Ein Abend im Mai, eine Hochschule in Baden-Württemberg, 850 Studierende, die zu einer Veranstaltung im Studium generale strömen. Das Thema verspricht, spannend zu werden: Drei Klimaschutzaktivistinnen der Letzten Generation berichten, wie es ist, sich festzukleben, von der Polizei von der Straße abgelöst und weggetragen zu werden.
Aus dem Publikum kommen viele Nachfragen, gemessen am Applaus stehen die Studierenden den Aktionen kritisch gegenüber. Am Ende gibt es Applaus. So weit völlig üblich? Nein. Denn die Veranstaltung fand an der Hochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen statt, die Studierenden sind künftige Führungskräfte der baden-württembergischen Polizei – und die Referenten Personen, die möglicherweise Straftaten begangen haben oder vorhaben, Straftaten zu begehen.
FDP fordert „umfassende Aufarbeitung“
Über die Frage, ob eine solche Veranstaltung erlaubt sein darf, ist nun drei Monate nach diesem Abend ein politischer Streit ausgebrochen. Auslöser sind die jetzt veröffentlichten Antworten auf parlamentarische Anfragen von AfD und FDP beim Innenministerium, öffentlich gemacht von der „Bild“-Zeitung.
„Klima-Kleber machen Werbung vor Polizei-Schülern“ titelte das Boulevardblatt empört. Die FDP fordert eine „umfassende Aufarbeitung“, die Kooperation der Polizei mit Aktivisten einer kriminellen Gruppierung sei kein normaler Vorgang, so wertet die Innenpolitikerin Julia Goll wenig liberal. Auch die AfD protestiert laut, und die CDU zeigt Verständnis für kritische Nachfragen.
„Erlauben lassen“ vom Innenministerium muss sich die Hochschule indes nichts. Darauf verwies zunächst das Ministerium selbst. „Vor dem Hintergrund der Freiheit von Forschung und Lehre unterliegen Veranstaltungen, die die Hochschule für Polizei im Rahmen ihres wissenschaftlichen Auftrags organisiert, keinem Genehmigungsvorbehalt“, hieß es.
Hochschule zeigt sich überrascht
Später schärfte das Ministerium aber nach und verwies darauf, dass CDU-Innenminister Thomas Strobl im Umgang mit Klimaklebern der Letzten Generation immer die Linie der konsequenten Verfolgung von Straftaten beibehalten habe. Das Amtsgericht Heilbronn habe etwa erst im März in einem beschleunigten Verfahren Haftstrafen ohne Bewährung für Klimakleber ausgesprochen.
An der Hochschule ist man über die späten Wellen der Veranstaltung überrascht. „Der Vorwurf, hier hätte Propaganda stattgefunden, ist absurd. Hier an der Hochschule sind junge, gescheite, reflektierende Menschen“, sagt Prorektorin Judith Hauer im Gespräch mit dem SÜDKURIER.
„Wir versuchen, unseren Studierenden hier auch Veranstaltungen zu aktuellen Themen außerhalb des Curriculums zu bieten“, so Hauer. „Die Veranstaltung wurde angeboten von Polizeidirektor Jürgen Renz, der Einsatz- und Führungswissenschaften lehrt und sich sehr intensiv mit allen Aspekten von Großeinsätzen und Demonstrationen befasst. Und die Klimaproteste und alles, was mit diesen Einsätzen zusammenhängt, sind ein sehr praxisnahes Thema. Alle Studierenden wissen, dass sie im Rahmen ihrer Einsätze und Praktika damit konfrontiert werden können, entsprechend groß war das Interesse.“ Hauer betont, wie wichtig Austausch und Dialog darüber aus ihrer Sicht sind.
Studierende stellen kritische Fragen
Auch Organisator Renz lobte seine Studierenden im Nachgang. „Ganz toll fand ich die guten und vorbereiteten Fragen von ihnen an die Referentinnen“, so Renz vier Tage nach der Veranstaltung in einem internen Rundschreiben. Das laute Klatschen nach den kritischen Fragen habe den Referentinnen deutlich aufgezeigt, dass die Polizei die Aktionen des Bündnisses kritisch sehe.
Dies habe auch Wirkung hinterlassen, so Renz, man habe ihm zugesichert, die Kritik der Polizeistudierenden an Aktionen auf Schnellstraßen/Autobahnen nochmals zu überdenken. „Vielleicht haben wir mit unserer Kritik etwas erreicht“, so der Hochschulprofessor.
Kritische Stimmen innerhalb der Hochschule habe es auch gegeben, sie seien zu respektieren, so Renz, verweist aber auf vergleichbare Veranstaltungen: Woche für Woche setze sich die Polizei im Rahmen von Versammlungs- und Veranstaltungslagen mit unterschiedlichsten, teils gewaltbereiten Gruppen zu Kooperationsgesprächen zusammen. „Und die Hochschule ist als Hochschule für angewandte Wissenschaften genau der richtige und vielleicht auch der einzige Ort bei der Polizei für einen kritischen Diskurs mit gesellschaftlichen Bewegungen.“
Letzte Generation
Die Organisation Letzte Generation hat angekündigt, ihren Protest gegen die Klimapolitik der Bundesregierung fortzusetzen. Nach der Kritik des Expertenrats für Klimafragen am Regierungsprogramm erklärte Carla Rochel, Sprecherin der Klimaaktivisten: „Der Bericht ist eine schallende Ohrfeige für den Klimakillerkanzler Scholz.“ Die Letzte Generation plant dafür demnach weitere Verkehrsblockaden, darunter morgen in München und ab dem 13. September unbefristet in Berlin. Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hatte das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung zuvor als unzureichend und nicht im Einklang mit dem Klimaschutzgesetz kritisiert. (Siehe Seite 4) (AFP)Das lesen Sie zusätzlich online
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