Zum vierten Mal in Folge erzielt der Bundeshaushalt Überschüsse. Im laufenden Jahr 2018 sollen es gut 10 Milliarden Euro sein. Dass diese Überschüsse vor allem aus den immer noch sprudelnden Steuereinnahmen herrühren, aber auch aus den niedrigen Refinanzierungskosten der Staatsschulden, rückt bei den Berufspolitikern im Berliner Reichstag leicht in den Hintergrund.

Die steuer- und abgabepflichtigen Bürger sind dagegen doppelt gekniffen. Sie bezahlen immer höhere Anteile ihres Einkommens an den Staat: als Steuern und Sozialabgaben. Sie spüren auch die gesunkenen Zinseszins-Effekte bei den traditionellen Altersvorsorge-Sparformen der Deutschen (Lebensversicherungen und Sparbuch), eine Folge der Nullzins-Politik, mit der die EZB die Kreditaufnahme der europäischen Schuldnerländer alimentiert und gleichzeitig privates Sparen bestraft.

In Sonntagsreden fokussieren sich Politiker gern auf die Menschen, „die jeden Tag morgens aufstehen, Leistung bringen und Steuern und Sozialabgaben bezahlen“. Auch im CDU-internen Wahlkampf um den Vorsitz war davon die Rede, nicht nur bei Friedrich Merz, sondern auch bei der späteren Siegerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Beim Bundesparteitag in Hamburg beschloss die CDU am 8. Dezember sogar die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Das brächte den Steuerzahlern immerhin 5,5 Prozent Ersparnis auf ihre persönliche Einkommensteuerlast. Leichter als bei der Abschaffung dieser Sonderabgabe lässt sich der individuelle Entlastungseffekt einer Steuerreform nie errechnen.

Starke Schultern?

Allerdings steckt in dieser leichten Errechenbarkeit auch ein politischer Vorteil, den sich die Umverteiler in der Politik gern zu eigen machen. 90 Prozent der Steuerpflichtigen sollen laut Koalitionsvertrag von Union und SPD bis zum Ende der Legislaturperiode beim Solidaritätszuschlag entlastet werden. Die obersten zehn Prozent dagegen, die sogenannten „starken Schultern“, müssen dagegen weiter bezahlen. Die Steuerausfälle für diese Teilabschaffung beliefen sich auf rund 10 Milliarden Euro im Jahr. Weil das Soli-Aufkommen am Ende der Legislaturperiode aber mehr als 20 Milliarden Euro umfassen dürfte, trägt das obere Zehntel Prozent weiterhin mehr als die Hälfte des bisherigen Aufkommens. Auf die Idee, dass eine Entlastung vor allem auch denen zugutekommen sollte, die schon seit Jahrzehnten die Hauptlast getragen haben, scheint in der Umverteilungsrepublik Deutschland kaum mehr jemand zu kommen. Ein merkwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit!

Dass Parteitagsbeschlüsse oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt stehen, bewies die Unions-Bundestagsfraktion am 13. Dezember, also nur fünf Tage nach dem Hamburger Bundesparteitagsbeschluss. In namentlicher Abstimmung stimmten alle 475 an der Abstimmung teilnehmenden Abgeordneten von Union, SPD, Linken und Grünen gegen die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wie ihn die FDP-Fraktion per Gesetzentwurf eingebracht hatte. Dafür stimmten 150 Abgeordnete aus der FDP- und AfD-Fraktion sowie zwei fraktionslose Abgeordnete.

Der Verfasser war bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags. Heute lebt er als freier Autor in Ravensburg