Frau Eberwein, Sie haben das Hesse-Haus 2003 gekauft und saniert und anschließend den Garten wieder angelegt. Das opulente Gartenbuch ist jedoch schon 2016 erschienen, das Buch zum Haus erst in diesem Frühjahr. Wieso in dieser Reihenfolge?

Das Gartenbuch zuerst, weil mir als Biologin der Garten näher lag. Auf diesem Terrain fühlte ich mich sicherer. Im Haus gab es noch viele ungelöste Rätsel, da hatte ich Respekt. Erfreut hat mich jetzt das positive Feedback eines Architekten: Er fand meine Sichtweise, die von der Funktion der Räume ausgeht, sehr spannend.

Wie haben Sie das Haus von Beginn an erlebt? Wie hat sich das geändert?

Ich fand es von Anfang an wunderbar, es ist ein altes Haus, das Geschichten zu erzählen hat. Dennoch wollten wir uns nicht die alten Schuhe anziehen, sondern die Räume mit unserem Leben erfüllen.

Bis heute finde ich bemerkenswert, welche Aussagekraft es hat. Es ist gemütlich, es ist schön, und es hat eine Wärme, ungeachtet der früheren Zerwürfnisse, die darin stattgefunden haben. Geplant war es als Familienvilla, die es heute wieder ist. Mit der Besonderheit, dass es als Privathaus auch für Besucher geöffnet wird.

Welche Feinheiten zeigten sich erst im Lauf der Zeit?

Beispielsweise ein praktisches Putzkämmerchen unter der Treppe – das heißt, dass Mia wohl mehr mit der Planung zu tun hatte als lange gedacht. Hermann Hesse hat das Baugesuch unterschrieben, da eine Bauherrschaft von Frauen 1907 noch nicht möglich war.

Aber er schrieb in Bezug auf Mia: „Sie hatte ein Gefühl für Ästhetik, Form und Farben.“ Hesse hat die Konfiguration des Hauses seiner Frau überlassen, das ist ganz klar. Außerdem: Wer das Geld hat, hat das Sagen. Der Kredit kam ja von ihrem Vater.

Eva Eberwein über das Hesse-Haus: „ein altes Haus, das Geschichten zu erzählen hat“.
Eva Eberwein über das Hesse-Haus: „ein altes Haus, das Geschichten zu erzählen hat“. | Bild: Doris Burger

Gebaut wurde von Januar bis September 1907. Wie erklärt sich diese erstaunlich kurze Bauzeit?

Tatsächlich, ein Bau wie eine gute Schwangerschaft. Dazu ein beschleunigtes Verfahren bei der Bewilligung des Baugesuchs vom Amt in Konstanz. Das erklärt sich wohl aus der Berühmtheit des Dichters.

Andererseits hatte Hans Hindermann selbst die Bauleitung inne: Er war häufig vor Ort, betreute zeitgleich einen Ausbau von Schloss Glarisegg in Steckborn. Für Gaienhofen war diese Landhaus-Villa ein überaus exotisches Projekt. Das könnte auch die Handwerker beflügelt haben.

Gibt es etwas, das im Haus nervt oder das man heute anders bauen würde?

Nach heutigen Maßstäben ist es energetisch schwierig: Die Haustür müsste gedoppelt werden, und wie könnte man die Ölheizung ersetzen? Auf denkmalgeschützte Häuser passen keine Solarpaneele, da würde nur Fernwärme helfen, die es in Gaienhofen aber nicht gibt.

Allerdings hatte es schon gute Kastenfenster, also zwei Fenster hintereinander. Für damalige Verhältnisse ist es hervorragend gebaut, voll unterkellert und fußwarm durch die Dielen.

Die Fassade in „Gundelegrün“, darunter das Rosa des Erdgeschosses.
Die Fassade in „Gundelegrün“, darunter das Rosa des Erdgeschosses. | Bild: Doris Burger

Gerade die Farbwahl vor 100 Jahren überrascht auf den ersten Blick. Was dachten sich Mia und Hermann Hesse bei der Auswahl?

