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Herr Mair, plötzlich schlägt der Winter in den Bergen mit voller Härte zu. Hat Sie der Wetterumschwung überrascht?

Für mich war das nicht überraschend. Im Dezember und Januar fällt immer viel Schnee. Die Kombination aus drei Faktoren macht die Gefahr um Lawinen so tückisch: Es gibt sehr viel Neuschnee. Hinzu kommen sehr tiefe Temperaturen und stürmischer Wind.

Sollten bei dieser Wetterlage Skifahrer überhaupt noch auf die Pisten gehen?

Auf den präparierten Pisten kann man grundsätzlich immer Skifahren. Die werden nur geöffnet, wenn sie lawinensicher sind. Experten informieren sich jeden Tag, ob das Gebiet sicher ist. Im Zweifel wird die Piste gesperrt. Gefährlich wird es dann, wenn man die Piste verlässt. Das ist in den letzten Jahren zum Trend geworden. Davon rate ich an diesem Wochenende dringend ab. Die Lawinengefahr ist sehr hoch.

Der Tiroler Meteorologe Rudi Mair gehört zu den gefragtesten Lawinenexperten in Österreich.
Der Tiroler Meteorologe Rudi Mair gehört zu den gefragtesten Lawinenexperten in Österreich. | Bild: Privat

Wie kommt überhaupt ein Lawinenlagebericht zustande?

Das Erstellen ist ein sehr komplexer Vorgang. Wir haben beispielsweise hier in Tirol über 200 automatische Wetterstationen, die uns alle 10 Minuten etwa Daten zur Windgeschwindigkeit, Lufttemperatur und Schneehöhe liefern. Darüber hinaus sind wir selbst sehr viel im Gelände unterwegs und sichten die Hänge. Dabei bekommen wir auch Unterstützung durch zahlreiche Hubschrauber. Aus diesem Konvolut an Daten schätzen wir ein, wie hoch die Lawinengefahr ist.

Welche Ausrüstung würden Sie Wintersportlern empfehlen, um sicher ins Tal zu kommen?

Jeder, der abseits unterwegs ist, braucht eine Grundausrüstung, die drei Gegenstände beinhaltet. Das wichtigste ist ein Verschüttetensuchgerät dabei zu haben. Eine Sonde verstärkt das Signal und eine Schaufel hilft dabei, Personen auszubuddeln. Auch ein Handy und ein Erste-Hilfe-Paket gehören zur Grundausstattung. Darüber hinaus gibt es Airbags, die verhindern, dass man von einer Lawine begraben wird. Auch die sind sehr sinnvoll, jedoch teuer. Ein Airbag lohnt sich nur für diejenigen, die regelmäßig abseits der Skipisten unterwegs sind.

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So viel Ausrüstung kann sicher leben retten. Aber kann man sich darauf verlassen, dass sie im Notfall wirklich hilft?

Nur den Airbag muss der Wintersportler manuell bedienen, damit er Wirkung zeigt. Das kann man in dem Stress sicherlich vergessen. Die anderen Gegenstände werden vor der Skitour eingestellt. Damit auch alles im Ernstfall funktioniert, lohnt es sich, die einzelnen Komponenten regelmäßig zu testen. Wichtig ist vor allem die Übung mit dem Verschüttetensuchgerät, das auch oft Piepsgerät genannt wird. Wenn man im Vorfeld noch nie das Signal gehört hat, hat man bei der Suche nach einer Person keine Chance.

Trotz großer Vorsicht kann es passieren von einer Lawine überrascht zu werden. Kann man dann überhaupt noch etwas tun, um zu überleben?

Es kann eigentlich nicht passieren, dass man eine Lawine auslöst, wenn man sich im Vorfeld gut informiert hat. In den Alpen herrscht derzeit Lebensgefahr. Ich kenne genügend Menschen, die von einer Lawine begraben wurden. Alle berichten das selbe: Man ist nicht mehr als ein Passagier und muss erdulden, was die Lawine mit einem macht. Man ist ein Getriebener der Naturgewalt.

Winterlicher Straßenverhältnisse herrschen derzeit im Raum Mittersill in Österreich. Am Wochenende soll es in den Alpen noch mehr Schnee ...
Winterlicher Straßenverhältnisse herrschen derzeit im Raum Mittersill in Österreich. Am Wochenende soll es in den Alpen noch mehr Schnee fallen. | Bild: dpa

Wie sind die Überlebenschancen, wenn man von einer Lawine erfasst wurde?

Da gibt es statistische Erhebungen, die genau sagen, wie wahrscheinlich es ist zu überleben. Etwa 80 Prozent schaffen 20 Minuten. Danach geht die Kurve drastisch nach unten. Nach drei Stunden überleben durchschnittlich nur noch 20 Prozent der Opfer. Es gibt natürlich auch Menschen, die länger überlebt haben. Die hatten großes Glück, indem sich Schneeblöcke so verkeilten, dass ein Zugang zur Oberfläche bestehen blieb.

Welche Fehler können im Gelände passieren, die unbedingt vermieden werden sollten?

Der größte Fehler ist, dass sich Menschen im Vorfeld nicht gut genug informieren und dadurch leichtsinnig mit ihrem Leben umgehen. Bei Lawinenstufe eins und zwei ist man auch abseits noch recht sicher unterwegs. Es gibt ganz eindeutige Hinweise, zu welchem Zeitpunkt man sich wo aufhalten und Skifahren kann. Bei Gefahrenstufe zwei sollten Hänge über 40 Grad gemieden werden. Bei Stufe drei sollte es nicht steiler als 35 Grad werden. Bei Gefahrenstufe vier, die wir derzeit in vielen Gebieten verzeichnen, sollte es sogar nicht mehr steiler als 30 grad werden. Wenn diese Richtwerte von allen Wintersportlern berücksichtigt werden würden, dann gäbe es 90 Prozent der Lawinenunfälle nicht.

Fragen: Sebastian Küster