Er denke einfach manchmal laut nach, sagte der Ministerpräsident am Dienstag bei der Regierungspressekonferenz. Und vielleicht, räumte er ein, sollte er das einfach lassen. Aber da war es schon zu spät.
Der Stein, den Winfried Kretschmann am Montagabend auf dem Podium einer Veranstaltung in Stuttgart ins Wasser geschmissen hatte – er hatte schon Minuten später online Wellen geschlagen und am Dienstag bereits einen Tsunami bei den bildungspolitischen Verbänden in Baden-Württemberg ausgelöst.
Lehrer in Teilzeit sollten eventuell mehr arbeiten – bei vollem Lohnausgleich? Auch zwei Tage später hatte sich der einhellige Sturm der Entrüstung nicht gelegt, eher sogar noch verschärft – denn am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass das Kultusministerium einen Vorschlag prüfen lässt, wonach Referendare von 2024 an eine Unterrichtsstunde mehr halten sollen. Die Zeit soll andernorts in der Ausbildung eingespart werden.
Folgen des Ukraine-Kriegs als Grund
Auslöser der Aufregung war eine Debatte über die hierzulande zunehmend spürbaren Folgen des Ukraine-Kriegs. Dass auch in Baden-Württemberg Wohlstandeinbußen drohen, wird Kretschmanns (Grüne) schon seit Beginn des Ukraine-Kriegs nicht müde zu betonen. Jetzt wurde er konkret: „Vielleicht müssen wir mehr arbeiten.“

Wenn alle Lehrer in Teilzeit eine Stunde länger arbeiten würden, so hatte Kretschmann laut nachgedacht, „hätte ich 1000 Lehrer mehr, die ich dringend brauche“. Denn an den Kitas und Schulen im Land, wo ohnehin Personal fehlt, müssen auf einen Schlag Tausende von ukrainischen Flüchtlingskindern zusätzlich untergebracht werden.
Prüfung der Idee läuft
Weil Lehrer nicht auf den Bäumen wachsen, so der Hintergrund von Kretschmanns Überlegung, wäre eine Drehung an der Stellschraube der Teilzeitregelungen für Lehrkräfte – und anderer Landesbeamten – zumindest ein kurzfristig gangbarer Weg, um für etwas Entlastung zu sorgen. Und diese Möglichkeit, teilte der Regierungschef mit, werde derzeit zwischen Kultus- und Innenministerium geprüft, samt sämtlicher daraus folgenden Fragen.
Und zur Kritik der Bildungsverbände sagte er: „Grundsätzlich geht es darum, dass wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs gewohnte Dinge auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Dabei rate ich allen dazu, von ihren Reflexen abzusehen. Das gilt auch für Gewerkschaftsfunktionäre.“
Rund 117.000 Lehrkräfte stehen derzeit in Diensten des Landes, etwa die Hälfte von ihnen in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis. Wie allen Landesbeamten räumt ihnen das Beamtenrecht grundsätzlich das Recht auf Teilzeitarbeit etwa für Kinderbetreuung oder Pflege eines Angehörigen ein, das auf Antrag gewährt wird. Die Anträge für das Folgeschuljahr müssen jeweils zu Beginn eines Jahres gestellt werden.
Was überhaupt bei Lehrer-Teilzeit gilt
Teilzeitanträge auf bis zu 50 Prozent können dabei nur bei „zwingenden dienstlichen Gründen“ abgelehnt werden, auch eine Reduzierung auf mindestens 25 Prozent einer Vollzeitstelle – das entspricht sieben Stunden – ist im Einzelfall möglich, wobei die Hürden dafür höher sind und die Anträge von den zuständigen Regierungspräsidien oder Schulämtern auch schon mal abgelehnt werden können.
Diese Maxi-Teilzeit unter 50 Prozent nutzen aber weniger als zehn Prozent der Lehrkräfte im Land. Über 90 Prozent arbeiten nach Auskunft des Kultusministeriums 50 Prozent oder mehr, wobei die durchschnittliche Lehrer-Beschäftigung bei 82 Prozent einer Vollzeitstelle liegt.
Untergrenze könnte fallen
Die Untergrenze für Teilzeit war vor fünf Jahren von 30 auf 25 Prozent gesenkt worden. Lediglich diese Absenkung könnte die Landesregierung nun eventuell rückgängig machen – eventuell mit dem Argument der „dienstlichen Erfordernisse“. Dies wird derzeit geprüft.
Für die anderen Teilzeitverhältnisse über 50 Prozent dürfte das Land als Dienstherr rechtlich gar keine Stunde Mehrarbeit anordnen, da müsste schon zuvor das Beamtenrecht geändert werden – worüber im Staatsministerium vermutlich noch nicht einmal leise nachgedacht wird. Und schon gar nicht laut.
Kritik von der Gewerkschaft
Gerhard Brand, der nicht nur stellvertretender Landesvorsitzender des Beamtenbundes ist, sondern auch Landesvorsitzender der Mitgliedsgewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE), ist dem grünen Regierungschef eigentlich nicht spinnefeind. „Aber mit der Lehrer- und Beamtenarbeitszeit hat er die falsche Diskussion zum absolut falschen Zeitpunkt angestoßen“, ärgert sich Brand.
Nicht nur, sagt Brand, dass die gesamte Landesverwaltung und der Öffentliche Dienst während der Corona-Krise „ohne Murren“ erhebliche zusätzliche Belastungen gestemmt habe. „Da hat keiner Dienst nach Vorschrift gemacht, und schon gar kein Lehrer“, sagt Brand.
Vor allem aber ärgert ihn, dass die Ukraine-Krise als Argument herhalten muss, um Lehrern mehr Arbeitszeit abzuverlangen. „Der VBE hat von sich aus schon Pensionäre und Absolventen unter den Mitgliedern angefragt, ob sie die Schulen bei den ukrainischen Flüchtlingen unterstützen würden“, sagt Brand.
Etliche hätten sich für unbürokratische Einsätze gemeldet, die Daten stelle der VBE dem Kultusministerium und den Kommunalen Landesverbänden zur Verfügung. „Die wollen nicht einmal Geld. Aber nicht einer wurde angefragt, kein Mensch kam auf uns zu“, sagt Brand. „Meine Erfahrung ist: Da wird von der Landesregierung nichts koordiniert, nichts abgestimmt. Es gibt viele Ressourcen und Menschen, die helfen würden. Aber die Landesregierung koordiniert das nicht.“