Steffen Rüth

Melanie, welche Version von ihnen sitzt mir den gerade gegenüber?

(lacht): Es gibt so viele, dass ich selbst manchmal den Überblick verliere. Meine wichtigste Rolle und größte Aufgabe im Leben ist es, meiner Tochter Scarlet eine möglichst gute Mutter zu sein. Dann gibt es noch die Partnerin, die Freundin, die Sportlerin…

Eins nach dem anderen.

Unbedingt. Sie lernen mich jetzt eher in meinem Arbeitsmodus kennen. Ich verdiene seit über zwanzig Jahren als Künstlerin mein Geld, auch dieser Aspekt meines Lebens ist mir extrem wichtig. Ich liebe das, was ich tue, und als Elternteil will ich, dass meine Tochter eine gesunde Einstellung zur Arbeit entwickelt.

Wie war es, als Scarlet herausfand, womit Sie ihr Geld verdienen?

Sie kennt mein Leben ja nur so. Es ist total normal für sie, dass Mami abends auf die Bühne geht. Sie ist sehr stolz, die Tochter eines Spice Girls zu sein, sie kennt den Film, die Videos, die anderen Spice Girls und deren Kinder. Nur manchmal ist sie genervt, wenn ich auf der Straße angesprochen werde, um für Selfies zu posieren. Aber das gehört einfach zu meinem Job dazu.

Hatten Sie nach ihrem vorherigen Album „The Sea“ 2011 nicht überlegt, ob Sie die Musikkarriere an den Nagel hängen wollen?

Nein, komplett beenden wollte ich meine Laufbahn nie. Dazu liebe ich die Musik und das Singen viel zu sehr. Ich wäre nicht zufrieden damit, hier in Hampstead das Leben einer wohlhabenden Privatiersfrau zu führen. Mir war allerdings nach der Geburt von Scarlet 2008 klar, dass ich mich verändern wollte. So eine Karriere wird ja auch zur Routine, mit immer den gleichen Zyklen.

Sie haben zuletzt am Londoner West End gespielt, waren mit dem Musical „Jesus Christ Superstar“ auf Tournee und saßen in Singapur in der Jury von „Asia’s Got Talent“. War das Popstarleben so langweilig geworden?

Du kannst tatsächlich ausbrennen und immer leerer werden, wenn sich so vieles wiederholt und du nur in der Tretmühle hängst. Du musst auch ein bisschen leben, um neue Ideen für deine Songs zu finden. Die anderen Geschichten waren schön und teilweise praktisch, zum Theater konnte ich mit der U-Bahn fahren und war abends wieder bei meinem Kind. Aber in der Musik, da steckt nun einmal mein Herz, das habe ich in diesen Jahren sehr stark gespürt.

Sie klingen auf „Version Of Me“ elektronischer und moderner. Warum wollten Sie ihren Stil renovieren?

Weil ich mich beeinflussen lassen wollte von der Welt um mich herum. „Version Of Me“ ist immer noch ein Popalbum, aber ein Popalbum aus dem Jahr 2017, mit viel elektronischer Musik. Ich mag Künstler wie The Weeknd, Jack Garrett und vor allem Sia, das alles hat mich inspiriert, meinen eigenen Weg zu finden.

Ist das so etwas wie ein Neustart?

Auf jeden Fall. Mein Leben hat sich verändert in den letzten fünf, zehn Jahren. Ich bin Mutter eines kleinen Mädchens geworden, das rasant älter wird, ich habe eine neue Liebe gefunden. Das sind alles solche Erwachsenensachen, die ich durchlebt habe, inklusive vieler Hochs und Tiefs. Ich wollte meine Erfahrungen auf meinem Album abbilden und etwas machen, das Seele und Substanz hat.

Ist „Dear Life“ ein Brief an ihr eigenes Leben?

Ja. Meine Songs geben mir Kraft, und mit ihnen therapiere ich mich auch. Wenn ich über etwas schreibe, verstehe ich es besser. Oft wirken meine Lieder auf mich sogar wie ein Tritt in den Hintern. Ohne Musik wäre ich verzweifelt.

Worüber singen Sie im Titelstück von „Version Of Me“?

Über eine Zeit in meinem Leben, in der ich gemobbt wurde. Es geht darum, dass andere Menschen eine Version von mir verlangten, die ich nicht sein wollte. Dann aufzustehen und zu sagen „Ich werde immer ich selbst sein“, das ist nicht einfach.

Sie gelten doch als selbstbewusste Frau.

Das war immer schon ein Trugbild, vor allem früher, in meinen Zwanzigern. Ich fühlte mich sehr klein und verwundbar, auch während der Zeit mit den Spice Girls.

Drei der fünf Spice Girls versuchen gerade ein Comeback, Sie und Victoria Beckham haben abgesagt...

Ich habe endlos lange überlegt, aber ich habe mich einfach nicht wohl gefühlt mit dem Gedanken. Wir sind 2012 bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London zuletzt aufgetreten, besser geht es meiner Ansicht nach nicht. Ich werde immer ein Spice Girls sein, aber wenn wir noch mal was auf die Beine stellen, dann nur zu fünft. Die Tür ist nicht für immer zugeschlagen.

Zur Person

In Hampstead, dem Nobelviertel im Norden Londons lässt es sich gut leben. Das Ex-Spice-Girl Melanie Chisholm wohnt hier seit 18 Jahren, nunmehr mit Tochter Scarlet und neuem Lebensgefährten. 43 Jahre ist sie alt, aber „Sporty Spice“ geht problemlos noch für Ende 20 durch. Melanie C, so ihr Künstlername, hat eben ihr siebtes Solo-Album „Version Of Me“ veröffentlicht. Am 5. Mai gastiert sie damit auch in Zürich (Volkshaus) und am 9. Mai in Stuttgart (Im Wizemann). (sr)