Eigentlich wird auf der jährlichen Zusammenkunft des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) stets darüber debattiert, wie seine Mitglieder Kriegsverbrecher oder andere politische Gewalttäter der Gerechtigkeit zuführen können. Doch diesmal drehten sich die Gespräche fast ausschließlich um den schwersten Rückschlag des Gerichts in seiner 15-jährigen Geschichte: die Austrittserklärungen von Südafrika, Burundi und Gambia, denen nun auch noch Russland gefolgt ist.
Die Ausgetretenen empören sich vor allem darüber, dass der Gerichtshof angeblich nur Afrikaner verfolgen und darüber die vom Westen begangenen Verbrechen ignorieren würde – ganz so als wären die vom ICC verfolgten Fälle nicht fast alle auf Bitten der Afrikaner selbst erfolgt. Die Kehrtwende überrascht umso mehr, als Afrikas Führer, entsetzt über den weitgehend ungesühnten Völkermord in Ruanda (1994), einst zu den glühendsten Verfechtern des ICC zählten. Unter den ursprünglich 139 Ländern, die 1998 das Römer Statut zur Gründung des Strafgerichtshofes unterschrieben, befanden sich jedenfalls 34 Staaten aus Afrika. Doch genau hier liegt auch das Dilemma. Weil wichtige Länder wie etwa die USA, China, der Iran aber auch Saudi-Arabien, Syrien oder die Türkei fehlen, fiel der Schwerpunkt des Gerichts fast automatisch auf Afrika. Zumal der Kontinent von Darfur über den Ostkongo bis zum Horn von Afrika zu den gewalttätigsten Regionen der Welt zählt.
Schon ein Blick auf die drei ausgetretenen Regime in Afrika zeigt jedoch, dass eine solche Sicht der Dinge in die Irre führt. Alle drei Staatschefs haben selbst jede Menge Dreck an Stecken und fürchten deshalb um die eigene Haut: Während der Staatschef von Burundi sich brutal an die Macht klammert und selbst ins Visier des ICC gerückt ist, gilt sein Kollege in Gambia nicht erst seit seiner Behauptung, Aids heilen zu können, als ein Despot der übelsten Sorte. Kein Wunder, dass überproportional viele der Flüchtlinge, die nach Europa strömen, aus dem Zwergstaat im äußersten Westen Afrikas stammen.
Aber auch Südafrikas Staatschef Zuma wird seinem Machtantritt Jahren von Korruptionsvorwürfen geplagt und steht nun kurz vor dem Sturz. Seine Regierung war es auch, die den mit internationalem Haftbefehl gesuchten sudanesischen Staatschef Bashir zum Gipfel der Afrikanischen Union nach Südafrika einlud – und illegal aus dem Land schleuste, als ein südafrikanisches Gericht daraufhin dessen Festnahme verfügte. Seit langem befindet sich Südafrika auf dem Weg von einer offenen und demokratischen zu einer von Zuma und seinem Sicherheitsapparat kontrollierten Gesellschaft. Zuma selbst dürfte nicht verborgen geblieben sein, dass Gerichte wie der ICC eines Tages womöglich Fälle mit südafrikanischer Beteiligung anhören werden.
Über dem Gesetz
Die immer schrilleren Tiraden aus Afrika gegen die vermeintliche westliche Unterdrückungsjustiz sind folglich nicht etwa einem Respekt für die Menschenrechte, sondern puren Eigeninteressen geschuldet. Während es zumindest in Südafrika ein (noch) unabhängiges Rechtssystem gibt, stehen Afrikas Führer fast überall sonst über dem Gesetz und können juristisch kaum belangt werden. Für den einfachen Bürger in Afrika ist der ICC deshalb die einzige Anlaufstelle, um die Willkürherrschaft eines Regimes anzuprangern und womöglich die Verurteilung seiner Führer zu erwirken.
Dass die aus dem ICC Ausgetretenen vor allem die eigene Haut retten wollten, zeigt ein Blick auf den nächsten Kandidaten: Ganz obenan steht dabei Kenia, dessen Staatschef Uhuru Kenyatta bis vor kurzem vom ICC wegen des Schürens blutiger Stammesunruhen angeklagt war. Inzwischen wurde sein Prozess wegen der Einschüchterung von Zeugen vom ICC gestoppt. Ein verhängnisvoller Fehler: Denn genau solche Konzessionen geben Afrikas Despoten das falsche Signal, auch künftig wieder straffrei davonzukommen.
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