Wer in den vergangenen Wochen von Martin Hörmann, dem Insolvenzverwalter des Küchenbauers Alno, Details zum laufenden Insolvenzverfahren hören wollte, wurde meist vertröstet. Die Prüfung dauere an, hieß es. Damit ist es jetzt zu Ende. Gestern informierte Hörmann die Gläubiger des ehemaligen Küchen-Konzerns in Hechingen über die grundlegenden Erkenntnisse seiner monatelangen Detektivarbeit in Sachen Alno-Insolvenz. Diese bergen erheblichen Sprengstoff. Immer klarer wird, dass Alno – einstmals einer der Vorzeigekonzerne der deutschen Küchenbau-Branche – schon Monate, wenn nicht Jahre vor dem Insolvenzantrag keine Perspektive mehr hatte. Und auch die Gründe für den schleichenden Niedergang werden sichtbar. Managementfehler, aber auch persönliches Fehlverhalten und hohe Prämienzahlungen, deren Nutzen für Alno fraglich sind, waren es demnach, die das Pfullendorfer Unternehmen, das einmal weit über 2000 Mitarbeitern Jobs und Perspektiven gab, in den Abgrund führte.
"Nach den bisherigen, vorläufigen Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer war das Unternehmen bereits Monate vor dem Insolvenzantrag insolvenzreif", sagte Hörmann unserer Zeitung. Bereits im Dezember 2016 habe eine finanzielle "Unterdeckung" vorgelegen, die auch in der Folgezeit nicht mehr dauerhaft geschlossen werden konnte, wie es in einem 72 Seiten starken, vorläufigen Gutachten zur Alno-Insolvenz heißt, das dem SÜDKURIER vorliegt. Eine abschließende Bewertung wird für März erwartet. Dann sollen alle Dokumente ausgewertet sein. Dennoch: Stand jetzt seien mehrere Tochterfirmen wahrscheinlich sogar bereits im Jahr 2013 zahlungsunfähig und "ohne Fortführungsprognose" gewesen. Offiziell rutschte Alno aber erst am 12. Juli 2017 in die Pleite. Was also trifft zu?
Die Ermittlung des genauen Insolvenzzeitpunktes ist eine der wichtigsten Aufgaben von Insolvenzverwaltungen. Der Grund: Mit der Insolvenz unterliegt die Unternehmensführung neuen, strengen Regeln, um die finanziellen Verluste der Gläubiger zu minimieren. So definiert das deutsche Insolvenzrecht ein umfassendes Auszahlungsverbot für Unternehmensvorstände. Wird es gebrochen, können die Verantwortlichen persönlich in Haftung genommen werden.
Es sind daher die ehemaligen Alno-Vorstände, aber auch Gesellschafter des Unternehmens, die besonders in den Fokus rücken. Man prüfe "potenzielle Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung", Verstöße gegen Zahlungsverbote und "Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns", wie etwa "das Eingehen übergroßer Risiken" oder die "Verfolgung sachfremder Interessen", heißt es in dem Bericht an die Alno-Gläubiger.
Der Prüfungszeitraum des Insolvenzverwalters erstreckt sich insbesondere auf die Ära Max Müller. Der gebürtige Schweizer Müller trat sein Amt als Vorstandschef der Alno 2011 an und verließ das Unternehmen Ende Mai 2017. Auf ihn folgte mit Christian Brenner ein Vertreter des Alno-Großaktionärs Tahoe.
Sollten sich die Verdachtsmomente der Insolvenzverwaltung erhärten, drohen empfindliche Schadenersatzzahlungen. In dem vorläufigen Bericht geht der Insolvenzverwalter von einer Summe von pauschal 25 Millionen Euro aus, die angefochten werden kann. "Diese Summe könnte sich aber noch erhöhen", sagte Hörmann unserer Zeitung. Potenziell könnten die Beträge, die über die Jahre durch eine etwaige Insolvenzverschleppung zu Unrecht aus dem Unternehmen abgeflossen sind, sogar auf bis zu 961 Millionen Euro in die Höhe schnellen, wie aus dem Bericht hervorgeht.
