Ich bin so erstaunt wie beglückt. Und ich finde es eine ungeheure Ehre, in eine Reihe mit denen gestellt zu werden, die den Preis vor mir bekommen haben. Da sind natürlich auch Autorinnen und Autoren, Denkerinnen und Denker dabei, die mein Leben und Schreiben geprägt haben, und insofern ist das auch ein sehr berührender Moment. Martin Buber, Jürgen Habermas, David Grossman, Susan Sontag – das sind Figuren, die mich heute eher demütig fühlen lassen. Aber natürlich hätte ich mir gewünscht, dass diese Nachricht nicht auf einen Tag fällt, der so traurig für Europa ist.
Mein ganzes Leben lang war ich dankbar dafür, dass ich Europäerin sein darf. Und ich fürchte, vielleicht haben wir das auch ein bisschen zu selbstverständlich genommen. Ich gehöre ja zu einer Generation, die Europa nicht erringen musste, sondern der es geschenkt worden ist. Ich habe mir dieses Privileg, in Europa leben zu dürfen, durch nichts verdient. Nun ist es an der Zeit, Europa auch zu verteidigen gegen diejenigen, die es mit ihrem Nationalismus und ihren Ressentiments unterwandern.
Natürlich braucht es Dialog! Nicht erst seit heute. Wir werden alle Argumente und alle Leidenschaft auffahren müssen gegen den Fetisch des Reinen, den alle Fanatiker kultivieren. Es gibt keine homogenen Kulturen oder Nationen – das ist eine Fiktion. Wir brauchen ein aufgeklärtes Plädoyer für offene, säkulare, inklusive Demokratien, die die Freiheit derer schützen, die abweichen von irgendeiner Norm. Gleichwohl gilt es natürlich die Entscheidung zu akzeptieren – es ist eine demokratische Entscheidung. Aber wir müssen weiter darum ringen, was Europa sein kann und welche Versprechen noch unerfüllt geblieben sind.
Es geht immer noch um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist leider für viele Ausgeschlossene immer noch bloß ein Versprechen. Europa kann nur überzeugen, wenn es die eigenen demokratischen Defizite selbstkritisch betrachtet, wenn es sich um mehr Inklusion, nicht weniger bemüht, wenn es mehr Religionsfreiheit verwirklicht, nicht weniger, wenn es unter dem Eindruck des Terrors den Rechtsstaat verteidigt, nicht aushöhlt, wenn es der Einladung zu Ressentiment und Gewalt widersteht mit allen politischen, künstlerischen, sozialen Mitteln.
Zur Person
Carolin Emcke, 1967 in Mülheim an der Ruhr geboren, gilt als eine der profiliertesten deutschen Journalistinnen und Publizistinnen. Sie lebt als freie Autorin in Berlin. Sie hat unter anderem als Redakteurin beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und als freie Autorin für die „Zeit“ gearbeitet. Für die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt sie eine wöchentliche Kolumne. In Artikeln und Essays berichtet sie aus Krisen- und Kriegsgebieten, etwa aus Afghanistan, Pakistan, Irak und dem Gaza-Streifen. Aus Briefen entstand 2004 ihr erstes Buch „Von den Kriegen – Briefe an meine Freunde“. Für einen Essay über die Rote Armee Fraktion, der auch als Vorlage für ihr Buch „Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF“ (2008) diente, erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis. (dpa)
In diesen Talkshow-Videos erzählt Emcke von ihrer Arbeit als Kriegsreporterin und spricht über Chancen der Flüchtlingskrise:
Was ist der Friedenspreis?
- Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben und ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen des Landes. Geehrt wird damit eine Persönlichkeit aus dem In- oder Ausland, die vor allem auf den Gebieten Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat.
- Preisgeld: Die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen, dem Dachverband der deutschen Buchbranche.
- Die Preisträger werden von einem Stiftungsrat gewählt. Vorschläge dazu kann jeder einreichen. Der Rat setzt sich aus Mitgliedern des Börsenvereins sowie Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft zusammen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Jürgen Habermas, Peter Esterhazy, Orhan Pamuk, Anselm Kiefer oder Navid Kermani. Bislang erhielten neun Frauen den Freidenspreis, darunter Nelly Sachs, Susan Sontag und Swetlana Alexijewitsch. (dpa)