Der dunkelste Rembrandt war noch nie ausgestellt. Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, wie sich die Umrisse seines heiligen Hieronymus im schwach erleuchteten Zimmer schemenhaft vom nächtlichen Grund lösen. Das Blatt von 1642 gehört in eine Reihe von fünf Werken des großen Niederländers, die noch nie zu sehen waren und in der Ausstellung „Rembrandts Schatten. England und die Schwarze Kunst“ im Grafik-Kabinett der Staatsgalerie Stuttgart erstmals gezeigt werden. Auch greift die komplexe, hoch ambitionierte Ausstellung von den Anfängen des Mezzotinto bis zu seinem Verschwinden ein europäisches Phänomen auf.
Man hätte ihr, Brexit hin oder her, einen Katalog gewünscht. So bleibt für ein eingehendes Studium der Online-Katalog der Staatsgalerie. Blickt man auf die in tiefem Nachtschwarz versinkenden Blätter Rembrandts, fällt die Vorstellung leicht, dass sich die Mezzotinto-Künstler im England des 18. Jahrhunderts, von denen hier die Hauptvertreter präsentiert werden, von der mystischen Bildkraft anstecken ließen. Wie dort, lebt auch das in Deutschland als Schabtechnik bekannte, durch Aufrauen der Kupferplatte und Abschaben der Farbe für helle Flächen gekennzeichnete Verfahren von starken Hell-Dunkel-Kontrasten. Diesen Einfluss zu demonstrieren, ist die Intention von Kurator Peter Scholz, der mit den 40, teils seit 100 Jahren nicht mehr gezeigten Blättern aus dem Bestand der Grafik-Sammlung ein spannendes Detail der Kunstgeschichte anspricht.
Erfinder der Technik war nicht Rembrandt, von dem es keine Mezzotinto-Arbeiten gibt, sondern Ludwig von Siegen, ein adliger Dilettant aus der Nähe von Köln. Im Kabinett steht er mit seinem „Heiligen Bruno im Gebet“ von 1654 am Beginn des Rundgangs. Noch ist hier die Rasterung in der Darstellung zu erkennen, das für das Mezzotinto so charakteristische Chiaroscuro, das Hell-Dunkel, ist noch wenig ausgeprägt. Anders dann bei William Hogarth, der mit seinem Blatt „Die Zeit räuchert ein Gemälde“ von 1761 den Unterschied der Techniken zeigt: Als Radierung schwärzt der Gott der Zeit, Chronos, mit seiner Pfeife ein in der neuen Mezzotinto-Manier gefertigtes Landschaftsbild.
Neben Originalen wie diesen eroberte die in England zur Meisterschaft gebrachte und später als „englische Manier“ wieder auf den Kontinent zurückgekehrte Kunst vor allem als Reproduktion den europäischen Markt, was angesichts der gegenüber etwa einem Kupferstich wesentlich kürzeren Herstellungsdauer und damit schnelleren Verbreitung von Gemälde-Abbildungen und Künstlernamen einleuchtet. Prominente Beispiele sind die in dramatisches Dunkel getauchten Nachtstücke der 1770er-Jahre von Richard Earlom nach Gemälden von Joseph Wright of Derby, die mit dem Bildpersonal und von Menschenhand erzeugten Lichtquellen in einer Eisenschmiede Milieu-Studien im Zeitalter von Aufklärung und Industrialisierung betreiben. Unter den Porträts fallen Earloms und Valentine Greens Werke nach Selbstbildnissen von Rembrandt und Sir Joshua Reynolds mit ihren durch die Kontrastwirkung hervorgehobenen psychologisierenden Effekten sowie William Pethers Porträt eines Mannes mit Turban nach Rembrandt auf, das die Methoden der Malerei aufgreift.
Der Kritik am Mezzotinto, für Historien wegen deren großer Personenzahl und Detailgenauigkeit nicht geeignet zu sein, begegneten die Schabkünstler mit klaren Strukturen, einer deutlichen Reduzierung des Bildpersonals und der Nahwirkung. In der Stuttgarter Schau stehen sie Rembrandt-Radierungen gegenüber, die in ihrer extrem inszenierten Wirkung des Lichts zu seiner Zeit ein Novum darstellten. Der Rundgang schließt mit Nachkolorierungen und Farbaquatinta-Blättern. In ihren süßlich anmutenden Pastelltönen schmälern diese die starke Wirkung der schwarzen Kunst, kurz vor deren Ablösung durch die Fotografie.
„Rembrandts Schatten. England und die Schwarze Kunst“ im Grafik-Kabinett der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 30-32. Zu sehen bis 8. Januar 2017, täglich außer montags von 10-18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Sonderöffnungszeiten an Feiertagen. Telefon: 0711/47040-0, Internet: www.staatsgalerie.de