Experten wie Hans Haarmeyer, Vorstand am deutschen Institut für Insolvenzrecht, sagt: "Wenn die Insolvenz verschleppt wurde, haften Vorstände mit ihrem eigenen Vermögen." Oft führe das auch zur persönlichen Insolvenz. Tatsächlich greifen Sicherungsmechanismen, die sich Manager vertraglich einräumen lassen, in diesem Fall nicht. Sogenannte Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen verwehren schlicht den Versicherungsschutz.
Ob entsprechende Verfehlungen nachgewiesen können, ist allerdings noch unklar. Im Zweifel werde man allerdings den Klageweg beschreiten, um unrechtmäßige Geschäftsvorgänge rückabzuwickeln, kündigte Insolvenzverwalter Hörmann an.
In der Vergangenheit waren immer wieder Mutmaßungen laut geworden, ehemalige Alno-Verantwortliche hätten sich persönlich bereichert. Zuletzt hatte der Alno-Hauptaktionär Tahoe entsprechende Vorwürfe erhoben und Müller in der "Stuttgarter Zeitung" unterstellt, "Alno auszunehmen". So habe er sich für die Bereitschaft, dem Unternehmen privat einen Kredit zur Verfügung zu stellen, eine Bereitstellungsprovision von gut 300 000 Euro zahlen lassen. Das Darlehen selbst sei dann aber nie in Anspruch genommen worden.
Müller selbst bestreitet die Vorwürfe vehement. Alle Vorgänge, die Vergütungen und Leistungen von Alno an ihn betrafen, seien "nach Recht und Gesetz" abgewickelt und durch Aufsichtsratbeschlüsse bestätigt worden. Für Nachfragen zum Thema, war Müller gestern trotz mehrmaliger Anfrage nicht zu erreichen. Die Ex-Alno-Finanzchefin und Müller-Vertraute Ipek Demirtas wird von Tahoe laut "Stuttgarter Zeitung" "aktiver Fehlinformation" beschuldigt, weil sie die Lage des Unternehmens noch Mitte Juni 2016 zu rosig dargestellt haben soll und so Tahoe zum Einstieg in ein eigentlich längst marodes Unternehmen bewegt haben soll. Auch Demirtas bestreitet dies.
Der aktuelle Bericht Hörmanns, den der Insolvenzverwalter gestern den Gläubigern vorstellte, scheint den Tahoe-Standpunkt allerdings zu stützen. Immerhin geht auch der Bericht davon aus, dass "die Fortbestehensprognose" für Alno "spätestens Mitte des Jahres 2016 weggefallen" ist.
Auch die Rolle des ehemaligen Alno-Großaktionärs Whirlpool und dessen Tochterfirma Bauknecht bei der Alno-Insolvenz wird Hörmann wohl weiter beschäftigen. Offenbar wusste Bauknecht als langjähriger Teilelieferant sehr früh, wie dramatisch sich die Situation bei Alno darstellte. "Mir liegen Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, dass Bauknecht die Lage bei der Alno-Gruppe seit längerer Zeit als extrem schwierig einschätzte", schreibt Hörmann in seinem Bericht.
Außerdem steht der Vorwurf im Raum, Bauknecht habe Alno über Jahre hinweg Preise in Rechnung gestellt, die "über den Preisen für vergleichbare Konkurrenzprodukten" lagen. Aus dem Alno-Unternehmensumfeld verlautet, dabei habe es sich möglicherweise um eine Stillhalteprämie gehandelt. Hörmann sagt: "Wir müssen auch dieser Frage nachgehen".
