Wallther Rosenberger

Ludwig der XIX., der Sonnenkönig, hätte in der Firmenzentrale von Huawei seine Freude gehabt. Der Boden der gut 15 Meter hohen und 50 Meter breiten Eingangshalle ist aus blinkendem Marmor gearbeitet. Rechts und links rahmen mit tiefen Teppichen belegte Treppen den Saal ein, und an der Decke prangt ein gigantischer Kronleuchter. Keine Frage: Hier zeigt ein Unternehmen, dass es mehr ist, als ein gewöhnlicher IT-Anbieter.

Bis vor Kurzem war den wenigsten Beobachtern klar, dass Huawei so etwas wie die Spinne im Netz der weltweiten IT-Infrastruktur darstellt. Erst seit Vorwürfe die Runde machen, der in der chinesischen Millionenstadt Shenzen beheimatete Konzern könne über die überall im Westen im Aufbau befindlichen 5G-Mobilfunktnetze sensible Daten absaugen oder diese gar ganz lahmlegen, hat das Unternehmen seinen festen Platz in der öffentlichen Debatte gefunden.

Huawei nimmt eine technologische Spitzenposition ein

Eigentlich gehört es da schon lange hin. Bei sogenannter Netzwerkausrüstung, also der technischen Abwicklung von Datenflüssen über Funk oder Leitungen, ist Huawei globaler Marktführer. Ein Drittel der Weltbevölkerung werde mittlerweile durch Huawei-Hardware verbunden, sagt Konzernsprecher Carsten Senz dem SÜDKURIER beim Besuch des Unternehmens in Shenzhen. Besonders für die 5G-Technik, ohne die weder Maschinen in Echtzeit vernetzt noch Autos autonom fahren können, hat Huawei eine Schlüsselrolle. Weltweit spielen hier lediglich noch die US-Firma Cisco und Ericsson aus Schweden vorne mit, aber Huawei sagt von sich: "Wir sind den Wettbewerbern ein Jahr voraus." Auch in Deutschland nutzen viele Firmen, etwa die deutsche Telekom oder die Bahn, schon Huawei-Technik, um ihre Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Sogar der Fußballverein BVB vernetzt sein Stadion mit Huawei-Routern.

Das Unternehmen gehört den Mitarbeitern – sie wählen ihre Chefs

Von den 180 000 Mitarbeitern arbeiten 80 000 in Forschung und Entwicklung und legen somit die Grundlage, dass dem 1987 von Firmenchef Ren Zhengfei gegründeten Unternehmen das Kunststück gelingt, fast alle zwei Jahre seinen Umsatz auf zuletzt rund 108 Milliarden Euro zu verdoppeln – übrigens auch dank Smartphones, die an die Top-Produkte von Apple oder Samsung herankommen.

Wohlfühl-Atmosphäre in der Huawei-Konzern-Zentrale
Wohlfühl-Atmosphäre in der Huawei-Konzern-Zentrale | Bild: Rosenberger

Diesen Erfolg begründet Huawei auch damit, dass die Mitarbeiter im Unternehmen ein gehöriges Wörtchen mitreden dürfen. Eine Stamm-Belegschaft von knapp 100 000 Beschäftigten wählt den Vorstand – mit Ausnahme des Firmengründers Zhengfei – in stetem Turnus neu. Ihnen, und nicht dem Staat oder einem Investor, gehört auch das Unternehmen. Das schaffe Identifikation und Motivation, sagt Senz.

War kürzlich in China, um Tech-Firmen zu besuchen und sich ein Bild zu machen: Südwest-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut
War kürzlich in China, um Tech-Firmen zu besuchen und sich ein Bild zu machen: Südwest-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut | Bild: dpa

Allerdings ist Huawei nicht das einzige chinesische Tech-Unternehmen, das dabei ist, mit seiner Technologie den westlichen Platzhirschen den Rang abzulaufen. Fachleute nennen insbesondere drei Schlüsselfirmen, für die sich das Kürzel BAT eingebürgert hat. Es steht eigentlich für die englische Bezeichnung von Fledermaus, bezeichnet aber insbesondere die Tech-Firmen Baidu, Alibaba und Tencent. Diese stellen die lokalen Konkurrenten der US-Firmen Google, Amazon und Facebook dar. Mithilfe von Staatsaufträgen haben sie eine dominierende Stellung insbesondere in Zukunftstechnologien wie Big Data – also dem Sammel und Auswerten von Daten in großem Stil – und künstlicher Intelligenz (KI) erreicht. Das sind just jene Technologien, die in Zukunft "zur Basis deutscher Parade-Disziplinen wie dem Auto- und Maschinenbau werden", wie Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut jüngst bei einem China-Besuch bemerkte.

ZF und Daimler kooperieren mit Baidu bei Roboterautos

Kooperationen gibt es schon. Baidu entwickelt mit einer ganzen Reihe von deutschen Autofirmen, darunter Daimler und ZF, eine Art Betriebssystem für Roboterautos. Diese so genannte Apollo-Plattform soll ähnlich wie Android für Handys künftig weltweit die Standards setzen.

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Experten wie Han Zheng, Innovationsprofessor an der chinesischen Tongji Universität taxieren Chinas Ambitionen im Technologiesektor hoch. "Beim Sammeln von Daten, deren Interpretation und Analyse sind chinesische Firmen weltweit vorne", sagt er dem SÜDKURIER.

Andere Experten schätzen, dass chinesische Firmen bislang rund zehn Mal so viele Nutzer-Informationen zusammengetragen haben, wie die US-Konkurrenz. Europa ist aufgrund seiner sehr restriktiven Datengesetzte sowieso abgeschlagen. Im Klartext: China hat einen nahezu uneinholbaren Daten-Vorsprung, selbst im Vergleich zum Silicon Valley. Und Daten gelten allgemein als Gold des Internetzeitalters.

Tencent hat Apps für alles und für jeden – auch für den Gesundheitsbereich.
Tencent hat Apps für alles und für jeden – auch für den Gesundheitsbereich. | Bild: Rosenberger

Die fleißigen Bienchen, die all diese Informationen jeden Tag zusammentragen, sind die 800 Millionen Internetnutzer Chinas. Und insbesondere Alibaba und Tencent saugen Honig aus ihnen. Mit ihren Handy-Apps Alipay und We-Chat haben sie sogenannte Super-Apps geschaffen, ohne die in China überhaupt nichts mehr geht. Egal ob Taxi bestellen, Partnerfinden, Arzttermine organisieren, Fitnessdaten auswerten oder einkaufen – alles kann per App erledigt werden. Besonders die mobilen Bezahlsysteme des Onlinekaufhauses Alibaba und von Tencent nutzen fast alle Chinesen. "Die so erzeugten Datenspuren geben den Unternehmen eine immense Macht", sagt Zheng. Um die Kreditwürdigkeit von Kunden zu erfahren, wendeten sich Banken in China beispielsweise nicht mehr an Behörden, sondern gleich an die Tech-Riesen, sagt der Professor.

Aber auch der Staat profitiert. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass die Nutzerdaten der IT-Konzerne eine der Grundlagen der von Chinas Staatsführung geplanten Totalüberwachung der Bürger ab dem Jahr 2020 sein werden. Milliarden Datensätze würden dann bei Chinas Sicherheitsbehörden zusammenlaufen, die aktuell dabei sind, das ganze Land mit einem Netz an Kameras und Sensoren für Überwachungszwecke zu überziehen. Beides zusammen – Firmen- und staatlich erhobene Daten – würde den nahezu kompletten Überwachungsstaat wahr werden lassen, schätzen Experten.