Früher stand vor manchem Wirtshaus ein Schild: „Hier kocht der Chef“. Leider wusste man nie: Ist das nun ein Qualitätsversprechen oder eine Drohung?
Am Theater Freiburg ergeht es dem Kunsthungrigen jetzt fast ebenso. Hier inszeniert der Chef (wie auch bei „Warten auf Godot“ in Konstanz, siehe unsere Kritik oben). Peter Carp, seit letzter Spielzeit Intendant, hat nach den Luzerner „Hoffmanns Erzählungen“ seine zweite Oper inszeniert. Es ist dies Tschaikowskys „Eugen Onegin“ von 1879, nach dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin.
Wenn der Chef selbst Hand anlegt, ist das nun gut oder schlecht? Die Premiere ließ manchen ratlos zurück. Erster Akt: eine einfallsarme Geh- und Steh-Oper – langatmig, konventionell bis zum Abwinken. Zweiter und dritter Akt: Steigerung der Intensität – bis hin zum starken Schlussapplaus.
Peter Carp reißt Puschkins Personen zu Beginn aus ihren sozialen Zusammenhängen. Schade. Verschenkt wird ein weiteres Spannungsmoment. Bei Tschaikowsky ist Onegin ein adliger Lebemann, ein Dandy, der sein Leben vertändelt. In Freiburg indes kommt Onegin wie ein Kleiderständer mit Hut daher (Kostüme Gabriele Rupprecht). Frage: Warum verliebt sich Tatjana so unsterblich in diesen Mann? Und weiter: Dass Puschkins Vorlage als russisches Nationalepos gilt – wäre das nicht eine Steilvorlage für politische Aktualisierung in Zeiten von Putin und „Noworossija“?
Eingestanden, „Eugen Onegin“ ist in erster Linie ein musikalisch durchglühtes Seelendrama, eine Tragödie verfehlter Liebe. Dass Carp wie Tschaikowsky den Ausstattungsbombast scheut, geht in Ordnung. Allerdings wirken auch Personenführung und Rollencharakterisierung eher unauffällig.
Im zweiten Akt mit seinem Fest lebt der Abend auf, inklusive obligater Glühlämpchen, Weißclown und Eifersüchteleien. Joshoa Kohl als Onegins Freund Lenski beeindruckt in seiner Todesahnung-Arie. Es kommt zum Duell. Als Onegin im dritten Akt seine Liebe für Tatjana entdeckt, ist es zu spät. Nach 16 Jahren ist sie Teil der Kunst-Schickeria und mit dem reichen Gremin verheiratet (Jin Seok Lee). Hin- und hergerissen, entscheidet sie sich für die Konvention.
Michael Borth in der Titelrolle überzeugt mit seinem durchweg stabilen Bariton. Ihm zur Seite als Tatjana, unglücklich verliebt in Onegin, singt sich die attraktive französische Sopranistin Solen Mainguené traumsicher in die Höhen der Verzweiflung und Tiefen lyrischen Verstummens. Überhaupt die Frauen: Inga Schäfer als Tatjanas Schwester Olga gibt mit beweglichem Mezzosopran das lebenslustige Gegenstück. Bedächtige Gegenfiguren zu den jungen Mädchen sind die zwei älteren Frauen: Satik Tumyan als Mutter und Gutsherrin sowie Anja Jung als Amme waren auch stimmlich gut beieinander.
Peter Carp eröffnet mit dieser Oper seine zweite Spielzeit, nachdem die erste, gelinde gesagt, wenig bemerkenswert war. Was von „Eugen Onegin“ bleibt: die Strahlkraft der Stimmen.
Die nächsten Vorstellungen: 5., 13. und 25. Oktober; 3. und 23. November. Weitere
Informationen: http://www.theater.freiburg.de