60 Jahre ist es her, dass 536 Quadratkilometer Bodensee komplett mit Eis bedeckt waren. Das Ereignis, das am Bodensee nur Seegfrörne – und in der Schweiz Seegfrörni – genannt wird, ist in erster Linie ein seltenes Naturphänomen, das ein oder zweimal pro Jahrhundert vorkommt. Schön anzusehen, ja. Doch was die Seegfrörne 1963 in der Region rund um den See wirklich zum Jahrhundertereignis machte, an das sich die, die dabei waren, ihr Leben lang erinnern werden – waren die Menschen der Region.

Sie feierten Fasnacht auf dem See, veranstalteten Prozessionen, hielten Gemeinderatsitzungen ab, oder landeten mit Flugzeugen auf der Eisdecke. Es war ein Spektakel, das Touristen anzog, Helden erschuf, Liebende zueinander führte, aber auch Tote forderte. Hier sind die spannendsten Geschichten und schönsten Bilderstorys von Bodmann bis Bad Säckingen (dort gab es nämlich die „Rhygfröri“, und die Schweizer Zöllner waren den „unerlaubten Grenzübertritten“ in der Mitte des Rheins hilflos ausgeliefert).

Was ist die Seegfrörne? Wie kam es dazu?
Seegfrörne bezeichnet einen Zustand des Bodensees, in dem dieser komplett mit einer Eisschicht bedeckt ist – und zu Fuß überquert werden kann. Typischerweise friert zunächst der Untersee zu, und zuletzt der Obersee. Seit Beginn der Aufzeichnungen im 9. Jahrhundert soll es insgesamt 33 Seegfrörnen geben haben. Bei der Seegfrörne 1963 froren ab dem Jahreswechsel 62/63 nach und nach immer weitere Teile des Bodensees zu, bis er ab dem 6. Februar 1963 komplett mit Eis bedeckt war. Die mehrere Zentimeter dicke Eisschicht löste sich erst im März wieder auf, als die Temperaturen stiegen. Es war die erste Seegfrörne seit 1880.
Hier gibt es alle meteorologischen Details und einen Überblick darüber, welche Folgen das Ereignis für die Region hatte:
Die Seegfrörne schaffte Helden – und dieses Liebespaar
Das sind Anni und Berthold Arnold. Sie sind seit 60 Jahren ein Paar und leben in Hagnau. Ihre Geschichte ist wohl eine der rührendsten, die die Seegfrörne 1963 schrieb.

Die Unternehmung, die das Paar zusammenführte, war lebensgefährlich. Der damals 25-jährige Berthold Arnold gehörte zu der Gruppe von Männern, die als Erste das zu diesem Zeitpunkt teils noch brüchige Eis betreten, und den See Richtung Güttingen in der Schweiz überqueren wollten. Am 6. Februar 1963 brachen sie auf, die Idee war ihnen am Abend zuvor während einer Chorprobe gekommen. Stunden nach den Männern beschloss auch eine Gruppe von Schülerinnen, nach Güttingen aufzubrechen. Mit dabei Anni Siebenhaller.

Wie es mit Anni und Berthold weiterging, welche der Expeditionen glückte, und was auf dem Weg zwischen Hagnau und der Schweiz noch so alles passierte, verrät dieses spannende Lesestückt
Auf Schlittschuhen in die Schweiz
Am selben Tag beschloss im fünf Kilometer entfernten Immenstaad eine Gruppe von fünf jungen Leuten ebenfalls, den zugefrorenen See Richtung Schweiz zu überqueren. Ihr Ziel: das zwölf Kilometer entfernte Romanshorn. Und auch hier gibt es eine Liebesgeschichte!

„Der Zöllner, der das Romanshorner Seeufer patrouillierte, konnte es kaum glauben. Da standen auf einmal fünf junge Deutsche in Schlittschuhen vor ihm auf dem Eis und behaupteten, von Immenstaad aus über den See in die Schweiz gefahren zu sein“, schreibt SÜDKURIER-Autorin Sabine Wienrich in ihrem Text über die gewagte Expedition. Die ganze Geschichte und, warum deshalb eine Schokoladentafel unlängst einen Film-Auftritt hatte, gibt es hier:
Massenauflauf auf dem Eis mit Festen und Viehhändlern
Mitten auf dem See zwischen Bodman und Ludwigshafen schaut ein Baby aus einem Auto. Es ist der 3. März 1963. Aufs Eis zu gehen war schon keine Mutprobe mehr, nein, es herrschte Hochbetrieb. Das Baby im Auto war der Sohn des Stockachers Franz Martin, der sich in einem Artikel sogar an Viehhändler auf dem Eis erinnerte.

Anfang Februar gab es am See-Ende bei Bodman-Ludwigshafen ein riesiges Eisfest mit 7000 Menschen.
Eine Zusammenfassung der kuriosesten und größten Ereignisse rund um die Seegfrörne in Bodman und Ludwigshafen gibt es hier:
Es wird gefeiert: die Narren stürmen das Eis!
Ja, sogar Fasnacht feierten die Menschen auf dem Eis zwischen Bodman und Ludwigshafen Ende Februar. Insgesamt sollen während der Fasnacht und dem Eisfest so viele Würstchen verkauft worden sein, dass den Metzgern der Nachschub ausgegangen war.

Im Stockacher Stadtarchiv gibt es viele Fotos von Gustav Hotz, der an Fasnacht das närrische Treiben auf dem gefrorenen See fotografierte.
Die „Rhygfröri“ und eine zollfreie Zone
Feiern, das ging auch ohne See. Denn zur gleichen Zeit fror ebenfalls der Rhein zu. Auf 250 Metern Breite in Wallbach (westlich von Säckingen) auf einer Länge vom vielen Hundert Metern bis auf Höhe der übernächsten Gemeinde Schwörstadt. Der Rhein trennt Wallbach in der Schweiz und Wallbach in Deutschland. Doch während der Rhygfröri trafen sie sich und feierten im Januar 1963 ein großes Fest.

Nicht ganz so begeistert waren die Zöllner. Denn die Treffen auf dem Rhein galten als unerlaubten Grenzübertritt. Die deutschen wie die schweizerischen Zöllner konnten dem Treiben nur machtlos zusehen. Hier sind die schönsten Bilder und alle Geschichten rund um die Rhygfröri zusammengefasst:
Die dunkle Seite der Seegfrörne: Todesopfer
Peter Seeburger und Kurt Hyzyk sind 13 und 15 Jahre alt, als sie am 22. Februar 1963 auf einer Eisscholle, die sich vor Manzell löst, in den See getrieben werden. Sie waren nicht die einzigen, die im Eis während der Seegfrörne verstarben. Alles über die Opfer, die die Seegfrörne 1963 forderte:
Bilder, die im Gedächtnis bleiben
Nonnen, die über den vereisten See gehen, Babys im Auto auf dem Bodensee, feiernde Narren, Würstchenverkäufer: Es sind Bilder, die ein Jahrhundertereignis einfangen, das die Menschen vor Ort zu diesem gemacht haben. Es sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben, versprochen!

Danke an die Leserinnen und Leser!
Nach einem Aufruf haben SÜDKURIER-Leser uns ihre schönsten Bilder von damals geschickt. Vielen Dank! Eines davon ist von Erika Endres aus Überlingen.

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