Christine Richard

Was hängt an der Wand, macht Tick-Tack, und wenn es herunterfällt, ist die Uhr kaputt? Über solche Scherzfragen können heute nicht einmal Sechsjährige lachen. Sie stammen aus einer Zeit, als Uhren noch keine Telefone waren, sondern gut sichtbar an den Wänden hingen. Und neben der Küchenuhr prangte ein bunter Kalender, er war das Weihnachtspräsent vom Apotheker oder vom Vertreter des Metzgerhandwerks an die geschätzte Kundschaft.

Es sit nicht so, dass gedruckte Kalender heutzutage völlig ausgestorben wären. Der „Sexy Bauernkalender Alpengirls“ zum Beispiel ist sehr beliebt, allerdings nur bei der einen Hälfte der Menschheit. Für die andere Hälfte gibt es den prüderen „Alpenboys Kalender 2017“. An die Küchenwand hängt man sich diese beiden Teile lieber nicht, nicht einmal nebeneinander.

In diesem Jahr macht der „Stone Nudes Kletterkalender 2017“ mit vielen Fotos Furore. Auf den ersten Blick sieht der nackte Mensch am Fels aus wie Hermann Hesse beim Freeclimbing im Gestein überm Walensee. Bei näherer Betrachtung allerdings merkt man erschrocken, dass sich hier nackte Frauen am Fels zu schaffen machen – und erst noch ohne Helm gegen Steinschlag. Von Hermann Hesse gibt es nicht nur Nacktfotos, sondern auch Romane und Gedichte („Seltsam, im Nebel zu wandern“). Der damit eingeleitete Themenwechsel von der Fleischeslust zur Lyrik ist herb, muss aber sein. Wer auf Kunst und andere schöne Gewohnheiten hält, erwirbt alle Jahre wieder einen Literaturkalender. Aber welchen? Hier vier bewährte Burschen zur Auswahl.

  • Der Arche-Literaturkalender ist ein Kalender für die Wand und als solcher fast schon ein Klassiker. Liebhaber sammeln ihn. Jedes Jahr ein anderes Thema, jede Woche ein neues Blatt, jedes Wochenblatt ist grafisch übersichtlich gestaltet. Oben die Leiste der Wochentage mit den jeweiligen Geburtstagskindern, drunter groß das Foto einer Dichterin oder eines Dichters mit Zitat. Der Arche-Literaturkalender 2017 hat das Motto „Von Nähe und Ferne“. Auf dem Titelbild hält Mr. Ernest Hemingway seine dritte Ehefrau Martha Gellhorn. Sie wirkt wenig anschmiegsam, sie war Kriegsreporterin. Es folgen Wochenblätter mit Pablo Neruda, Annette Kolb, Robert Gernhardt oder Alfonsina Storni. Die Mischung stimmt. Und auch die Wahl der Zitate: „Es gibt Menschen, die sich ein Heimatgefühl nur erwerben können, wenn sie reisen“, schrieb Kafka. Der Arche-Literatur­kalender ist vorbehaltlos zu empfehlen, was man leider nicht von jedem Kalender sagen kann. „Arche-Literaturkalender 2017 – Von Nähe und Ferne“: Arche-Kalender-Verlag, Zürich/Hamburg. 60 Blätter mit Abbildungen, 22 Euro (laut Verlag)
  • Der Lyrik-Taschenkalender ist ein Büchlein, für die Hosentasche ist es allerdings zu groß. Dafür ist sein Herausgeber Michael Braun ein ausgewiesener Lyrik-Spezialist. Seine Idee: 17 Dichterinnen und Dichter haben zwei ihrer Lieblingsgedichte ausgewählt und kommentiert. Im Gegenzug stellt Michael Braun mit dem Lyriker Henning Ziebritzki jeweils ein Gedicht der am Kalender beteiligten Dichter vor.
    Alles klar? Das Ergebnis wirkt unübersichtlich. Auf der linken Seite ein Gedicht, auf der rechten Seite drei Wochentage mit Platz für eigene Eintragungen, auf der folgenden Seite der Kommentar zum Gedicht, das zwei Seiten zuvor stand. Manche Kommentare fließen sogar auf die nächste Seite über. Es dominiert Gegenwarts-Lyrik, darunter Kathy Zarnegin (Basel). Die Auswahl ist couragiert, die Aufmachung nachlässig. Schade, bis 2012 war der Lyrik-Kalender ein herrlich altmodischer Tages­-Abreißkalender. „Lyrik-Taschenkalender 2017“: Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg. 224 Seiten, 16,80 Euro (laut Verlag)
  • Den Harenberg-Tischkalender „Deutsche Gedichte 2017“ möchte man fast als Tages-Abreißkalender empfehlen. An jedem Tag ein neues Gedicht, vom Barock bis zur Gegenwart, von Heinz Erhardt bis hin zu Johann Wolfgang von Goethe. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“: Der auf Kalender spezialisierte Verlag bietet für jede Zielgruppe etwas und Sprüche für alle Lebenslagen. Im Kalender „365 Frauenzitate“ ätzt Françoise Sagan: „Wenn sich ein Mann für unwiderstehlich hält, liegt es oft daran, dass er nur dort verkehrt, wo kein Widerstand zu erwarten ist.“ Harenberg-Tischkalender „Deutsche Gedichte 2017 – VomBarock bis zur Gegenwart“: Harenberg-Verlag, Dortmund. 324 Seiten, 11,99 Euro (laut Verlag)
  • Der Reclam-Literaturkalender passt mühelos in die Jackentasche.
    Das Büchlein bietet kaum Platz für eigene Eintragungen, dafür im gelben Reclam-Format auf nur 128 Seiten eine Vorschau auf wichtige Gedenktage und Geburtstage berühmter Dichter und Denker. Was kommt 2017 auf uns zu? Zum Beispiel der 100. Geburtstag von Heinrich Böll, der 200. Geburtstag von Theodor Storm oder der 200. Geburtstag von Georg Herwegh, Revolutionär aus Stuttgart, begraben in Liestal. „Reclam-Literaturkalender 2017“: Reclam, Stuttgart. 128 Seiten, 4 Euro (laut Verlag)Seit es den Kalender fürs neue Jahr nicht mehr automatisch gratis vom Metzger oder in der Apotheke gibt, muss man ihn kaufen. Dort, wo früher die Küchenuhr hing, ist jetzt Platz für den tollen Arche-Küchenkalender mit Zitaten und Rezepten aus der Weltliteratur. Was hängt nicht mehr an der Wand, sondern tickt im Handy? Das ist die App vom literarischen Katzenkalender. Es gibt eben nichts, das es nicht gibt.