Herr Conrady, laut einer Umfrage des Gebäudereiniger-Handwerks kündigen Beschäftigte vermehrt ihre Arbeit, um Bürgergeld zu beziehen. Gibt es dieses Phänomen wirklich?
Ja, das Phänomen gibt es. Ich will aber betonen, dass es keine Massenbewegung ist. Wahr ist aber, dass in unserer aktuellen Branchenumfrage knapp 30 Prozent der Unternehmen angegeben haben, dass bei Ihnen schon mehrere Beschäftigte mit Verweis auf das Bürgergeld gekündigt oder eine Kündigung zumindest in Aussicht gestellt haben.
Gibt es solche Fälle auch in Ihrem Unternehmen?
Wir haben das auch bei uns erlebt. Ich würde, ohne eine exakte Zahl nennen zu können, sagen, dass es sich in meiner Firma um einen unteren einstelligen Prozentsatz aller Kündigungen handelt, die so begründet werden.
Ist es ein neues Phänomen, dass Menschen ihren Job kündigen, weil sie den Bezug von Sozialleistungen als die bessere Alternative sehen?
Das ist nicht neu. Für Arbeitnehmer war es schon immer ein rationaler Abwägungsprozess, ob sie mit Sozialleistungen besser fahren oder mit Arbeit. Zum Glück hat die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen Spaß an ihrer Arbeit und denkt nicht mal daran, wegen Sozialleistungen zu kündigen. Alles andere wäre in Zeiten des Arbeitskräftemangels auch eine Katastrophe. Durch die Einführung des Bürgergeldes zum Jahresanfang scheint der eine oder andere das Thema aber für sich persönlich neu zu überdenken.
Betrifft das Phänomen auch andere Branchen?
Ähnliche Entwicklungen sehen wir in manchen Dienstleistungsbereichen, wie etwa der Gastronomie oder im Tourismus. Da gibt es spezielle Konstellationen, in denen sich Nicht-Arbeit lohnt. Das sind aber nur ganz wenige Fälle.
Staatliche Sozialleistungen steigen. Das Bürgergeld etwa innerhalb eines Jahres zwei mal um je zwölf Prozent. Müssen die Löhne nicht nachziehen, damit sich Arbeit für Geringverdiener noch lohnt?
Man muss sehr genau hinschauen, damit ein Lohnabstand gewahrt bleibt. Die Gefahr ist, dass Arbeit sonst tatsächlich irgendwann unattraktiv wird. Was die Löhne betrifft, ist die Sache klar. Ordnungspolitisch ist es die Aufgabe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Lohnhöhe auszuhandeln.
Die Tariflöhne sind zuletzt stärker gestiegen als Nicht-Tarif-Gehälter. Ist mehr Tarifbindung der Schlüssel, um einen Lohnabstand zur staatlichen Stütze aufrecht zu erhalten?
Ich will es einmal so formulieren. Wir haben in der deutschen Tariflandschaft in den vergangenen Monaten durchaus ordentliche Tarifabschlüsse gesehen. Ziel war natürlich insbesondere, die inflationsbedingen Preissteigerungen für die Arbeitnehmer aufzufangen. Aber eine Erhöhung von zwei Mal zwölf Prozent, wie sie jetzt möglicherweise beim Bürgergeld ansteht, ist mir bei Tarifabschlüssen noch nicht über den Weg gekommen.

Arbeitsminister Hubertus Heil attestiert Deutschland „kein gebrochenes Verhältnis zu ordentlicher Arbeit“. Haben die Menschen noch Bock zu arbeiten?
Es stimmt, dass wir gesamtwirtschaftlich eine Rekordbeschäftigung haben. Die rührt aber vor allem von einem Trend zur Teilzeitarbeit, aber auch von einer gestiegenen Gesamtbevölkerung her. Die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf ist dagegen seit mehreren Jahren nicht gestiegen. Daher würde ich tatsächlich ein Fragezeichen dahinter setzen, ob die Menschen noch so viel Bock auf Arbeit haben wie früher.
Die Erwerbsquote ukrainischer Flüchtlinge ist mit rund 20 Prozent im EU-Vergleich sehr niedrig. Haben Sie bei Cowa ukrainische Arbeitskräfte?
Was ukrainische Flüchtlinge angeht, verschenken wir ein unglaubliches Arbeitsmarkt-Potenzial. In meinem Betrieb arbeiten etwa 10 bis 15 Ukrainer und Ukrainerinnen. Bei insgesamt etwa 3500 Beschäftigten. Das sind wirklich sehr gute Arbeitnehmerinnen und Kollegen und wir würden gerne viel mehr davon beschäftigen, weil wir natürlich auch den Arbeits- und Fachkräftemangel spüren. Aber es gelingt einfach nicht.
Warum?
Die Anreize zu arbeiten, stimmen nicht. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wir brauchen eine Verpflichtung zur Arbeit für Menschen, die zu uns kommen, aus welchen Gründen auch immer. Die Firmen brauchen sie, und die Flüchtlinge haben durch die Arbeit viel bessere Voraussetzungen zur Integration. Außerdem verdienen sie gutes Geld.
Der deutsche Arbeitsmarkt gibt das her. Dass hier so wenige Flüchtlinge arbeiten, kann man ihnen aber gar nicht einmal verübeln. Sie verhalten sich aus ihrer Sicht rational, denn mit dem Geld, dass sie durch Sozialtransfers erhalten, kommen sie offenbar gut aus. Viele von uns würden wahrscheinlich genauso entscheiden, wenn wir in der gleichen Lage wären. Es ist vielmehr die Politik, die hier Fehlanreize setzt.
Gelingt es nach Ihrer Einschätzung generell, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Wenn der einzelne dazu bereit ist und die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, ist das nach meiner Erfahrung kein Problem. In unserem Unternehmen arbeiten 55 Nationen. Rund 60 Prozent der Beschäftigten haben ausländische Wurzeln. Darunter sind mittlerweile auch etliche Führungskräfte. Das funktioniert sehr gut.