt sich der SÜDKURIER mit seinem Medienprojekt Klasse! an Schulen für mehr Medienkompetenz bei Schülerinnen und Schülern ein. Zum Jubiläum erscheint die neue sechsteilige Serie „Sicher im Netz“, die sich mit dem Erkennen von Gefahren und dem Umgang damit auseinandersetzt. Am 9. Mai findet in Singen eine Veranstaltung mit Mirko Drotschmann und der Kultusministerin Theresa Schopper statt, zu der der SÜDKURIER Schulklassen und Lehrer sowie Eltern einlädt. Anmelden können Sie sich unter diesem Link.

Herr Drotschmann, Künstliche Intelligenz (KI) könnte bei der Verbreitung von gefälschten Nachrichten eine immer größere Rolle spielen. Entsteht dadurch eine Gefahr für Jugendliche?

Zunächst einmal sehe ich viele Chancen, die mit Künstlicher Intelligenz verbunden sind, auch für den Journalismus. Da werden Dinge möglich sein, an die wir heute noch gar nicht zu denken wagen. Andererseits macht KI es sicher immer einfacher, professionelle Fälschungen zu erstellen. Hier ist es wichtig, mit gezieltem Medientraining auf Mechanismen und Gefahren hinzuweisen und die Entwicklungen von Anfang an kritisch zu begleiten – auch und vor allem in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.

Sie sprechen sich für ein Schulfach Medienkompetenz aus. Warum ist das wichtig?

Mit nichts haben junge Menschen heute mehr zu tun als mit digitalen Medien. In der Schule, vor allen Dingen aber auch in der Freizeit. Wie man Geräte bedient, das braucht man ihnen nicht zu erklären. Aber wie man sich im Netz sicher und auch informationssicher bewegt, da gibt es einen großen Lernbedarf. Ich finde, das sollte man nicht in andere Schulfächer packen, wie beispielsweise in Deutsch oder in Politik. Das funktioniert nicht. Es braucht, finde ich, ein Extra-Fach. Ich glaube, dass man da auch schon in der fünften Klasse, wenn nicht sogar in der ersten Klasse ansetzen kann.

Wie sähe so ein Unterricht aus?

Es sollte darum gehen, wie man eine richtige von einer falschen Quelle unterscheidet. Wie kann man sehen, ob eine Seite vertrauenswürdig ist? Aber auch, wie man mit seinen persönlichen Daten umgeht. Was sollte man preisgeben, was nicht? Wo liegen die Gefahren bei Plattformen wie Tiktok? Oder: Was dürfen meine Eltern von mir ins Netz setzen, und was dürfen sie nicht?

Reichen dafür keine Lernvideos?

Videos im Netz können geschaut werden, müssen aber nicht. In der Schule muss man das Fach besuchen, da kommt man gar nicht drumherum. Ich glaube manche Dinge sind so wichtig, dass man sie nicht der Freizeit überlassen kann. Wir leben in einer Zeit, in der es unglaublich viele Falschmeldungen gibt, auf die viele Leute reinfallen. Es gibt Hass im Netz – Cybermobbing ist ein großes Thema. Das sollte in der Schule thematisiert werden. Natürlich kann ich ein Video machen über Cybermobbing, aber das schauen sich dann halt ein paar Leute an – und viele schauen es sich nicht an. Da ist die Schule der bessere Ort, um die Leute zu erreichen.

Wo sehen Sie Gefahren, wenn zu wenig Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen vorhanden ist?

Da sehe ich zum Beispiel die Gefahr, dass Leute auf Falschmeldungen hereinfallen, sie glauben und im schlechtesten Fall auch weiterverbreiten. Und damit unter Umständen Stimmungen anheizen. Zum Beispiel gegen Mitschülerinnen und Mitschüler, und da sind wir beim nächsten Thema. Dass man nicht reflektiert böse Dinge im Netz schreibt. Dabei sieht man die Person, unter deren Foto man kommentiert, nicht. Man sieht nicht, wie die Reaktionen sind, was das mit diesen Leuten macht. Gerade das ist das Gefährliche am Cybermobbing. Während man früher in der Schule beim Mobbing – also in der realen Welt sozusagen – zumindest gesehen hat, dass jemand in Tränen ausbricht oder nach Hause rennt, hat man diese Möglichkeit nicht. Im Netz macht man unter Umständen einfach weiter und das kann richtig heftige Ausmaße annehmen. Da ist es wichtig, präventiv vorzugehen.

Videoausschnitte aus dem Interview Video: Karolina Bischoff

Viele Schüler nutzen Ihre Videos als Lernquelle neben dem Unterricht. Was bieten Sie an, das Lehrer nicht können?

Ich habe zwar eine historische Ausbildung, ich habe Geschichte studiert, aber ich habe keine pädagogische Ausbildung. Ich würde mir niemals anmaßen, zu sagen, ich kann etwas besser als Lehrerinnen und Lehrer. Ich sehe die Videos eher als Ergänzung, wie ein Nachhilfe-Unterricht. Ich spreche zehn bis 15 Minuten über ein Thema, die Leute können mich zurückspulen, können mich wegklicken und nie wieder gucken. Das kann man mit der Lehrerin oder dem Lehrer nicht machen. Ich hoffe, es gelingt mir, eine Begeisterung für das Fach Geschichte rüberzubringen. Das ist etwas, was ich mir von einigen Lehrerinnen und Lehrern ein bisschen mehr wünschen würde.