Die Fassade ist oben „gundelegrün“, so waren auch die Fischerboote gestrichen, um die Fische zu täuschen. Der türkise Farbton entsteht durch das Gletscherwasser, am Obersee ist er noch deutlicher zu sehen. Das Rosa ist die Morgenröte am See, darunter der natürliche Sandstein, der übrigens ganz in der Nähe, in Öhningen, abgebaut wurde.

Von der anderen Seeseite aus gesehen fügt sich das Haus sehr harmonisch ans Ufer, es sticht längst nicht so ab wie die heutigen weißen Häuser.

Der Architekt Hans Hindermann baute zwei weitere Häuser im Ort. Zwischen allen dreien bestanden enge Verbindungen. Können Sie diese kurz schildern?

Das Hesse-Haus in seinem Schweizer Reformstil war so federführend, dass sich zwei andere anschlossen. Schon in der architektonischen Rundschau von 1909 wurde es ja vorgestellt.

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Das zweite Hindermann-Haus ist die Villa Finckh (des Dichters und Nationalsozialisten Ludwig Finckh, Anmerkung der Redaktion), die heute noch von Nachfahren der Familie bewohnt wird. Das dritte war ein bescheidenes Haus unten an der Landstraße, das Haus des Schneidermeisters Josef Köpfler. Köpfler hatte Bienenstöcke und hat Hesses den Honig geliefert.

Und er hatte eine Art Atelier unter dem Dach, das er auch als „Fremdenzimmer“ an Freunde von Hesse vermietet hat. Zwischen den Häusern gab es sogar einen Rasenweg als direkte Verbindung. Das Köpfler-Haus wurde gerade abgerissen und neu gebaut. Pikanterweise blieb allein die Fassade stehen, die nicht original ist, sondern von einem Umbau aus den 1930er-Jahren stammt.

Ein Architekt auch als Designer und Innenarchitekt. Was, außer den Stühlen, ist davon noch erhalten?

Alle festen Einbauten wurden von Hindermann entworfen: Hesses Bibliotheksschränke, die Art und Weise der Holztäfer und die Kehlen an der Decke. Dazu die Türrahmen und die Türklinken sowie die Glaseinlassungen in den Türen. Im Buch beschreibe und zeige ich noch weitere liebevolle Details.

Das Buch „Das Haus von Mia und Hermann Hesse“ ist im Prestel-Verlag erschienen.
Das Buch „Das Haus von Mia und Hermann Hesse“ ist im Prestel-Verlag erschienen. | Bild: Prestel-Verlag

Wie hat sich das Verhältnis zur Familie Bernoulli und zur Familie Hesse entwickelt?

Gerade die Familie Bernoulli war unglaublich froh, dass sich jemand der Geschichte von Mia annimmt. Sie haben die Aufarbeitung unterstützt, Keller und Speicher durchforstet und Dokumente und Fotos gebracht.

Auch die Enkel von Hesse bringen Originale ins Haus: Gemälde, Grafiken und Spielzeug, beispielsweise von Bruno Hesse, dem erstgeborenen Sohn. Auch ein Salatsieb von Mia brachten sie zurück. Eine Zeit lang nutzte die Familie Hesse Gaienhofen für Familientreffen.

Wie können Besucher das Haus und den Garten heute erleben?

Hausführungen machen wir coronabedingt zur Zeit nicht, weil die Verhältnisse zu eng sind. Aber wir öffnen das ehemalige Speisezimmer, in dem man einen Film sehen kann. Er zeigt besondere Objekte aus dem Haus.

Der Garten kann zu den Öffnungszeiten individuell besucht werden, zwölf Stelen erklären die Anlage. Mittags führe ich mit einem halbstündigen Vortrag in die Thematik ein, viele Gäste kommen eigens, um diesen Vortrag zu hören. Und einmal im Monat gibt es eine Gartenführung.