Insolvenz und Insolvenzverschleppung
- .Wann ist ein Unternehmen insolvent? Eine Insolvenz (von lateinisch solvere „lösen, bezahlen“) bedeutet nichts anderes als dass ein Unternehmen seinen Rechnungen und Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, also zahlungsunfähig und/oder überschuldet ist. Genauer: Wenn ein Unternehmen seine fälligen Außenstände innerhalb von höchstens drei Wochen nicht wenigstens zu 90 Prozent bezahlen kann, muss es einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellen. Hauptgrund für eine solche Antragspflicht ist der Schutz der Gläubiger wie etwa Lieferanten oder Banken. Für sie soll nicht noch mehr Geld auf dem Spiel stehen. In den meisten Fällen bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, der dann das Sagen im Unternehmen hat.
- .Bedeutet eine Insolvenz automatisch gleich das Aus für das Unternehmen?Nein. Egal, ob mit Insolvenzverwalter oder unter Eigenregie: In der Regel wird versucht, den Betrieb weiterzuführen. Denn es liegt meist auch im Interesse der Gläubiger, den Betrieb und die Produktion am Laufen zu halten. Zum einen gibt es so eine größere Chance, einen Investor für das Unternehmen zu finden; zum anderen springt auch ansonsten für die Gläubiger oft mehr heraus, wenn der Betrieb fortgeführt und saniert, als wenn etwa bloß der Maschinenpark oder die Gebäude verkauft werden. Pleite-Unternehmen sind während eines Insolvenzverfahrens weitgehend vor Zwangsvollstreckungen und dem Zugriff einzelner Gläubiger geschützt. Damit gewinnen sie Zeit, um sich neu aufzustellen.
- .Was ist eine Insolvenzverschleppung? Dieser Straftatbestand besagt im Kern, dass im Falle einer Firmenpleite Geld- oder Freiheitsstrafen drohen, wenn die Insolvenz "nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig" bei Gericht angezeigt wird. Dem Vorwurf der verschleppten Insolvenz können lediglich Kapitalgesellschaften ausgesetzt sein, denn diese unterliegen der Insolvenzordnung. Die Insolvenzordnung gilt für verschiedene Gesellschaften: GmbH, AG, KG und oHG. Auch Stiftungen und Vereine können ins Visier der Justiz geraten. Bei einer Nichteinreichung des Antrags haften meist der Geschäftsführer und die faktischen Organpersonen, also diejenigen, die eine beherrschende Stellung einnehmen. Privatpersonen müssen nicht befürchten, wegen Insolvenzverschleppung belangt zu werden.
- .Gibt es prominente Beispiele? Das beste Beispiel für eine Insolvenzverschleppung war der Fall Schlecker. Zwar gab es keine rechtliche Handhabe gegen Firmengründer Anton Schlecker wegen möglicher Insolvenzverschleppung, da dieser sein Unternehmen in der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns (e.K.) führte und so nicht als juristische Person galt. Aber gegen seine Kinder Lars und Meike als mutmaßlich faktische Geschäftsführer eines Logistikunternehmens konnte das Gericht juristisch vorgehen. Sie wurden wegen Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrotts und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters zu zwei Jahren und neun beziehungsweise acht Monaten Haft verurteilt. Anton Schlecker selbst wurde nur zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt.
- .Welche Strafen drohen? Die Insolvenzverschleppung wird in Deutschland strafrechtlich verfolgt und kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe geahndet werden. Auch die Fahrlässigkeit ist mit einem Jahr Gefängnis strafbar. Wenn die Geldstrafe über 90 Tagessätzen liegt, erfolgt ein Eintrag in das polizeiliche Führungszeugnis und der Schuldige ist vorbestraft. In der Schweiz ist die Insolvenzverschleppung übrigens per se nicht strafbar. Strafbar ist nur die Misswirtschaft, das heißt, wenn durch weiteres Handeln die Überschuldung verschlimmert, oder im Bewusstsein der Zahlungsunfähigkeit die Vermögenslage verschlechtert wird.
Thomas Domjahn und Hildegard Linßen