Es erstellen auch Menschen ohne journalistischen Hintergrund Nachrichtenformate, die aktuelle Themen einordnen.

Zunächst finde ich, dass jeder und jede sich bei uns in Deutschland in diesem Bereich versuchen kann. Man sollte aber als Zuschauer genau hinschauen. Wer ist diese Person, was für einen Hintergrund hat sie? Wie wird mit Sprache, wie wird mit Quellen gearbeitet – transparent oder eher verschleiert? Wenn man diese Dinge im Blick hat, kann man weniger auf eine falsche Fährte gelockt werden. Gleichzeitig finde ich auch, dass die Macherinnen und Macher natürlich eine Verantwortung haben. Wer sagt, ich erstelle jetzt ein journalistisches Produkt, der sollte sich auch an journalistische Grundprinzipien halten.

Wie können Eltern Medienkompetenz fördern?

Ich bin kein Freund davon, Kindern bis zu einem bestimmten Alter, die Nutzung von Tablets oder Handys zu verbieten. Weil sie das natürlich mitbekommen. Wenn die Kinder sehen, da sitzt der Papa und guckt sich irgendetwas auf dem Handy an, dann wollen sie auch mal schauen. Das ist ganz logisch. Wichtig für Eltern ist es, darauf zu achten, dass die Bildschirmzeit nicht zu hoch ist, gerade bei Jüngeren. Aber auch bei Jugendlichen sollte es einen Ausgleich geben. Was ich auch wichtig finde: dass man sich als Eltern für das interessiert, was die Kinder und Jugendlichen im Netz machen.

Meine Mutter hat sich früher immer dafür interessiert, was ich für Musik höre. Nicht, weil sie mich kontrollieren wollte, sondern einfach, weil es ein ehrliches Interesse war. Ich habe ihr dann ein paar CDs gegeben und wir haben uns darüber unterhalten. Ich glaube, wenn es einen ehrlichen Austausch gibt zwischen Eltern und Kindern, dann kann man schon vieles verhindern. Man kann damit auch gewährleisten, dass die Kinder zu ihren Eltern kommen, wenn ihnen mal etwas Schlimmes im Netz begegnet.

Inhalte werden auf sozialen Netzwerken immer stärker komprimiert. Hat das auch das Einfluss auf die Zuschauer?

Tatsächlich kaum. Man kann bei YouTube sehen, wie lange sich die Leute die Videos angucken und das ist über die Jahre hinweg fast unverändert. Aber was ich schon beobachte, ist, dass die Leute erwarten, dass ihnen die Dinge in immer kürzeren Häppchen präsentiert werden. Damit entsteht gleichzeitig eine Illusion des Wissens. Nur, weil du dir ein Video angeguckt hast, das eineinhalb Minuten geht, und den Holocaust behandelt, weißt du nicht über den Holocaust Bescheid. Im Gegenteil: Ich halte es für gefährlich, den Leuten dann zu suggerieren, mit so einem kurzen Video hast du den Überblick und musst dich nicht weiter damit beschäftigen. Deshalb sehe ich Informationshäppchen, die zu klein sind, skeptisch. Bei manchen Themen funktioniert es, bei anderen überhaupt nicht.

Auf Ihren Instagram-Kanal arbeiten Sie auch mit Informations-Häppchen.

Man muss sich natürlich an die Plattform anpassen. Instagram ist eine Plattform, auf der längere Videos kaum eine Rolle spielen, da geht es eher um einzelne Feed-Posts. Genau das machen wir auf der Plattform auch. Aber wir lassen uns von den Plattformen nicht vorgeben, welche Themen wir behandeln oder wie wir die Themen inhaltlich angehen. Reichweite sollte niemals über Inhalt stehen.

Es geht auch um Reichweite. Passen Sie Ihre Videos manchmal an Themen an, die besonders gut laufen?

Das zu machen, fände ich sehr schwierig. Das würde bedeuten, dass man sich von einer Plattform diktieren lässt, welche Inhalte man ausspielt. Und das hat, finde ich, mit Journalismus nichts mehr zu tun. Ich versuche, die Themen anzugehen, die sich die Zuschauer wünschen. 70 bis 80 Prozent der Themen sind Zuschauerwünsche. Und ich versuche dabei auch die journalistischen Kriterien zu beachten, was die Relevanz eines Themas angeht. Wenn ein Thema nur interessant wäre, weil es sich gut klickt, würde ich es nicht machen.

Sie kommen am 9. Mai in die Singener Stadthalle. Worauf dürfen wir besonders gespannt sein?

Ich freue mich sehr, in den Süden zu kommen. Ich habe ein paar Einblicke im Gepäck: hinter die Kulissen meines YouTube-Kanals „MrWissen2go“, zum Beispiel in Analysedaten, Nutzungsverhalten, Dinge, die man sonst als Zuschauer nicht sieht. Und natürlich geht es um Fake News und wie man sie entlarvt. Ich freue mich besonders darauf, viele Fragen gestellt zu bekommen.