Frau Neigel, ich würde gerne darüber sprechen, wie Sie die zurückliegenden zwei Jahre der Corona-Pandemie als Musikerin, als freischaffende Künstlerin erlebt haben. Wo wollen Sie anfangen?
Also, das Virus ist das eine, das klammere ich aus. Es ist logisch, dass dagegen etwas getan werden muss. Das ist keine Frage. Ganz anders dagegen ist, wie wir damit politisch umgehen, welche Auswüchse das hat. Dazu kann ich sehr viel sagen.
Zum Beispiel?
Es stand für mich nicht zur Diskussion, im ersten Lockdown die Arbeit auszusetzen. Dafür hatten wir Verständnis. Als dann uns aber falsche Versprechungen gemacht wurden, etwa, der Lockdown dauere nur wenige Monate, keiner verlöre seine Arbeit, aber diese Monate für uns Musiker mit wenigen Unterbrechungen immer weiter verlängert wurden und nun quasi zwei Jahre andauern, ohne uns eine Perspektive oder einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich zuzusichern, ist mein Verständnis aufgebraucht.
Aber es gab doch die Sommermonate mit weniger Beschränkungen.
Künstlerische Arbeit, aber auch das Organisieren eines Konzerts, einer Tournee kann nicht mit einem Ladengeschäft verglichen werden, das an dem einen Tag die Tür zumacht und an dem anderen wieder öffnet. Der Vorlauf für Konzerte beträgt über ein Jahr. Wir benötigen Planungssicherheit, die uns seit März 2020 aber vollkommen fehlt und für mindestens zwei Jahre noch Probleme machen wird.
Wie haben sich die ständig neuen Verhältnisse im Verlauf der Pandemie bei Ihnen ausgewirkt?
Selbst beim Erscheinen meines neuen Albums habe ich das gespürt. Vier Jahre habe ich darauf hingearbeitet. Das Erscheinen mussten wir verschieben, weil im März 2020 auch die Geschäfte geschlossen waren. Hinzu kam, dass ich 2020 insgesamt 45 Konzerte nicht absolvieren durfte und mein Album ohne Konzerte veröffentlicht wurde.
Wie oft konnten Sie 2020 auftreten?
Innerhalb eines kurzen Zeitfensters im Sommer drei Mal unter wirklich schlimmen Bedingungen. In einem großen Saal für 2000 Menschen waren zum Beispiel nur 90 Personen erlaubt. Sie saßen im Abstand von mehr als zwei Metern, hatten Masken auf und durften laut Verordnung nicht mal mitsingen. Da kommt keine Freude auf.

Das klingt nach einem surrealen Moment.
Es hat mir Schmerzen bereitet, wie die Menschen das Konzert erleben sollten, durften, mussten. Ich fand, es stand in keinem Verhältnis mehr zu dem, was ich im täglichen Leben erlebt habe, ob im Kaufhaus oder anderswo. Man muss das immer im Verhältnis zu den anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens betrachten.
Wie hat sich Ihre Situation 2021 entwickelt? Lief es da besser?
Im Sommer wurde es etwas besser. Das liegt daran, dass wir schon im Jahr zuvor aktiv geworden sind. Denn anfangs gab es für uns Künstler gar keine Entschädigung, weil wir im Ausgleichsfonds nicht bedacht worden waren. Wir hatten Berufsverbot und bekamen zugleich nichts und hatten ausverkaufte Konzerte, die wir nicht machen durften.
Nach ein paar Monaten gab es einen Aufschrei von verschiedenen Kulturschaffenden in verschiedenen Bundesländern, dann wurde innerhalb einzelner Bundesländer nachjustiert. Aber in zwölf Bundesländern gab es für viele Künstler bis zum November und Dezember 2020 kaum oder gar keine Zuschüsse. Uns wurde entweder empfohlen, die Instrumente zu verkaufen oder sich in Hartz IV einzugliedern. Hartz IV ist aber das falsche Programm für Kreativschaffende, es sind Selbstständige. Diese Behördenkonflikte liefen unter dem Radar der Öffentlichkeit, die ja aufgrund politischer Versprechen davon ausging, dass die Kulturbranche aufgefangen würde.
Wir haben über zwei Millionen Freischaffende in der Kulturbranche, wir sind zahlenmäßig größer verortet als die Autoindustrie und ein umsatzstarker Wirtschaftszweig. Die Kulturbranche wurde 2020, 2021 systematisch zerstört, und das scheint nicht abzureißen.
Das klingt hart.
Die Menschen, die eben noch Aufträge und einen vollen Terminkalender hatten, durften nicht mehr arbeiten, bekamen keine Unterstützung und standen vor dem Aus. Die Gleichgültigkeit, die uns dabei politisch entgegenschlug, war einfach unerträglich und unmenschlich.
Wie haben Sie das in Ihrem Umfeld und auch selbst erlebt?
Meine Band besteht aus Künstlerkollegen, die in sieben verschiedenen Bundesländern wohnen. Die meisten haben die Kollegen im Regen stehen lassen. Baden-Württemberg hat reagiert. Dort gab es eine Unterstützung. Dann konnten sie damit wenigstens ihre Miete zahlen, aber trotzdem fehlte ihnen Geld zum Leben. Aber in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, war es dramatisch. Die haben bis November 2020 Künstlern keinen wirtschaftlichen Schaden bezahlt.
Der Bund berief sich darauf, dass Kultur Ländersache sei, die Länder haben sich darauf berufen, dass der Bund nicht will, dass freischaffende Künstler genauso wie Gewerbetreibende oder Unternehmen wirtschaftlich gleich behandelt werden.
Sie haben juristisch argumentiert. Wie hat man Ihnen geantwortet?
Ich wurde als Sachverständige in den Bundestag eingeladen. Im Kulturausschuss im Bundestag habe ich im Sommer 2020 von den Folgen, von den Selbstmorden in der Branche, erzählt und dem Fehlen von Entschädigungen.
Selbstmorde?
Ja, es waren zwölf Menschen, von denen ich zumindest Kenntnis habe – aus der Region, in der ich wohne.

Lief es in diesem Herbst und Winter dann besser? Es gab ja keinen Lockdown.
Bis zu dem Augenblick lief es gut, bis aus der 3G-Regelung die 2G-Regelung wurde. Die 2G-Pflicht hat zu großem Unmut unter Künstlern geführt, da von uns politisch verlangt wurde, gesunde Menschen, die einen negativen Test vorweisen können, auszuschließen. Nicht nur das: Wir sollten von unserem Publikum die persönlichen, privaten, medizinischen Daten abfragen, was nicht unsere Aufgabe ist, sondern die des Gesundheitsamtes.
Und plötzlich gab es die versprochenen Zuschüsse nur noch, wenn wir unter 2G-Bedingungen auftraten, während die Konzerte für 3G schon beworben worden waren oder die Tourneen schon liefen. Wer dann allerdings Konzerte absagte, fiel raus aus dem Wirtschaftszuschuss. Das ist Erpressung.