Die Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise gefährden den häuslichen Frieden. Sich abzugrenzen von den mitunter überbordenden Ansprüchen der Angehörigen, das fällt vielen schon unter Normalbedingungen nicht leicht: Wie soll es gelingen, wenn uns Ehepartner, Kinder, Eltern nun auch noch rund um die Uhr auf die Pelle rücken?
Der Zürcher Publizist und Coach Attila Albert hat schon viele Klienten aus der Vereinnahmungsfalle geführt. Die erfolgreichsten Strategien beschreibt er in seinem neuen Buch „Ich mach da nicht mehr mit“ (Gräfe und Unzer Verlag). Seine Kernthese lautet: Bloß nicht helfen! Das klingt zunächst nicht nach christlicher Nächstenliebe, zumal der Untertitel eine Strategie verspricht, mit der man „auch mal die anderen leiden“ lassen kann.
Tatsächlich aber ist „nicht helfen“ keineswegs mit Nichtstun zu verwechseln. Auch entpuppt sich das „Leidenlassen“ durchaus als Akt der Nächstenliebe. Es geht nämlich um nichts weniger als Hilfe zur Selbsthilfe. Und der Dreischritt zu diesem Ziel lautet: zuhören, erklären, ansagen.
- Beispiel Nummer eins: der Jammerer. Mit Aufmunterung und konkreten Vorschlägen ist ihm oft nicht geholfen, wie Albert am Beispiel einer Klientin zeigt, der die ständigen Anrufe ihrer von Alltagssorgen geplagten Mutter zu viel wurden. All ihre Hilfsbemühungen waren nutzlos, weil es der alten Dame gar nicht um Lösungen ging, sondern ums Telefonieren an sich. Tägliche Seelsorge aber konnte die Tochter auf Dauer nicht leisten. Was also tun?
Die Lösung lautet: Den Gesprächspartner in seinen Klagen bestätigen und nach eigenen Lösungsideen fragen. „Ja, das ist furchtbar. Was unternimmst du jetzt dagegen?“ Wer solch aktives Zuhören betreibt, verhilft dem anderen zur Eigeninitiative. Die Mutter freundete sich bald mit ihrer Nachbarin an, fasste neuen Lebensmut. Und die Tochter konnte sich auf ihre Anrufe wieder freuen.
- Beispiel Nummer zwei: der Ausbeuter. Er versteht es, mit einem Lob („Du kannst das viel besser als ich!“) seine Arbeit auf andere abzuwälzen. Wer grundsätzlich hilfsbereit ist, findet sich hier schnell in der Rolle des nützlichen Idioten wieder. Der Ausweg: dem vermeintlich begriffsstutzigen Drückeberger lang und breit erklären, wie er die Aufgabe selbst bewältigen kann. Schön penetrant, bis er keine Lust mehr hat, sich an dich zu wenden.
- Beispiel Nummer drei: der Bequeme. Wenn das eigene Kind auch mit Ende zwanzig noch auf Mamas Sofa lümmelt, statt sein Leben in die Hand zu nehmen, sind viele Eltern ratlos. Sollen sie verständnisvoll zuhören? Oder erklären? Nein, sagt Albert, in diesem Fall sei die klare Ansage das Mittel der Wahl. „Weil es Zeit wird, dass du Verantwortung übernimmst, ziehst du in drei Monaten aus. Für weitere drei Monate unterstütze ich dich bei der Miete, danach hilft notfalls das Sozialamt.“ Unumkehrbar wird der Entschluss, wenn bereits Untermieter für das frei werdende Jugendzimmer gefunden sind.
Zuhören, erklären, ansagen: Ist es wirklich so leicht? Nun ja, wer auf jeden Cent seines Einkommens dringend angewiesen ist, über eine Handvoll Freunde hinaus keinerlei Beziehungen unterhält und sich so gar keine Alternative zu seinem aktuellen Job vorstellen kann, der schafft sich finanzielle und emotionale Abhängigkeiten, gegen die sich mit noch so guten Ratschlägen oft kaum mehr etwas ausrichten lässt.
Umso wichtiger ist es, sich beizeiten Spielraum zu verschaffen. Lieber einen bescheideneren Lebensstil pflegen und dafür auch mal eine Krise überstehen können, besser zu viel Freundschaften pflegen als zu wenige. „Grenzen“, sagt Albert, „muss man sich leisten können“.
Ohne ein Mindestmaß an Selbstdisziplin und Weitsicht gelingt es also kaum, die anderen auch mal leiden zu lassen. Wer aber über diese Grundtugenden verfügt, dem dürfte das Zusammenleben auch unter Quarantänebedingungen leichter fallen.
Attila Albert: „Ich mach da nicht mehr mit – Wie du dich endlich abgrenzt und auch mal die anderen leiden lässt“, Gräfe und Unzer Verlag, München 2020; 192 Seiten, 16,99 Euro.