Natürlich ist es wichtig, dass eine Geschichte gut ist; aber die beste Geschichte verpufft, wenn sie nicht gut erzählt ist. Die Lebensgeschichte von Anne-Sophie Mutter lässt sich in einem Wort zusammenfassen: genial. Die Frau ist gewissermaßen ein Lionel Messi an der Geige.

Aber wer ist sie wirklich? Was ist die Geschichte hinter diesem Etikett? Was hat der frühe Ruhm mit ihr gemacht, wie sah und sieht ihr Leben jenseits der Weltkarriere aus? Und schließlich: Wie ist es ihr gelungen, ihren Beruf, der vor allem Berufung war, mit ihrem Familienleben zu koordinieren? Die Frage mag unbotmäßig erscheinen, weil sie einem Mann nicht gestellt würde, aber nach dem frühen Tod des Gatten war sie alleinerziehend.

Sigrid Faltin hat nicht alle diese Aspekte in ihrem fesselnden Porträt erschöpfend behandelt, aber vielleicht durfte sie auch nicht; Mutter hatte sich das letzte Wort ausbedungen. Der Film macht jedoch nicht den Eindruck, als habe es Szenen gegeben, die der Musikerin nicht gefallen haben könnten, zumal sie großzügige Einblicke in ihr Innenleben gewährt: Wer Anne-Sophie Mutter bislang nur oberflächlich kannte und gern ein paar private Details über diese faszinierende Frau erfahren möchte, wird nicht enttäuscht.

Wer allerdings je das Glück hatte, sie live zu erleben, weiß ihrer Ansicht nach ohnehin bereits alles über sie: „Musiker sind am privatesten, wenn sie auf der Bühne stehen.“

Unverstellte Herzlichkeit

Viel entscheidender ist jedoch ein anderes Qualitätsmerkmal des Films. Die Geigerin, die dem Titelzusatz „Vivace“ (lebhaft) mehr als gerecht wird, hat ihre Zustimmung zu diesem Projekt gegeben, weil sie hofft, es könne dazu beitragen, Klassik dort zu positionieren, wo sie hingehöre: in die Mitte der Gesellschaft; und natürlich wird in den 90 Minuten entsprechend viel musiziert.

Dennoch ist die Musik mitunter nur Mittel zum Zweck, und darin liegt womöglich das größte Verdienst der erfahrenen Dokumentarfilmerin Faltin: Ihr Porträt ist in der Lage, auch jene Menschen anzusprechen, für die Klassik nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Das liegt selbstredend vor allem an Anne-Sophie Mutter selbst, die eine unverstellte Herzlichkeit ausstrahlt, aber auch an dem überraschenden Konzept, das sich Faltin ausgedacht hat; und so wird aus der ohnehin guten Geschichte auch eine sehr gut erzählte Geschichte, die außerdem munter ständig die Ebene wechselt, was für viel Kurzweil sorgt.

Roter Faden ist eine Bergwanderung von Faltin, Mutter und deren Dackeldame Bonnie bei Kitzbühel. Hier gibt die in Wehr bei Lörrach aufgewachsene Badenerin allerlei heitere Anekdoten zum Besten. Die beiden Frauen sagen zwar „Sie“, aber eine gewisse Nähe ist spürbar. Für Abwechslung ist ohnehin gesorgt: Mal kommt Bonnie vom rechten Weg ab, mal verlassen den Kameramann (Jürgen Carle) die Kräfte.

Zwar besteht auch der Rest des Films neben viel Archivmaterial größtenteils aus Gesprächen, aber die hat Faltin ganz anders gestaltet als erwartet: Anstatt einfach bloß Karrierehöhepunkte aneinanderzureihen, zeigt sie die Musikerin im Austausch mit Freunden und Weggefährten wie dem Dirigenten Daniel Barenboim, dem Filmmusikkomponisten John Williams oder ihrem langjährigen Pianopartner Lambert Orkis.

Was jeweils wie eine zwangslose Plauderei wirkt, hat tatsächlich den Charakter gegenseitiger Interviews. Dem Zauberkünstler Steve Cohen beantwortet sie auch die Frage nach ihrer grundsätzlich schulterfreien und stets exquisiten Bühnenkleidung; ein Aspekt, auf den die virtuose Violinistin in Interviews zuverlässig mit Unmut reagiert.

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